Das Len Lye Centre ist eröffnet
Len Lye Centre / New Plymouth / Patterson Architects Associates
Ein Tempel für die Kunst. Neuseeland (eng. New Zealand) ist den meisten Europäern durch die, von dort nach Europa importierten, Kiwis bekannt. Aber kaum jemand weiß, wo es eigentlich wirklich liegt. Und dass dort auch extravagante und moderne Architektur zu finden ist.
Aus diesem geografisch isolierten Inselstaat im südlichen Pazifik (1.200 km südwestlich von Australien) stammt auch einer der bedeutendsten Filmemacher und Künstler, Len Lye. In den 30er Jahren galt er als ein früher Pionier des künstlerischen Experimental- und Farbfilms (siehe Kasten). Auf der nördlichen Hauptinsel des Staates wurde nun in New Plymouth, in der Region Taranaki, das neue Len Lye Centre eröffnet. Es ist eine Erweiterung der im klassischen Kolonialstil erbauten Govett-Brewster Art Gallery. Entworfen ist das Zentrum von den Patterson Architects Associates, die wiederum zu den international bekanntesten Architekten Neuseelands mit Projekten in Indien, Singapur, Australien, Deutschland und China zählen.
„Herausragende Architektur hängt zu 50% mit herausragender Kunst zusammen“, so formulierte Len Lye 1964. Die in New Plymouth neu erbaute Architektur ist eine Art Kombination von ‚kinetischer Kunst‘ und einem Museum, in Verbindung mit einer Kunstgalerie. Wobei Architektur ein nicht ganz zutreffender Ausdruck für dieses Objekt ist – eine ca. 14 Meter hohe, senkrechte, aus poliertem, spiegelndem Stahl bestehende, wie ein Vorhang gewellte Wand umschließt wie eine Kolonnade den Komplex. Der Baukörper verwehrt sich der genauen Fixierung durch Spiegelung der Umgebung, verzerrt sowohl Betrachter als auch sich selbst durch leicht geneigte vertikale Falten und erinnert ein bisschen an die Spiegelkabinette der Geisterbahn im Wiener Prater. Nur der Maßstab ist ein anderer. Auch die angrenzenden Gebäude aus der Kolonialzeit spiegeln sich in den Faltungen, dadurch passt sich der Körper – trotz gänzlich fremder Anmutung – doch auch irgendwie in die Umgebung ein.
Wenn man sich etwas mit der Arbeit des hier gewürdigten Künstlers auseinandersetzt, ist die Form und das Aussehen allerdings 100% schlüssig. Das Design artikuliert Len Lye’s Philosophie und die Verbindung, Beziehung zwischen Kunst und Architektur. Es schafft einen ehrerbietenden Raum und ein sensorisches Erfahrungsexperiment aus Licht – einen Tempel für die Kunst eben. Das für die äußere Hülle gewählte Material – ein hochreflektierender rostfreier Stahl – ist eine Referenz an die innovative Stahlindustrie von Taranaki. ‚Stahl ist Taranaki‘s lokaler Stein‘, wie die Neuseeländer zu sagen pflegen. Die Hülle erzeugt die verschiedensten Reflexionen und Eindrücke, je nach Tageszeit und Saison. So wie Lye manche seiner Filme ohne Kamera schuf (durch Zerkratzen und Zerstören der Trägersubstanz) entsteht hier ein Raum ohne die in unserem Bewusstsein und Denkmuster typischen Wände und Dächer. Es ist wie eine sich gerade materialisierende Vision, die zum Staunen und auch Nachdenken anregt.
Lye hatte sich auch zeit seines Lebens für die Kultur und die Architektur der Maoris interessiert. Er war immer schon von Tempeln und der Kultur der polynesischen Inseln fasziniert. Diesen Einfluss hat Architekt Patterson aufgegriffen und das Innere des Hauses in eine Allegorie eines sogenannten ‚Wharenui‘ (das ist das traditionelle Gemeinschaftshaus) der Maori verwandelt. Entsprechend den Faltungen und Bügen der äußeren Form streben im Inneren mächtige, 14 Meter hohe Stahlbetonsäulen – in Form eines Winkels mit runder Ecke – zur Decke empor. Die Wand könnte, in Anlehnung an klassische Tempelbauten, als Dipteros betrachtet werden, sie hat jedoch 9 Säulen statt 8 und verweigert sich so der logischen Erfassung. Alles was bleibt, ist die Reflexion und die Wirkung des Lichtes.
Jede der Säulen ist in einem einzigen Stück aus Stahlbeton vorgefertigt. Sie sind regelmäßig in Durchmesser und ihrer grundrisslichen Situierung, jedoch unregelmäßig in ihrer vertikalen Ausrichtung und bilden einen fast sakralen Raum für die notwendigen Inhalte des Museums. Zwischen den weichen Formen der Säulen und den, in den Innenraum eingeschriebenen, orthogonalen Funktionsbereichen entstehen schmale und hohe skulpturale Lichträume, die metaphorisch die Haltung des Künstlers, mit Kunst und Architektur oder Körpern umzugehen, versinnbildlichen. Und entsprechend der Tradition der Maoris, bei denen das ‚Wharenui‘ der narrativen Ver- und Übermittlung diente, wird zwischen diesen ‚Wänden‘ das Werk und die Philosophie des Künstlers – entsprechend dem Programm eines Museums – vermittelt und dargestellt.
Len Lye Centre
New Plymouth, Neuseeland
Bauherr: The Govett-Brewster Art Gallery
Planung: Patterson Architects Associates
Mitarbeiter: Andrew Patterson, Andrew Mitchell, Daniel Zhu, Caleb Green, Joanna Aitken
Statik: Holmes Consulting Group
Grundstücksfläche: 3.600 m2
Nutzfläche: 2.000 m2
Planungsbeginn: 2010
Fertigstellung: 07/2015
Baukosten: 10,2 Mio. Euro
Text: Peter Reischer
Fotos: ©Patrick Reynolds / ©Sam Hartnett