Wie Phönix aus der Asche
Der Hastings Pier blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Einst ein florierender Treffpunkt für Künstler, wird er 1990 schwer beschädigt, geschlossen und fällt schließlich im Zuge eines Brandes 2010 den Flammen zum Opfer. Das Architekturbüro dRMM hauchte der Seebrücke neues Leben ein, indem es eine Symbiose aus Alt und Neu schaffte, die den Glanz vergangener Tage spüren lässt und zeitgemäß fortführt.
Die Seebrücke im südostenglischen Hastings prägt den Küstenort seit langer Zeit. Mit ihrer turbulenten Vergangenheit gehört sie zur Identität der kleinen Stadt. Sie ist für die Bewohner nicht nur ein Bauwerk, sondern vielmehr kommunikativer Treffpunkt, Marktplatz und Naherholungsort zugleich. Zwei Jahre nach dem verheerenden Brand organisierte das Royal Institute of British Architects RIBA einen Wettbewerb zur Sanierung des Piers, den das britische Büro dRMM Architects für sich entscheiden konnte.
Mit dem Entwurf bauen die Architekten auf dem zerstörten Bestand auf und übersetzen diesen behutsam in eine zeitgemäße Struktur. Dies gelingt unter anderem durch einen transparenten und partizipativen Planungsprozess, der die lokale Bevölkerung aktiv miteinbezog. Nachdem der Pier über die Jahre hinweg in seinen Funktionen nach und nach voller und starrer wurde und damit immer mehr seiner ursprünglichen Qualitäten verlor, sahen die Bewohner den Brand als Chance eines Neuanfangs. Die Seebrücke sollte wieder zu dem flexiblen, vielseitig nutzbaren Ort werden, der sie einst war.
Die bestehende Unterkonstruktion aus Eisen wurde im Zuge der Sanierung erneuert und verstärkt. Auf das Fundament legt sich mit einem weitgehend unbespielten Deck das Herzstück des neuen Hastings Piers. Dieses bietet reichlich Platz für verschiedene Aktivitäten – egal ob für kulturelle Events wie Ausstellungen und Konzerte oder einen einfachen Spaziergang. Die neue Plattform reicht 280 m weit in den Ozean hinein. Während sie an ihrer schmalsten Stelle lediglich 14 m misst, dehnt sie sich an ihrem breitesten Punkt fast 60 m aus.
Die Architekten übernahmen nicht nur das Fundament des Bestands, sondern auch die Reste der Brandruine. Sämtliche Holzteile, die vom Brand verschont blieben, wurden recycelt und für den Bau der neuen Seebrücke verwendet. Sie erinnern an vergangene Tage und sind sowohl nachhaltig als auch kostengünstig. Der Einsatz des Materials folgt einem simplen Prinzip – alle horizontal spannenden Elemente sind neu, die vertikalen Abschnitte in gerettetem Holz gefertigt.
Einer von ursprünglich zwei historischen Pavillons im viktorianischen Stil bildet neben dem Grundgerüst der Seebrücke das einzige Relikt, das den Brand 2010 überstanden hat. Er wurde behutsam restauriert und flankiert die Hauptplattform, die direkt an die Strandpromenade andockt. Seine lang gezogene, leicht gebogene Form mit je einer Kuppel zu beiden Enden ist dem freien Platz vor ihm zugewandt, der die Besucher auf dem Pier empfängt. Mit dem neuen Zinkdach fanden die Architekten eine kostengünstige Lösung, den restaurierungsbedürftigen Pavillon zu sanieren und gleichzeitig die Denkmalschutzbehörde zufriedenzustellen.
Im Zentrum des Hastings Piers befindet sich das neue Besucherzentrum, das komplett aus Brettsperrholz gefertigt ist. Seine Ansichten kleidet der recycelte Bodenbelag der alten Seebrücke. Jedes Holz hat, gezeichnet durch das Feuer, eine dunkle und einzigartige Optik. Die Latten sind in einem Zickzackmuster verlegt, sodass die Ansichten des Baus von Weitem wie Sägezähne wirken. Erst bei näherer Betrachtung entpuppt sich die dreidimensionale Struktur als flache Fassadenverkleidung. Die zum Meer gerichtete Front des Gebäudes ist großflächig verglast. Durch die ziehharmonikaförmige Faltung der einzelnen Glaspaneele entstehen entlang der Außen- und Innenseite abgetrennte Sitznischen. An der dem Land zugewandten Querseite führt eine Treppe auf das Dach des Baus. Dort erwarten die Besucher szenische Ausblicke auf das Meer. Im Inneren des Zentrums blieben sämtliche Holzoberflächen und -träger unverkleidet und sorgen für eine gemütliche Atmosphäre. Außerdem wurde durch das Einsparen zusätzlicher Ausbauschritte das Gewicht reduziert – ein wesentlicher Faktor für die Planung der gezeitenbeeinflussten Konstruktion. Als weiterer Vorteil erweisen sich die niedrigeren Kosten.
Zwischen Pavillon und Besucherzentrum reihen sich auf dem weitläufigen Deck vereinzelte Hütten und Verkaufsstände aneinander. Ansonsten bleibt die Fläche zwischen den baulichen Interventionen weitestgehend frei und bietet reichlich Platz für verschiedene Veranstaltungen. Sitzgelegenheiten laden immer wieder zum Innehalten ein. Die vordere Spitze der Plattform ist leicht abgerundet und komplettiert die Seebrücke. Sie gibt den Blick auf das Meerespanorama, die Stadt und eine Handvoll verrostete Stützpfeiler in den Fluten frei, die an die tragische Entwicklung des Piers erinnern sollen.
Der Hastings Pier ist eine eindrucksvolle Demonstration davon, wie man Alt und Neu in der Architektur nebeneinander inszenieren kann. Bestand und Neubau werden durch behutsame Sanierung perfekt in Einklang gebracht. Damit setzen die Architekten dRMM nicht nur die Vorgaben des Denkmalschutzamts um, sondern schaffen einen Ort der Erinnerung, an dem Vergangenheit und Gegenwart aufeinandertreffen und gemeinsam in eine verheißungsvolle Zukunft blicken. Sie revitalisierten die einst hoch frequentierte Landmarke und machen sie zu einem Stück öffentlichen Raum, der wie eine erweiterte Strandpromenade seine Fühler in die Fluten ausstreckt und von seinen Nutzern belebt wird. Dieser Meinung ist auch das RIBA, das die Seebrücke 2017 kurzerhand mit dem Stirling Prize zum besten britischen Bauwerk des Jahres kürt.
Hastings Pier
White Rock, Hastings, Großbritannien
Bauherr: Hastings Pier Charity
Planung: dRMM Architects
Projektleitung: Alex de Rijke,
Leitender Architekt: Adam Cossey
Statik: Ramboll
Grundstücksfläche: 11.720 m2
Bebaute Fläche: Besucherzentrum: 416 m2, Pavillon: 222 m2
Nutzfläche: Besucherzentrum: 390 m2, Pavillon: 221 m2
Planungsbeginn: 08/2011
Bauzeit: 02/2014 – 04/2016
Fertigstellung: 2016
Baukosten: 16,7 Mio. Euro
Text: Edina Obermoser
Fotos: dRMM, Alex de Rijke, James Robertshaw, Hastings Pier Charity, Daniel Shearing, Jim Stephenson, Ståle Eriksen, Kinga Koren
Kategorie: Projekte