„Bio“ im Reich der Mitte
Organic Farm / Tangshan City / Arch Studio
Während in Europa bzw. der westlichen Welt bereits fast alltäglich von „urban farming“, „vertical farming“ und dergleichen gesprochen wird, ist der Bau einer landwirtschaftlichen Produktionsstätte für organische (Bio-)Lebensmittel in China eine aufregende Angelegenheit. Zumal im Land der Mitte durch eine strikte Verordnungspolitik alles sehr extrem und auch konsequent umgesetzt wird. Vielleicht entsteht hier in Asien Europas neuer Konkurrent für Bio-Lebensmittel? Zwar beträgt der Konsum von Bioprodukten in China nur ca. ein Prozent des Gesamtverbrauches, aber die Zahl wächst rasant. Seit 2000 stieg die Fläche für den Biolandanbau von 4.000 Hektar auf 1,3 Millionen Hektar im Jahr 2013 – das ist etwa ein Prozent der gesamt verfügbaren landwirtschaftlichen Fläche Chinas. Mittlerweile stellen Bioprodukte einen nicht unwesentlichen Teil der Nahrungsmittelversorgung der großen Ballungsräume und Städte in China dar.
Die Bewohner großer Städte benötigen Lebensmittel. Diese werden heute teilweise in der Stadt selbst produziert, teilweise werden sie von außen geliefert. In China hat das Arch Studio in Tangshan eine „Organic Farm“ entworfen, das entspricht der Vorstellung eines großen Biobauernhofes in unseren Ländern. Die Architektur ist hell, leicht, transparent und schafft ein angenehmes Arbeitsklima.
Das Projekt des chinesischen Büros Arch Studio ist zwar im Vergleich mit ähnlichen westlichen Produktionen nichts Besonderes, aber trotzdem sticht es durch eine klare Struktur, nachhaltige Baumaterialien und ein wahrlich „transparentes“ Konzept hervor. Die „Organic Farm“ befindet sich auf einem eingezäunten Landstück im Guye Distrikt in Tangshan. Mehrere Gebäude und Häuser verteilen sich auf einer rechteckigen Grundstücksfläche von 6.000 m2. Die Grundfunktion der Bauten ist die Verarbeitung der Ausgangsmaterialien zu Bioprodukten zu ermöglichen. Die Rohstoffe kommen von den Biobauern der Umgebung, werden gesammelt, zu der Farm geliefert und hier verarbeitet und verpackt. Als fertige Produkte werden sie an die Verteilerstellen weitergeschickt.
Der Entwurf der Architekten ist vom Gedanken des traditionellen Hofgebäudes inspiriert. Die Überlegung war, einen vergrößerten Hof als Arbeitsbereich voller Naturlicht und mit der entsprechenden Flexibilität für verschiedenste Prozesse zu gestalten – einen sich selbst bestimmenden Arbeitsbereich, der sich mit den umgebenden Räumlichkeiten zu einem fließenden Ganzen verbindet. Fast alle umschließenden Wände sind aus transluzenten Materialien und von einem rundum führenden Korridor aus, können Besucher den gesamten Produktionsablauf besichtigen.
Der Gesamtkomplex besteht aus vier umschließenden und relativ unabhängigen Häusern: Materiallager, Mühle, Ölpresse und Verpackungsstation. Der Innenhof ist der Bereich zum Trocknen des Getreides, eine passende Verarbeitungsstraße läuft an seiner Außenseite entlang. Die Begrenzung des Gesamtgebäudes ist ein außen liegender Korridor, welcher die vier Areale verbindet. Gleichzeitig kann man ihn als Besucher benutzen, um bei den diversen Prozessen zuzuschauen, was einen pädagogischen Aspekt erkennbar werden läßt.
Der zentrale Hof bildet sich eher zufällig zwischen den Baukörpern, topologisch formt er verschiedene Bereiche und Zonen. Diese entsprechen den Bedürfnissen nach der Belichtung der angrenzenden Räume, Durchlüftung und Durchblicke in die unterschiedlichen Arbeitsbereiche, bei gleichzeitiger Wahrung einer angenehmen inneren und äußeren Raumqualität und Atmosphäre. Die fast selbstverständliche Verbindung der Häuser mit dem Hof schafft unterschiedliche funktionale Bereiche von ebenso unterschiedlicher Größe unter einem gemeinsamen großen Dach. Schmale Gänge, mittelgroße Räume und große Arbeitsbereiche fügen sich zusammen, um sich den Bedingungen der gemeinsamen Arbeit und Produktion anzupassen.
Bei den Baumaterialien wählten die Architekten verleimtes Holz wegen seines geringen Gewichtes für die Tragstrukturen. Es ist leicht zu produzieren, aufzubauen und außerdem eine natürliche Ressource. Das Gebäude „schwebt“ über dem Boden auf einer 60 cm hohen Basis aus Beton. So war es einerseits möglich, die tragenden Holzteile gegen aufsteigende Feuchtigkeit geschützt zu positionieren. Andererseits bietet der Sockel genug Platz für die notwendige In-frastruktur, Rohre, Leitungen und Anschlüsse.
Um das Baubudget im Griff zu haben, benutzte man leichte Holzteile und Holzständerwände mit einer Länge von 2,1 Meter für den Ausbau. Die Dachkonstruktion besteht aus Leimbindern, die Deckung aus Dachpappe. Die Fassade fertigte man aus transluzenten Polykarbonatplatten, sie sind ebenfalls leicht und auch einfach zu verlegen. Alles in allem schafft die Struktur, Materialwahl und die Transparenz der Architektur eine warme, und vor allem eine sich durch den gesamten Baukörper durchziehende, natürliche Arbeitsatmosphäre in der Farm, so wie sie auch für Bioprodukte entsprechend ist.
Chinas Landwirtschaft
Die ersten Spuren einer Landwirtschaft sind in China um 5.000 v. Chr. datiert. Um ca. 618 v. Chr. begann man in China mit dem Anbau von Hirse. Die Entwicklung der Landwirtschaft in China hat eine bedeutende Rolle bei der Entstehung des Landes mit der jetzt weltgrößten Bevölkerungszahl gespielt. Auch in der chinesischen Mythologie gibt es eine lange Tradition des Ackerbaus.
Als Heimat der weltgrößten Landwirtschaftssysteme produziert China 20% des Nahrungsmittelbedarfs der ganzen Welt. Der Großteil der Flächen wird für Weizen- und anderen Getreideanbau verwendet, findet aber auf nur 10% der kultivierten Bodenfläche statt. Der Beginn der „organischen Landwirtschaft“ in China liegt in dem „Green Food“ Zertifizierungsprogramm der Regierung aus den 90er Jahren. Hier wurden gewisse Produkte zwar nicht als „organisch“, sondern eher als „hochqualitativ und mit wenig Pestiziden belastet“, bezeichnet. Daraus entwickelte sich jedoch bis heute Chinas erste organische Zertifizierung.
Organic Farm
Tangshan City, China
Bauherr: Privat
Planung: Arch Studio
Statik: Bejing Nansen Wood Structural
Engineering Co., Ltd
Grundstücksfläche: 6.000 m2
Bebaute Fläche: 1.720 m2
Planungsbeginn: 06/2015
Bauzeit: 09/2015 – 04/2016
Fertigstellung: 04/2016
Text: Peter Reischer
Fotos: ©JIN Wei-Qi