Chuon Chuon Kim Kindergarten Vietnam
Eine runde Sache.
Kindergarten / Ho Chi Minh City / KIENTRUC O
Selten hat man einen Kindergarten gesehen, der so hundertprozentig mit Liebe durchkonzipiert und gestaltet ist. Der im folgenden Artikel beschriebene steht leider nicht in Europa, sondern in Vietnam in Saigon, jener Stadt, die heute Ho Chi Minh City genannt wird. Auf ihn trifft die „Formel“, dass der Raum als dritter Erzieher fungiert – eine viel zitierte, verschieden interpretierbare und leider auch missverständliche Metapher – völlig zu.
Die vietnamesische Stadt und ihre gesellschaftliche Sozietät haben sich in den letzten Jahren dermaßen schnell entwickelt, dass diese Folgen und Spuren auch an Konstruktionen und der Architektur deutlich sichtbar sind. Es hat sich zu einer gängigen Praxis entwickelt, alte, existierende Bauten einem Refurbishment zu unterziehen und ihnen neue funktionale und ästhetische Inhalte zu geben. Normalerweise wird das durch eine räumliche Erweiterung, Aufstockung oder dergleichen vorgenommen, aber immer mit begrenzten Ressourcen und vor allem unter Zeitdruck.
Angesichts dieser Erschwernisse hhat es das örtliche Architekturbüro kientruc o geschafft, einen fröhlichen und hellen, vor Vitalität strahlenden Kindergarten zu realisieren, der eine neue Generation der vietnamesischen Bevölkerung (auch mit räumlich-pädagogischen Konzepten) fördert. In einem ehemaligen Stahlbeton-Rasterbau sind wie in ein Hochregallager drei kleine Hausformen hineingestapelt. Jede der einzelnen Fassaden ist unterschiedlich, mal farbig, mal mit plastischen und grafischen Elementen verziert. Ein viertes Haus thront quer als Abschluss im Obergeschoss und zeigt seine Dachfläche zur Straße hin.
Ein kleiner Gartenbereich bildet eine Pufferzone zwischen Straße und Architektur. Er ist der östlichen Tradition entsprechend liebevoll gestaltet. Ein geschwungener Weg, mit einfachen dunklen Platten belegt, führt von der Tür im Zaun zu dem leicht zurückgesetzten Eingangsbereich im linken Teil. Dieses Häuschen ist leicht schräg gedreht und die sich daraus ergebenden räumlichen Verschneidungen mit dem Raster des ursprünglichen Gebäudes, ergeben durchaus ansprechende Raumkonfigurationen im Inneren der Architektur. Ganz an der linken Grundstücksgrenze befindet sich an der Außenseite des Baukörpers eine schmale Treppe, die über mehrere Podeste eine Erschließung der oberen Ebene zusätzlich zum internen Stiegenhaus bietet. Die Architekten haben den ehemaligen, monolithischen Rasterbau aus Stahlbeton in ein wirkliches Haus für Kinder verwandelt.
Von der Straße her leuchten vor allem in der Nacht hinter dem bescheidenen Lattenzaun und dem niederen Holztor die drei kleinen Häuschen mit Giebel aus dem Betonskelett heraus. Zwei im Erdgeschoss, davon eines ‚offen‘ nur als Umriss mit leicht zurückgesetzter gläserner Eingangsfront und eines geschlossen. Sie schließen nicht mit der Trauflinie ab, sonder springen unregelmäßig vor und zurück. Das dritte Häuschen im ersten Stock ist knallgelb, etwas breiter als die beiden unten liegenden und deshalb sieht man auch die alte Tragstruktur (Stahlbetonsäule) hinter dem Fenster mitten durch den Raum gehen. Seine Fassade ist mit kleinen, kreisförmigen Löchern perforiert, dieses Muster setzt sich im links befindlichen Nurglasfenster (welches en miniature die Hausform wiederholt) als gedruckter Raster auf der Glasscheibe fort. Ein kluger Gedanke, denn so ist für die Kinder von innen die Scheibe als Hindernis erkennbar und Unfälle werden vermieden.
