Das Recht auf Licht – Informatikmittelschule
„Ich wollte eine Schule machen, bei der nicht gleich das Unangenehme, das bei Schulen immer so auffällt, sich bemerkbar macht.“
Mit diesem Zitat beschreibt der österreichische Architekt Helmut Richter seine Motivation zur Realisierung eines experimentellen Schulgebäudes – dieses sollte zu einem der bedeutendsten Werke im Leben des Bauexperten werden. Im Jahr 1994 wurde der damals innovative Bau auf dem Kinkplatz im 14. Wiener Gemeindebezirk eröffnet. Richters Grundidee war, ein Objekt zu planen, das durch seine einzigartige, transparente architektonische Gestaltung eine optimistische gesellschaftliche Haltung vermittelt. Im Alltag hat sich diese Herangehensweise für die Informatikmittelschule durchaus bewährt, wobei der Entwurf zweifelsohne eine räumliche Höchstleistung darstellt. Kennzeichnend ist unter anderem die helle und freundliche Atmosphäre im Gebäude, welche durch die Wahl transparenter Materialien gepaart mit einer freundlichen Farbgebung ermöglicht wurde. Und doch ist nicht zu leugnen, dass es sich bei dem Bauwerk um ein Architekturexperiment handelt. Für die Praxis bedeutet dies, dass das Gebäude einer stetigen Anpassung bedarf, bis dieses seine Funktion in zufriedenstellendem Maße erfüllt – eine Aufgabe, welcher die Stadt Wien nun nachkommen soll.
Gibt es das ideale Schulgebäude?
Ursprünglich stellte das Bauwerk am Kinkplatz ein Wiener Vorzeigeprojekt dar und galt deshalb auch als eines der Hauptwerke des österreichischen Stararchitekten Helmut Richter. Was jenes Projekt von vielen anderen Schulbauten unterscheidet, ist der großzügig angelegte Frontalbereich mit der gläsernen Außenhaut. Damit ergibt sich eine Öffnung zum Licht hin, die bei jeder Wetterlage zu einer freundlichen Atmosphäre im Gebäude beitragen soll – denn laut Richter sei selbst schmutziges Glas immer noch durchsichtiger als Beton. Auch der schweizerisch-französische Stadtplaner und Visionär Le Corbusier stellte bereits vor fast 100 Jahren fest, dass „jeder Mensch ein Recht auf Licht“ hat. So versuchen mittlerweile viele Planer Sonnenlicht in ihre Projektkonzeption mit einzubeziehen. Ältere Schulgebäude sehen sich jedoch häufig mit einem Mangel an Tageslicht konfrontiert – dies gilt vor allem für die Gänge und Aufenthaltsräume der Bauwerke. Dabei werden insbesondere offene Strukturen, vielfältig nutzbare Räume und zahlreiche Grünflächen von Experten als Eckpfeiler für Schuleinrichtungen mit Wohlfühlcharakter genannt.
Auch die Auflösung althergebrachter Klassenstrukturen ist gemäß Architekten wie Thomas Grasl und Rainer Fröhlich von SWAP Architekten anzustreben. Grundsätzlich gilt es außerdem zu beachten, dass verschiedene Altersstufen unterschiedliche Anforderungen an den Raum haben, weshalb ein Schulgebäude eine vielfältige Innenraumgestaltung aufweisen sollte. Zusätzlich bestimmt die Art des Unterrichts das Aussehen der Räumlichkeiten. Generell brauchen freies Lernen und Übungen in Kleingruppen mehr Platz als klassischer Frontalunterricht und größere Klassen.
Von immenser Wichtigkeit sind Zwischenräume zwischen den einzelnen Klassen, wo Schüler und Lehrer zum gemeinsamen Austausch zusammentreffen können – in vielen Gebäuden erfüllt aber immer noch der Gang diese Aufgabe. Um als adäquater Raum für längere Aufenthalte in ansprechender Atmosphäre infrage zu kommen, weist dieser aber in den meisten Fällen zu wenig Fläche auf. Als Lösung hierfür werden sogenannte Cluster-Modelle mit größeren Zwischenräumen zum Verweilen gepaart mit lichtdurchlässigen Materialien angesehen. Leider scheitern solche Konzepte auch heute noch oft an den Behörden – in vielen Fällen setzen sowohl die Statik als auch die geltenden Sicherheitsstandards Grenzen. Eine komplett offene Schule, wie sie gemäß Lehrkräften und Architekten anzustreben wäre, entspricht heutzutage also noch nicht den aktuellen Schulbaurichtlinien.
