Konsumtempel zwischen Reduktion und Üppigkeit
Man kann mehrere grundsätzliche Richtungen unterscheiden, wie sowohl Shops als auch Restaurants, Boutiquen und dergleichen heutzutage eingerichtet werden: Die eine ist nüchtern, geprägt von konstruktiven Elementen, die Anzahl der präsentierten Waren ist auf ein Mindestmaß reduziert, der Preis ist meist auch dementsprechend hoch. Diese Richtung entspricht auch einem Trend der Architektur, Skelettkonstruktionen sichtbar zu lassen und somit die Ehrlichkeit, die Reduktion wieder in den Vordergrund zu stellen.
Die andere ist eine neue ‚Üppigkeit‘, ein Erzählen von Geschichten (storytelling), ein Überfrachten der Räume mit den verschiedensten Dekorationen und Elementen, auch aus anderen Stilepochen – es wird die Wirkung eines Basars erzeugt. Als Zwitter dieser beiden Richtungen entstehen die verschiedensten, hybriden Zwischenformen. Mal wird der Innenraum ausführlichst behandelt und mit architektonischen Elementen angereichert, mal wird bereits an der Schauseite der Architektur eine dem Inhalt entsprechende Gestaltung vorgenommen – dabei geht es um die psychologische Einstimmung des Kunden, meist bereits eine Vorselektion, wer überhaupt den Shop betreten soll. Auf jeden Fall ist in der Shoparchitektur der Wechsel zu einem Transportmedium, das Emotionen und vor allem Konsumlust auslösen soll, zu bemerken.
Auf dem Meeresgrund
Ein schönes Beispiel des ‚storytelling‘ ist der neue ‚Seafoodshop‘, den der Designer Jean de Lessard in Quebec entworfen hat. Er ließ sich bei den Entwurfsgedanken von Jules Verne und dessen Reise unter dem Meeresspiegel inspirieren. Das Konzept der gesamten Inneneinrichtung ist von der Imagination von fraktalen Kristallstrukturen, die durch das schräge Auftreffen der Sonnenstrahlen auf die Wellen der Wasseroberfläche entstehen, geleitet. Von der skulpturalen Decke mit den vielfarbigen Lichtelementen bis zu den Kühlboxen und Präsentationsflächen für Fisch, Muscheln und ähnlichem Meeresgetier – alles hat einen kristallinen Touch. Die Kunden haben die Möglichkeit des sogenannten ‘promenade-shopping’, sie defilieren an den verschiedensten Stationen vorbei, auf einer Zeitlinie zwischen heute und morgen, alles ein bisschen verrückt aber lustig. Das Konzept beruht darauf, den Produkten beim Entdecken derselben einen zusätzlichen Wert zu geben, durch eine Reise der Sinne um die verschiedenen Displays herum. Es bedeutet eine Interaktion zwischen Verkäufer und Klient durch ein gemeinsames Erleben und Experimentieren, auch in einem kleinen Raum.
Die stylischen Kühlsysteme, bedeckt von Glaskristallen, sind Sonderanfertigungen in der Art von Juwelenvitrinen. Sie bestehen aus Corian®, einem sehr resistenten Material, das auch den niedrigen VOC-Emissionsrichtlinien der kanadischen Regierung entspricht. Es bedeutete allerdings eine Arbeit von Monaten, um die Spezialisten für Corian®, Fischkühlung, IT-Management und Glasproduktion zusammenzubringen. Auch die weiß-grauen keramischen Fliesen am Boden stellen eine Referenz an Jules Verne dar – die Hartholzdielen an Deck des sagenhaften U-Bootes Nautilus.
Nüchternes Understatement
Eine Uhr, entworfen vom John Morgan Studio, ziert die Fassade des neuen Valentino Flagship Store in New York. Sie ist ein sichtbares Zeichen einer Öffentlichkeit und auch des Understatements. Ein ganz schlichtes Design, wie eine Bahnhofsuhr – schwarz/weiß – und nur eine einzige Ziffer schmückt das Ziffernblatt: ein großes römisches V (fünf) identifiziert sich selbst als Valentino. Das Konzept der Innenausstattung stammt von David Chipperfield Architects. Das Erdgeschoss ist komplett mit Terrazzoboden und ebensolchen Wänden verkleidet. Von hier aus verbindet eine monolithische Stiege aus Palladianer (Natursteinplatte in der Tradition des bedeutendsten Architekten der Renaissance, Andrea Palladio) den zweigeschossigen Erdgeschossbereich mit dem Obergeschoss. Von der Stiege aus können die Kunden die über die Wandfläche verteilten Regale aus Messing und Eichenholz mit den darauf zur Schau gestellten Produkten bewundern, aber auch den gesamten Raum überblicken. In der oberen Ebene ergibt sich eine weitere Enfilade von Räumen, jeder mit eigenen architektonischen Accessoires ausgestattet.
