Zart & hart
Wohnen zwischen zart und hart im Herzen von Berlin. BATEK ARCHITEKTEN haben mit ihrer WOHNUNG SCH52 ein ehemaliges Industrieloft in eine individuelle Wohnlandschaft für eine fünfköpfige Familie verwandelt. Der Clou: durch das Implementieren freistehender Boxen konnten die großzügige Weite der Räume und der industrielle Charme erhalten bleiben, ohne dabei auf Kosten privater Rückzugszonen zu gehen.
„Das Loft hatte eine sehr schöne Substanz und diese zu bewahren war sehr wichtig. Die neuen Räume sind durch tektonisch entkoppelte Elemente gestaltet, so dass die Grundstruktur unberührt und das großzügige Raumgefühl bestehen bleibt.“ – Patrick Batek
Großzügige Etagenwohnungen in ehemaligen Industrieetagen gehören zu Berlin wie der Fernsehturm oder der Alex. Wohingegen letztgenannte kaum zu übersehen sind und sich über deren Ästhetik trefflich streiten ließe, lassen sich die heißbegehrten und immer charmanten Loftstudios meist versteckt und völlig überraschend in dem einen oder anderen – von außen völlig unscheinbaren – Altbau finden.
Das offenbart sich dem Berlinbesucher dann meist folgendermaßen: Man betritt zuerst nichtsahnend ein Haus wie jedes andere in der Straßenflucht der typischen Jahrhundertwendebauten, findet sich in einem der für Berlin ebenso typischen großzügigen und bunt gefliesten Treppenhäuser wieder und wird beim Gang in die oberen Etagen plötzlich stutzig – anstelle einer einfachen Eingangstüre betritt man die Wohnung nämlich über eine massive Stahltür. Im Falle der WOHNUNG SCH52 der ortsansässigen BATEK ARCHITEKTEN erfolgt das Überraschungsmoment noch einen Schritt später – denn selbst die Eingangstüre fügt sich noch schlicht und zurückhaltend in das Ensemble.
Beim Betreten der 240 Quadratmeter großen Wohnetage in der Schönleinstraße könnten die Augen dann aber kaum größer werden. Wo Neukölln und Kreuzberg aufeinandertreffen, haben BATEK ARCHITEKTEN mit viel Fingerspitzengefühl ein gemütliches Zuhause für eine fünfköpfige Familie geschaffen, das die Attribute “zart und hart” absolut stimmig miteinander vereint. Man merkt, dass die Architekten häufig mit Bestandsgebäuden arbeiten und dass ein großer Respekt für das Vorhandene besteht, das es in Folge individuell auf den Nutzer abgestimmt weiterzuentwickeln gilt. So lebt das Familienloft vom Gespür für Materialien, Farben und Licht, das in Kombination mit den klaren architektonischen Strukturen eine ganz eigene Atmosphäre verströmt.
Das Konzept der Planer beruht auf dem Prinzip, den offenen, großzügigen Eindruck des Raums nicht zu schwächen und trotzdem genügend geschützte Rückzugsorte für alle Familienmitglieder zu schaffen. Die Lösung ist eine Art Haus-im-Haus-Konstruktion aus Boxen, die frei in die Etage integriert wurden. Auf diese Weise bleibt der Bestand in seiner Hülle unangetastet und in seiner Höhe und seinem Charakter sinnlich wahrnehmbar. Die Oberflächen der Bestandsarchitektur wurden lediglich weiß gestrichen, sodass die Textur der Backsteinwände und -decken sichtbar und greifbar bleibt. Neben technisch anmutenden Designelementen finden sich auch Relikte der früheren Nutzung in Form von dekorativen Elementen an Wänden und Decke wieder. Das “Unperfekte” wirkt in diesem Zusammenhang so natürlich und selbstverständlich, dass es den Eindruck vermittelt: So und nicht anders muss es sein. Die massiven und gleichzeitig konstruktiv ästhetischen Stahlstützen runden den Gesamteindruck nicht nur ab, sondern zonieren den offenen Raum gleichermaßen, ohne dabei physisch störend zu wirken.
