Was für ein Theater!

11. November 2021 Mehr

Die Innenraumgestalterin Iva Hájková hat für eine theaterbegeisterte Auftraggeberin und ihre vierköpfige Familie eine Wohnung in einem alten Plattenbau in Prag in ein modernes Theater verwandelt. Schlicht, zurückhaltend und materialfokussiert präsentiert sich diese Alltagsbühne als gelungene Interpretation traditioneller Häuser. Bekannte Elemente werden dabei mit einem Augenzwinkern ungezwungen neu interpretiert.

 

 

Vorhang auf und Bühne frei im Prager Stadtteil Suchdol für die von der ortsansässigen Architektin und Innenraumgestalterin Iva Hájková realisierte “Wohnung im Plattenbau”. Nackter Beton trifft auf glänzendes Messing, ein schwerer, samtener Vorhang teilt die Szenerie und an jeder Ecke überraschen kleine Details. Die Anmutung retro, die Umsetzung modern – was für ein schönes Theater!

Als die Besitzerin der Wohnung in einem für diesen Bezirk Prags typischen, vierstöckigen Wohnhauses mit dem Auftrag, diese komplett zu renovieren, an die Innenarchitektin herantrat, war Hájková sofort begeistert. Das Konzept: die Wohnung für die Theaterschauspielerin und ihre Familie in Form eines Thea­ters zu inszenieren. Zeitlos und einzigartig wünschte sich die Bauherrin die Gestaltung des Bühnenbilds für ihr Privatleben.

 

 

Da die Wohnung in dem alten Plattenbau keineswegs mehr den heutigen Anforderungen entsprach, war neben einer stilistischen Auffrischung auch eine grundlegende Sanierung der 5-Zimmer-Wohnung notwendig. Die einzige Vorgabe der Bauherren lautete dabei, natürliche Materialien zu verwenden, die Wohnung optisch zu vergrößern und ausreichend zu belüften. „Die Eigentümer waren meiner Konzeption gegenüber sehr aufgeschlossen und glücklicherweise auch mit meiner Vorstellung der Atmosphäre einverstanden, die ich kreieren wollte. Sozusagen das Ideal einer Zusammenarbeit: Die Familie ließ mir freie Hand bei der Gestaltung und wir diskutierten gemeinsam die einzelnen Elemente, um die perfekte Balance aus Design und Praktikabilität zu finden“, zeigt sich Hájková begeistert.

 

 

Zuerst einmal musste der klassisch konzipierte Wohnungsgrundriss vergangener Jahre an die Bedürfnisse der vierköpfigen Familie angepasst werden. Dabei offenbarte sich schnell, dass in einem Haushalt mit zwei Teenagern getrennte Räume und Privatsphäre hinter geschlossenen Türen nicht schaden kann. „Wir haben das Wohnzimmer mit dem Essbereich und der Küche als einen separaten Teil der Wohnung geöffnet, der Flur mit den Zugängen zu den Schlafzimmern, dem Bad und der Toilette wird durch eine Tür mit seitlichen Oberlichtern abgetrennt“, erklärt Hájková ihr Konzept. Jedes Schlafzimmer verfügt zudem über einen großen Einbauschrank. Da es in der Wohnung keine Abstellkammer gibt, ermöglicht diese Lösung ein Reduzieren der freistehenden Möbel zugunsten mehr räumlicher Qualität und Großzügigkeit.

 

 

Damit war der Bühnenraum zwar konzipiert, jedoch bis auf seine Zuschauer sozusagen noch nackt und leer. Bei der Gestaltung des Bühnenbildes setzte Hájková, für das Metier eher untypisch, auf Reduktion und Ruhe. Schreiende Farben, jede Menge Requisiten und bunte Lichteffekte sucht man vergeblich, das Wesentliche der Szenerie liegt in einer gelungenen Wohnungseinrichtung sowie der Qualität der Grundrissgestaltung. Die Bühnen-Atmosphäre ist bewusst harmonisch inszeniert und völlig frei von Zwängen. So konnten die vorhandenen Möglichkeiten von Raum, Lage und Bausubstanz aus den 1970er Jahren optimal ausgeschöpft und kombiniert werden.