Schatzkammer des Atreus
Anlehnungen an historische Zitate, gemischt mit Hightech – auch das findet sich in manch einer modernen Shopgestaltung. An der Kreuzung einer wichtigen Geschäftsstraße in Shanghai errichtete das Design- und Architekturbüro UUfie den neuen Flagshipstore des Modehauses Ports 1961. Die Fassade demonstriert die Möglichkeiten von Designexperimenten, zeigt Transformationen von Form, Material und Technologie, beinhaltet aber immer noch sowohl Tradition wie zeitgenössische Interpretation.
Sie ist aus zwei verschiedenen Glasblöcken zusammengesetzt: ein Standardblock aus Glas mit 300 mm x 300 mm und ein Sonderstein mit 300 mm x 300 mm x 300 mm als Eckstein ausgebildet. Im Unterschied zu einer normalen Glasbausteinwand erlauben diese beiden Typen eine dreidimensionale Gestaltung, die den Eingang des Geschäftes, wie bei einer Schatzkammer zurücksetzt. Gleichzeitig scheint es den Straßenraum in das Innere hineinzuziehen. Für die Montage wurde eine neue, in den Glasstein integrierte Befestigungstechnik gewählt. Die optische Wirkung von satiniertem Glas und sandgestrahltem rostfreiem Stahl stellt einen großen Kontrast in dieser chaotischen Stadt dar: Bei Tag reflektiert der Körper die Sonnenstrahlen und nächtens wirkt er eisig und kantig. Durch in den Verbindungsstücken der Glassteine integrierte LED kann die Fassade beleuchtet werden und es können auch Botschaften – zusätzlich zu den Videowänden – sichtbar gemacht werden.
Nur der Raum wirkt
‚Tobys Home‘ ist ein Café und auch der Flagshipstore einer Spielzeugmarke in Daxing/Beijing. penda (vom österreichischen Designer Chris Precht gegründet) dachte die Umsetzung des Spielzeuges in ein architektonisches Konzept als wachsender Keim und übersetzte Bäume und Gewächse in lange Bögen, die sich unten bündeln und mit ihrer oberen Ausdehnung Bereiche bilden. In den 4,5 Meter hohen Räumen wurden die Bögen zu zweiseitig gerichteten – im Fall der Hinterleuchtung wie Blütenstände des Löwenzahns wirkenden – Säulen angeordnet. Gleichzeitig können diese als Displays, als Regale für Bücher, Accessoires, Puppen und Pflanzen verwendet werden. Wenn man die 800 m2 großen Räume betritt, ist die erste Ansicht der Säulen wie die einer Wand. Beim Weitergehen öffnen sich Durchblicke, laden zum Erforschen der hinteren Zonen ein und bieten Entdeckungen für die Besucher.
Oberhalb dieser Säulenbündel sind die Infrastruktur und raumtragende Elemente verborgen. Das Raumkontinuum fordert den Nutzer auf, sich durch die gebildeten Räume zu bewegen, aktiv den Raum zu erkunden und zu erleben. Eine Serie von Rampen und Stiegen verbindet die Ebene mit einem Zwischengeschoss, welches Ausstellungen und Sitzbereiche beinhaltet. Alle Rampen und Geländer sind an weiß gestrichenen Stahlseilen von der Decke abgehängt. Dieser weiße Wald von Säulen kann jederzeit durch LEDs in verschiedenen Farben illuminiert werden.
Badkultur vom Feinsten
Zur Präsentation der exklusiven Produktlinie, welche die italienischen Designer Ludovica und Roberto Palomba für die Kartell Laufen Kollektion entwickelt haben, wurde nun auch ein neuer Showroom in Mailand eröffnet. Auch hier wurde das Konzept von den beiden Künstlern inspiriert. Die Hauptebene zeigt ein offenes und großzügiges Layout um die Produkte zu präsentieren. Auf 200 Quadratmetern werden mit getönten, transluzenten Glasscheiben Zonen geschaffen, in denen einzelne Produktgruppen gezeigt werden. Die neutrale und warme Farbpalette ergibt eine unerwartete, thematische Gesamtstimmung. Glas ist als Material in eine Kategorie mit Keramik und Polykarbonat (Bestandteile der Kollektion) einzuordnen und somit entsteht im Konzept wieder ein Zusammenhalt. Sehr geschickt wird durch einzelne Holzelemente und Accessoires eine Stimmung erzeugt, die der Wohlfühlatmosphäre und der Intimität eines Badezimmers entspricht.
Reduzierte Gestaltung
Verchromte Metallrahmen stellen den Großteil des Designs des neuen CABANE de ZUCCa Shops in Daikanyama, Japan – entworfen von Schemata Architects – dar. Im Verkaufsraum wird die Inneneinrichtung ganz klar von einer industriellen Palette an Materialien beherrscht. Wände, Böden und Decke benutzen verschiedene Sichtbetonstrukturen – nichts soll von den zur Schau gestellten Waren ablenken. Auf verschiedenen galgenähnlichen Metallrahmen hängt eine Auswahl von wenigen Stücken, manche liegen auch auf Metallflächen. Ein zweites Element stellen die kubischen Displays aus Beton und Holz dar. Sie sind entlang der Wände aufgereiht und dienen dazu, Kombinationen männlicher und weiblicher Bekleidungsstücke zeigen zu können.
Text: Peter Reischer
Kategorie: RETAILarchitektur