Wohnen in der Einschicht – Lenka Míková

15. Mai 2018 Mehr

Two houses, deers and trees / Böhmen / Lenka Míková

Im Gegensatz zur oft und immer wieder zitierten Landflucht macht sich in Mitteleuropa die Stadtflucht breit. Das vermehrte Interesse an (Zweit-)Wohnsitzen am Land oder überhaupt das Verlassen der städtischen Unruhe ist nicht nur in Österreich zu bemerken und nicht nur an den Autokolonnen an den Wochenenden. Auch in unserem nördlichen Nachbarland Tschechien ist der Trend „auf‘s Land“ groß im Kommen. Es ist nicht nur die Flucht vor dem Stadtstress, es ist auch die Suche nach Traditionellem und Authentischem. Aber paradoxerweise wird der erwünschte Charakter der Ursprünglichkeit der Volksarchitektur beim Prozess des Renovierens fast völlig entfernt und durch eher standardisierte Lösungen ersetzt.

 

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Wohnen am Land hat seine Faszination. In Südböhmen hat Architektin Lenka Míková für einen privaten Kunden ein ehemaliges, stark verfallenes Gehöft in einer sehr einsamen Lage zu neuem Leben erweckt. Ohne originalgetreu zu rekonstruieren, ist doch eine Architektur entstanden, welche mit der Natur, mit der Landschaft verbunden ist und auch schon so da gewesen sein könnte.

 

Es ist ja auch eine ziemliche Herausforderung, einen zeitgemäßen Level an Komfort beim Wohnen zu erreichen und gleichzeitig ein Originalgefühl in der alten Architektur zu erhalten. Wenn dann auch der Zustand der Bausubstanz – und das kommt ja auch in der Stadt bei vielen Gründerzeitwohnungen vor – schlecht ist, stellt sich die Frage der Erhaltung gegenüber den Kosten. Am Ende ist es oft weniger wichtig, möglichst originalgetreu zu rekonstruieren, als das Erzielen einer Stimmung im Ganzen.

Das Projekt der Rekonstruktion eines alten Gehöftes in Südböhmen zog sich über vier Jahre hin. Obwohl der Entwurf der Architektin Lenka Míková längst abgeschlossen war, kristallisierte sich die tatsächliche Ausführung während des Baus heraus. Ein im Geiste offener und aufgeschlossener Bauherr war maßgeblich daran beteiligt, dass viele Teile erst am und beim Bauen gemessen, bestimmt und dann nach Maß gefertigt wurden – manchmal als Experiment und manchmal nach altem Wissen. Das ganze Projekt war von Respekt vor der alten Substanz, der Suche nach der Logik des Hauses und dem Anspruch, traditionelle Baumethoden zu verwenden, getragen. Das Gefühl des Natürlichen war wichtiger als eine formale Imitation. Natürliche und handgefertigte Teile aus Holz, Stein und Erde brachten einen immanenten Imperfektionismus zum Vorschein, der ein Hauptmerkmal des Wohnhauses wurde. Die Einzelteile erscheinen und sind perfekt, passen zusammen und auch nicht und das Ganze ist trotzdem so, als ob es immer schon gewesen wäre.

Der Hof bestand aus zwei, zueinander L-förmig angeordneten Baukörpern. Ein ursprüngliches Wohnhaus und ein Nebengebäude aus Stein, beide in einem abgelegenen Anger. Um die Ausgewogenheit der beiden Volumina nicht zu stören, beschloss man, möglichst wenig Interventionen im Außenbereich zu unternehmen – die hauptsächlichen Veränderungen passierten im Inneren. Beide Gebäude besitzen nun einen Wohnbereich, er ist großteils zum Dach hin offen, um die Originalstimmung der Substanz zu vergegenwärtigen. Es gibt noch das skulpturale Raumgefüge der ehemaligen „schwarzen Kuchl“ im Haupthaus und den traditionellen Durchblick durch die steinerne Scheune. Ebenso gibt es in beiden Gebäuden eine bauliche, der „schwarzen Kuchl“ ähnliche, Hinzufügung – sie enthält einen Sanitärblock – diskret im alten Teil und dominant in der Steinscheune.

 

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Eine Stiege, halb massiv aus Holz und halb frei schwebend aus Stahl führt ins Obergeschoss. Von hier sind die ehemaligen Küchengewölbe sichtbar.

 

Die Dualität der beiden Häuser verbindet das Projekt zu einer Einheit. Ihr unterschiedlicher Charakter und die originale Nutzung reflektieren auch heute im gesamten Erscheinungsbild. Das Wohnhaus ist der Aufenthalts- und Wohnort des Besitzers und eher traditionell (sowohl innen wie auch außen). Vieles war hier in einem derart schlechten Zustand, dass es entfernt werden musste. Wie die typischen Bauten der Volksarchitektur in diesem Raum ist es eher dunkel, geschlossen und intim. Außen ist es von den typischen gestreiften, aus Holzbalken und Putzstreifen bestehenden Fassaden geprägt. Das Dach ist mit Holzschindeln gedeckt und seinen Charakter erhält es fast ausschließlich durch die handwerklich gestalteten Oberflächen im Inneren. Viele liebevolle und überlegte Details prägen den Bau: eine zweiläufige Stiege, halb aus Holz und halb freischwebend aus Stahl, die im Obergeschoss sichtbaren und freigelegten Gewölbe der Küche, ein Waschbecken aus einem Granittrog und einfach zusammengelöteten Kupferrohren als Armatur, das Gewölbe der Küche mit dem original Steinplattenboden, dicke Holzbalken und schlichte Einrichtungsgegenstände.

 

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Viele einfache und sehr intelligente Lösungen findet man in den alten Mauern des Gehöftes, sei es in den Nasszellen oder in der ehemaligen „schwarzen Kuchl“.

 

Die ehemalige Scheune dient während der Sommermonate als Wohnbereich und als Gästehaus. Hier ist das Raumgefühl offen und leicht, aber die inneren Interventionen sind wesentlicher. Die originalen Steinmauern werden innen durch einen Block aus Sichtbeton ergänzt. Er enthält einen Saunabereich und verbirgt an der äußeren Wand eine Stiege zu zwei Schlafzimmern (für Gäste) unterm Dach. Oberhalb dieses Blockes sind alle inneren Wände und die Untersichten des Daches weiß gestrichen, um die alte Dachkonstruktion zu betonen und „einzurahmen“. Der Wohnbereich dehnt sich beiderseits der Scheune auf Terrassen hinaus aus, faltbare Glastüren können ihn auch abschließen und vor Regen und Wind schützen. Trotzdem fließen der Raum und die Natur durch ihn im wahrsten Sinn des Wortes hindurch. Das Herz dieses Hauses bildet ein offener Feuerplatz, er ruht auf einem riesigen Stein aus einem nahen Steinbruch.

 

 

Two houses, deers and trees
Tschechien, Südböhmen

Bauherr: privat
Planung: Lenka Míková
Mitarbeit: Ivan Boroš
Statik: Nemec Polák

Nutzfläche: 365 m2
Planungsbeginn: 2013
Bauzeit: 2015 – 2017
Fertigstellung: 2017

 

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Fotos: ©Jakub Skokan, Martin Tuma

Text: ©Peter Reischer

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Kategorie: Projekte