Insgesamt gliedert sich die Wohnung in zwei Zonen. Auf der einen Seite gibt es einen sehr offenen Bereich, der die Küche mit freistehendem Block, den Essplatz und die Wohnlandschaft umfasst. Die vielen großen Fenster sorgen in Kombination mit dem dominierenden Weiß von Decke und Wänden für einen weitläufigen, hellen und leichten optischen Eindruck. So zurückhaltend die Möblierung in ihrer Quantität daherkommt, so überzeugt doch deren Qualität. Die treffsicher ausgewählten Möbelstücke und Leuchten bilden eine gelungene Kombination aus bekannten Klassikern und individuellen Einzelstücken. Der geschliffene Industrieestrich fügt sich ebenso selbstverständlich in das Gesamtbild wie der Küchenblock aus Edelstahl. Die Verkleidung der Küchenzeile ist gleich den restlichen Einbauten in Dreischichtplatte aus Fichte ausgeführt, deren warmer, heller, fast zarter Holzton wiederum in gelungenem Kontrast zu der eher hart anmutenden Industriearchitektur steht.
Im Gegensatz zu der offenen Ess- und Wohnlandschaft, die eindeutig dem eher lauten, gemeinsamen Familienleben dient, ist der zweite Bereich deutlich zurückhaltender gestaltet. Seitlich des Eingangs fügen sich entlang eines diagonal verlaufenden Flurs maßgefertigte Boxen aneinander, die privatere Wohnbereiche wie ein Studio, Schlafzimmer, Bäder, eine Ankleide sowie ein Gästezimmer umfassen. Die Boxen aus Fichtenholz wurden zum großen Teil und ganz bewusst nicht bis zur Decke gezogen, um die massiven Unterzüge und die gusseisernen Stützen sichtbar zu belassen sowie den Raum seiner Tiefe nicht zu berauben. Die Deckel der Boxen bilden ihrerseits eine eigene Dachlandschaft, die zum Teil aus geneigten “Dachflächen” besteht und an anderer Stelle eine Art Dachterrasse ausbildet. Mit vertikalen Lamellen aus Fichtenholz halbprivat abgegrenzt, dient die Fläche über der Ankleide beispielsweise als Leseecke oder Rückzugsort zum Entspannen.
Wo Bäder raumhoch abgegrenzt werden mussten, haben die Architekten auf matte, milchige Polycarbonat-Stegplatten als Auskleidung der Holzkonstruktion zurückgegriffen. Das bringt nicht nur diffuses Licht tief in den Raum, sondern lässt auch die Grenze zwischen Wand und Luftraum optisch verschwimmen. Insgesamt entsteht so in Kombination mit dem zarten Rosaton, dem einzigen Farbtupfer in der Wohnung, ein zarter, fast romantischer Eindruck, der allerdings so gekonnt durch sein industrielles Pendant in Waage gehalten wird, dass die Stimmung zu keinem Zeitpunkt ins Kitschige abzudriften droht.
Räumlich bietet der Kunstgriff der Boxen eine Vielzahl an spannenden Nebeneffekten. So ergeben sich ganz natürlich immer wieder Sprünge im Höhenniveau, die sich in unterschiedlichen Deckenhöhen äußern, sich aber auch “topografisch” durch den Einsatz von Treppenstufen und Podesten bemerkbar machen – eine Wohltat für den Bewohner eines Lofts mit einer derartigen Raumhöhe. Zum anderen bieten die Boxen viel “versteckten” Stauraum, ermöglichen Einbauschränke und umfassen offene Regale, sodass auf freistehende Möbel weitgehend verzichtet werden kann.
BATEK ARCHITEKTEN beweisen mit der Umsetzung der WOHNUNG SCH52, dass sich Loftwohnungen nicht nur für Stars und Exzentriker zum Residieren eignen, sondern auch einer fünfköpfigen Familie ein individuelles Wohnerlebnis ermöglichen können.
WOHNUNG SCH52
Berlin, Deutschland
Bauherr: Privat
Planung: BATEK ARCHITEKTEN
Mitarbeiter: Anke Müller, Patrick Batek
Nutzfläche: 240 m2
Planungsbeginn: Februar 2018
Bauzeit: 6 Monate
Fertigstellung: November 2019
Text: Linda Pezzei
Fotos: Marcus Wend
Kategorie: Projekte