Mit den österreichischen Normen hatte auch Architekt Helmut Richter während seiner Laufbahn zu kämpfen. Für viele seiner kreativen Ideen sah er Normen, gepaart mit der österreichischen Bürokratie und der „Mutlosigkeit der Bauherren“ als Hindernis an.
Seiner Zeit voraus
Viele Werke Richters gelten heute als Vorzeigeprojekte mit innovativem Charakter. Schon in den 1960er-Jahren brachen die Ideen des Architekten aus den in Österreich gewohnten Normen aus, weshalb seine Bauwerke in der Architekturszene auch heute noch als Sonderleistungen angesehen werden. Zu erwähnen ist in diesem Kontext Richters „Mobiles Büro“. Hierbei handelt es sich um einen 1966 entworfenen mobilen, innovativen Arbeitsplatz – eine Idee, die technisch gut überlegt und ihrer Zeit weit voraus war. Bemerkenswert ist auch, dass etliche Entwürfe des Architekten im vordigitalen Zeitalter entstanden. Die Pläne zeichnete Richter mit höchster Präzision auf Transparentpapier. Auch die Richters Schule am Kinkplatz wurde mithilfe dieser Herangehensweise entworfen und gilt somit auch in puncto technischer Feinarbeit als ein sehr bedeutendes Projekt des Architekten.
Eine Vision im Wandel
Neben der Außenschicht aus Glas sind die ideale Ausnutzung der Grundstücksfläche von 10.500 Quadratmeter, welche aufgrund der leichten Hanglage und eines unterirdischen Baches als schwer zu bebauen galt, sowie die freundliche Gestaltung der Innenräume für die Schule kennzeichnend. Ein wesentliches Merkmal des Entwurfes ist dabei die Ost-West orientierte Spange, bei der die Glashaut als bestimmendes Element zum Einsatz kam. Diese erweitert sich im südlich gelegenen Eingangsbereich zu einer Aula, welche in einen Hof und Dreifachturnsaal einmündet. Auch vertikale Erschließungen befinden sich in der Spange, wobei alle Bereiche unter der abgeschrägten Glasfront zusammengefasst sind. Dabei enthält der vordere Teil des Gebäudes unterschiedliche Glasebenen, die sich gegenseitig reflektieren und so zusätzlich für Helligkeit in den Innenräumen sorgen. Im Norden weist die Schule drei längliche Baukörper auf, welche neben den Klassenzimmern auch gemeinsame Bereiche und Sondereinrichtungen aufnehmen.
Während sich die Konstruktion für die Verteilung natürlichen Lichts als äußerst günstig erweist, kam es durch den Einsatz vorwiegend harter Materialien zu einer vergleichsweise hohen Schallentwicklung, was Lehrenden ihre Arbeit in den Unterrichtsräumen maßgeblich erschwerte. Ein weiteres Problem stellte der Grundwasserpegel auf dem Grundstück dar. Bei starkem Regen konnte dieser nämlich so stark ansteigen, dass Wasser in das Haus eindrang. Dies sind die Gründe, weshalb die Schule seit mehreren Jahren in der Kritik steht und einer weiteren Anpassung bedarf. Viele Mängel sind dabei auf die Tatsache, dass einige technische Lösungen Richters aus Kostengründen nicht umgesetzt wurden, zurückzuführen.
Heute wird das Gebäude am Kinkplatz statischen Untersuchungen sowie auch einer Wirtschaftlichkeitsstudie unterzogen. Zu diesem Zweck ist die Schule temporär in einen Ersatzbau übersiedelt. Da die Erhaltungskosten wahrscheinlich dem finanziellen Aufwand eines Neubaus entsprechen würden, ist zu hoffen, dass die Stadt Wien bei der Entscheidungsfindung nicht nur rein wirtschaftliche Kriterien heranzieht. Sanierungswürdig wäre das Gebäude nämlich alleine wegen der einzigartigen Anlage der Innenräume sowie der lichtdurchlässigen Gestaltung allemal.
Text:©Dolores Stuttner
Fotos:©Manfred Seidl
Kategorie: Architekturszene, News