Bei der Wahl der Oberflächen dominiert Beton, der als grundlegendes Baumaterial des Hauses gekonnt in Szene gesetzt und durch Holz- und Messingelemente ergänzt wird. Der Fokus liegt dabei auf der Rohheit aller verwendeten Materialien. Die Wohnung wird dementsprechend ganz natürlich dem eigenen Ziel gerecht, Authentizität zu verkörpern, indem eben nicht kaschiert wird, dass dieses schmucke Theater sich in einem so profanen Plattenbau befindet.

 

 

Um diese besondere Stimmung zu schaffen, wurden die Betonplatten an einem Teil der Wände und Decken vom Putz befreit und mit staubfreier Farbe behandelt. Der Boden besteht, einer Theaterbühne gleich, aus massiven Eichendielen: Hier soll sich das wahre Leben abspielen. Kein traditionelles Theater ohne glänzende Schmuckstücke und Accessoires aus Messing. Hájková setzte diese entsprechend stilsicher im Bereich der Küchentür sowie für Details wie Beschläge und Leuchten ein. Eigens für dieses Projekt entworfen, wurde das Messing in diesem Fall geschnitten und gewachst, um so eine moderne, zeitlose Anmutung zu erzielen.

Auch die Hauptbeleuchtung im Wohnzimmer greift das Thema Messing auf und erinnert auf spielerische Art an die markanten Kronleuchter, die in den großen Häusern schon beim Betreten alle Blicke auf sich ziehen. In diesem Fall nimmt sich der Luster allerdings fast schüchtern zurück und tritt zugunsten des Gesamteindrucks bescheiden in den Hintergrund. Wer aber ein Auge für Details hat, eine Weile in diesem Ensemble verweilt und die Umgebung auf sich wirken lässt, der wird allerhand entdecken können.

 

 

„Zum praktischen Verschließen der Garderobe im Flur haben wir einen Vorhang verwendet. Er fühlt sich weich an und setzt mit einem satten Farbton einen zusätzlichen Akzent“, erklärt Hájková die Bedeutung dieses Elements. Die Tür reicht jetzt bis zur Decke, was den Raum visuell vergrößert. Bei der Farbgebung setzte die Gestalterin zugunsten eines frischen Eindrucks anstelle der typisch cremefarbenen Theatertünche auf ein modernes, zeitgemäßes Grau. Die Wohnung sollte trotz der Akzeptanz der Substanz keinesfalls historisch wirken, daher kamen zwar traditionelle Materialien, diese dafür ausnahmslos modern interpretiert, zum Einsatz.

 

 

Die Böden der Nassräume sind mit großformatigen Fliesen in Terrazzo-Optik und die Wände mit ziegelförmigen Fliesen belegt. Ergänzt wird das Ambiente durch die moderne Interpretation einer Laterne, die nach Maß angefertigt wurde. Auch bei der Gestaltung der Küche lautete das Motto: weniger ist mehr. ”Der Raum ist relativ schmal, deshalb haben wir versucht, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Bereiche zu lenken. Wir haben den unteren Teil der Küchenfront beispielsweise mit einem Messingblech verkleidet: Das bringt eine sich mit der Zeit verändernde und reifende Schönheit mit sich.”

 

 

Mit ihrer Interpretation einer Wohnung im Plattenbau ist Regisseurin Iva Hájková ein Glanzstück gelungen. Die Bewohner werden zu den Akteuren oder Zuschauern, wie es eben beliebt. Das Bühnenbild bietet viel Raum für eigene Interpretationen, Adaptionen und Veränderungen. Schlicht, klassisch und zurückhaltend, dabei warm und dennoch mit einem Augenzwinkern: Bühne, Backstage und Zuschauerraum für eine theaterbegeisterte Familie im Herzen von Prag.

 

 

Wohnung im Plattenbau
Prag, Tschechische Republik

Bauherr: Privat
Planung: Iva Hájková
Brutto Fläche: 90 m2

Planungsbeginn: 2019
Bauzeit: 2019 – 2020
Fertigstellung: 2020

www.ivahajkova.cz

 

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: Filip Šlapal

 

Kategorie: Projekte