Die Innenseite des unteren rechten Häuschens ist wie die Außenseite des obere Häuschens gelb gestrichen. Der First ist abgeflacht (ohne jedoch dadurch die Giebelform zu zerstören) und über ein Glasband fällt von oben wunderschönes Naturlicht in den Spielbereich ein. Interessant als Lösung ist in diesem Kinderraum die in den Raum eingebaute Nasszelle. Sie ist ab einer Höhe von ca. 1,20 Meter verglast, deckt so zwar den unmittelbaren Sanitärbereich ab, ermöglicht aber sowohl den Kindern wie auch dem Betreuungspersonal ständigen Sichtkontakt miteinander.
Das Projekt verlangte einen multifunktionalen Raum, er sollte flexibel sein, von einzelnen privaten Bereichen bis zu öffentlichen Räumen für Veranstaltungen alles ermöglichen. Einzelne Räume sollten erweiterbar sein, teilbar – aber immer in die bestehende Struktur des Hauses passen. Die Architekten wählten in ihrer Herangehensweise an die Aufgabe einen Ansatz, der auch den Bedürfnissen der Kinder entsprechen sollte: Kinder fühlen sich bekanntlich in Räumen wohl, die ihrer kindlichen Größenordnung und ihren Proportionen entsprechen. Solche Räume geben den Kindern Sicherheit und fordern sie zur Erkundung und Entdeckung der Umwelt heraus. Aus der Sichtweise der Erwachsenen gesehen, stimulieren solche zusammenhängenden, kleinen Einheiten die Kinder dazu, die Welt außerhalb der eigenen „privaten Blase“ zu entdecken. Deshalb lassen sich mit wenigen Handgriffen lange „Raumfluchten“ schaffen, die bei Bedarf wieder in einzelne Funktionsräume zurückverwandelt werden können. Diese Flexibilität ist eine direkte Antwort auf das geforderte Raumprogramm und die pädagogischen Grundstrukturen, welche die Architekten bieten wollten.
Die schon erwähnten Kreisformen finden sich in mehreren Elementen und Bauteilen wieder: im Stiegenhaus, an den Wänden und Brüstungen. Ein ebenso wiederkehrendes Element ist die Giebeldachform. Die Fassaden der drei kleinen Häuschen ziehen sich als Bildscheiben in die Architektur hinein. In Falllinie an der Innenseite der Dächer angebrachte Neonröhren verstärken die Hausform und bieten ein zwar vielleicht relativ helles, aber dafür ausreichendes Lichtlevel. Das oberste Geschoss, in dem die typische Hausform quer gedreht ist, ist an der Trauflinie zur Straße hin auf Kinderhöhe (ca. 1,20 Meter) gedrückt. Ein schmales, durchgehendes Lichtband gewährt Aussicht auf den Garten und lässt das Dach gleichsam schweben. Der vor dem Kindergarten stehende Baum ist hier (selbstverständlich in Kindergröße) als plastischer Baumstamm mit an die schräge Decke gemalter Krone und kleinen plastischen Wolkensymbolen wiederzufinden. Und (als Allegorie zum Satteldach) sind zwei dreieckige Oberlichten im Dach eingebaut – sie geben Licht für den Raum.
Holz auf den Böden, leuchtende. aber nicht zu viele – Farben, einfache, aus der Kubusform entwickelte Regalsysteme und Aufbewahrungsbehälter, stimmige Lichtführungen und große Flexibilität runden dieses Projekt ab.
Chuon Chuon Kim Kindergarten
Ho Chi Minh City, Vietnam
Bauherr: privat
Planung: KIENTRUC O
Mitarbeiter: Dam Vu, An Ni Le, Triet Le, Tien Dang, Nhung Ho, Dan Ho
Grundstücksfläche: 265 m2
Bebaute Fläche: 486 m2
Planungsbeginn: 09/2014
Bauzeit: 11/2014 – 03/2015
Fertigstellung: 03/2015
Baukosten: 73.000 Euro
Text: Peter Reischer
Fotos: ©Oki Hiroyuki