Stararchitekt Alejandro Aravena

19. Mai 2016 Mehr

Architektur als Gemeinschaftsarbeit.
Das große Ereignis der Architekturszene im heurigen Jahr findet am 4. April im UN-Hauptquartier in New York statt: Der Pritzkerpreis 2016 wird an den chilenischen Architekten Alejandro Aravena vergeben. Genauso, wie auf den Gebieten Physik, Chemie, Physiologie, Medizin, Literatur und für Friedensbemühungen der Nobelpreis vergeben wird, existiert der Pritzkerpreis, als inoffizieller Oscar (oder manchmal auch als der Nobelpreis) der Architekturpreise bezeichnet. Diese jährlich vergebene Auszeichnung ist mit 100.000 US-Dollar dotiert und genießt in Fachkreisen eine hohe Wertschätzung. Der erste und bisher einzige Österreicher, der den Pritzkerpreis erhielt, war Hans Hollein (1985).

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Der Altersschnitt der Preisträger ist bisher sehr hoch: Bis jetzt lag er bei weit über sechzig, und es waren seit 1979 auch nur zwei Frauen darunter. Auch afrikanische Architekten sucht man vergebens. Als erster chilenischer Architekt wurde heuer der 48-jährige Alejandro Aravena gewürdigt. Es ist eine mutige Entscheidung, nicht wieder Architekten, die ausschließlich für zeichenhafte und imageträchtige Architektur stehen, zu ehren. Gerade heute, in einer Zeit der großen Migrationsbewegungen, der Entstehung von Slums und sozialen Gettos in den Städten, sind die Fragen des Bauens andere als jene der Bilder und technoider Methoden. Aravena steht symbolhaft für eine ganze Reihe von Architekten, die sich (wieder) sozialer Themen als Teil des Architekturprozesses annehmen. Die auch einmal umbauen, statt abzureißen und den Menschen mit den sozialen Strukturen funktionierender Gemeinschaften in den Mittelpunkt stellen. „Er ist Ausdruck für eine neue Generation von Architekten, die ein holistisches, umfassendes Verständnis der gebauten Umwelt haben“, lautet die Erklärung der diesjährigen Pritzkerjury.
Schon 2001 gründete Aravena die Institution „Elemental“, von ihm selbst in Anlehnung an die sonst so häufig anzutreffenden ‚Thinktanks‘ als „Do-Tank“ bezeichnet. Zu den Low-Cost-Projekten von Elemental zählen Wohnbauten und Reihenhaussiedlungen für einkommensschwache Schichten, die wunderbar beweisen, dass man auch mit wenig Budget und einfachen materiellen Ressourcen lebenswerte Architektur schaffen kann.
Vor allem eines seiner Projekte wurde zum Inbegriff einer neuen Denkhaltung in der zeitgenössischen Architektur: 2003 sollte er Häuser für hundert Menschen im nordchilenischen Iquique entwerfen – es gab allerdings nur 7500 Dollar Fördergelder pro Familie. Er entschied sich dafür, nur halbe Häuser zu bauen, die Infrastruktur und alles, was man schwer selbst machen kann, zu errichten und zwischen den Häusern Raum freizulassen. Diesen können die Bewohner wahlweise als Terrassen nutzen oder, wenn etwas Geld da war, zumauern und vermieten. So verschaffte er den Einwohnern ein zusätzliches Einkommen. Das Projekt war auch ästhetisch ansprechend und wurde mehrmals in Chile und Mexiko kopiert. Es beweist, dass man auch mit wenig Budget und einfachsten materiellen Ressourcen nicht nur publikations-, sondern auch lebenswerte Architektur schaffen kann.

Aber nicht nur im großen Maßstab in der Architektur ist er unterwegs. Für die Firma Vitra entwarf er 2010 das Alltagsutensil „Chairless“. Abgeschaut ist das Prinzip von den Ayoreo Indianern, einem nomadisch lebenden, Stamm zwischen Paraguay und Bolivien, die sich aus dem Bast der Bäume so ein Stück selbst bastelten. Der leichte, strapazierfähige Gurt, den man sich um Rücken und Knie schnallt, ist ein ergonomisch fast gleichwertiger Ersatz für Sessel, um auch am Boden sitzend bequem Mahlzeiten zu sich nehmen zu können.

Aravena ist jedoch eine zwiespältige Persönlichkeit. Es gibt in seinem Oevre auch imageträchtige Beispiele, die sich der Nähe zum Brutalismus nicht verweigern. Dazu gehört sicherlich das UC Innovation Center der Angelini Gruppe in Santiago in Chile (architektur 08/14). Könnte man die menschliche Figur nicht als Maßstab heranziehen, entzöge sich dieses architektonische Objekt jedem proportionalen Vergleich. Es ist zeitlos, beeindruckend, energieeffizient, hat einen spröden Charme – der vom verwendeten Material Beton herrührt – und ist ausgesprochen lehrreich in seiner nonkonformen, funktionalen Konzeption.
Interessant ist auch, dass Alejandro Aravena der Direktor der heurigen Architekturbiennale in Venedig ist. Nachdem Chipperfield eine Themenverfehlung und Koolhaas eine Systemanalyse geliefert hatten, steht mit dem Motto „Reporting from the Front“ ein weites Feld für den „Architekten beider Welten“ offen.

Text: Peter Reischer
Fotos: ©Cristobal Palma / Ramiro Ramirez / Tadeuz Jalocha

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Kategorie: News