Ein anderer Weg zur Architektur
Im Stadtarchiv von Klosterneuburg findet man folgende Beschreibung für das Haus Stadtplatz 14, um einen kleinen Eindruck über die architektonischen Qualitäten dieses Juwels zu erhalten:
„Dreiachsiges, im Baukern spätgotisches Bürgerhaus mit barocker Fassade des zweiten Viertels des 18. Jahrhunderts und ebensolchen Ausstattungsteilen. Über dem genuteten Erdgeschoss flach gestufte Rahmengliederung, auf dem stark profilierten Giebelfußgesims. Giebel mit stuckierten Voluten und mit Wiener Taschen gedecktes Schopfwalmdach. Die Fenster des Hauptgeschosses sind mehrfach profiliert, umrahmt und gerade verdacht. Die Mittelachse wird durch den hübschen Balkon mit barockem ornamentiertem Schmiedeeisengeländer betont. Die Innenräume sind im Keller- und Erdgeschoss gewölbt, am gedrehten Abgang befinden sich ein spätgotisches Rundbogenportal. Der dreiläufige Aufgang ist mit Flachtonnen gewölbt, über den Podesten mit Kreuzgratgewölben. Aus der Zeit der Fassadierung stammen auch die geschweiften Stuckspiegel des Obergeschosses. Die Einfahrt ist mit Kehlheimerplatten ausgelegt, an der Hoffront ist ein abgemauertes Fenstergewände aus der Zeit um 1600 erhalten.“
Fast jeder Österreicher, der die 80er Jahre und später erlebt hat, kennt die Stimme von Nora Frey aus dem Radio (Ö3-Wecker, Ö3-Freizeichen und Radio Holiday) und später aus dem Fernsehen. Dort moderierte sie unter anderem mehrere Opernbälle. Neben ihrer journalistischen Karriere entdeckte sie schon früh die Liebe zum Renovieren alter Architektur und hat diese Leidenschaft bereits mehrmals ausgelebt. In ihrer Heimatstadt Klosterneuburg erwarb sie dieses (o. e.) historische Haus am Hauptplatz, renovierte es und eröffnete darin das „Frey“. Doch das Gebäude, das erstmals 1339 erwähnt wurde, hatte so einige Überraschungen für sie parat. Diesen begegnete sie mit historischen Baumaterialien wie Sumpfkalk, Trass, Marmormehl, Naturpigmenten, alten Ziegeln, altem Holz und Gitterteilen etc. – die sie von Baudeponien holte. architektur traf sie vor Ort in ihrem Lokal und fragte nach:
Frau Frey, wie kommen Sie als ehemalige Moderatorin zu einer derartigen Liebe und Intensität, alte Architektur zu restaurieren?
Ganz einfach, man muss sich selbst als Person zurücknehmen und die baulichen Fehler der letzten 800 Jahre ausräumen.
Was waren Ihre Grundlagen bei diesem Projekt?
Back to the roots!
Auch in Richtung upcycling?
Ja, der Tisch, an dem wir hier sitzen, ist ein 200 Jahre alter Dachstuhl, da haben wir das Holz in die Trockenkammer gegeben, damit die Holzwürmer absterben. Dann habe ich diese Möbel daraus fertigen lassen (nach eigenen Entwürfen), mit allen Anforderungen der Gastronomie. Die Oberfläche der Möbel hier muss ja der Betriebsanlagengenehmigung entsprechen, Hygiene etc. – aber das ist alles machbar.
Was hat Sie dazu bewegt, sich der Architektur zuzuwenden?
Das ist eine lange Geschichte, die hat schon vor 30 Jahren begonnen. Ich bin in der historischen Kellerei meiner Eltern, in einem alten Haus aufgewachsen. Da waren die Mauern im Keller gekalkt, überall ist Werkzeug, z. B. der Fassbinder, herumgelegen und so war ich immer schon mit dem Handwerk vertraut.
Dann, später habe ich mich in ein Abbruchhaus verliebt, es unter Enterbungsdrohungen meiner Mutter gekauft und ohne jede Ahnung von Architektur angefangen umzubauen. Als dann die Scheidung kam, bin ich mit einem Bau aus dem 19. Jahrhundert, ohne Dach, entkernt und alles eingerüstet, aber mit dem halben Budget dagestanden. So bin ich in Wien von einem Abbruchobjekt zum anderen gefahren und habe billig eingekauft: Türklinken, Fenstergriffe, Türen, Ziegel usw. Damit habe ich das Haus fertigstellen können, dabei aber viel Lehrgeld gezahlt.
Später habe ich die Kellerei meines Vaters in Klosterneuburg umgebaut und mit Wohnungen versehen und noch einiges mehr.
Wie sind Sie dann zu diesem Objekt gekommen?
Es war schon eineinhalb Jahre am Markt, aber offensichtlich wollte es niemand. Es war auch in einem schlechten Zustand. Die Herausforderungen waren ein offener, 27 Meter langer Kanal an einer Seite, der über 70 Jahre bei Regen die Fäkalien in die Außenmauern abgesetzt hat. Dieses Problem haben wir durch Abgraben, Entsorgen und mit einer Vormauerung bewältigt. Eine weitere Herausforderung war das Mischmauerwerk. Wir haben sechs verschiedene Zementarten verwendet, um der ursprünglichen chemischen Zusammensetzung des Zementes möglichst nahezukommen. Für den schliefbaren Kamin eine eigene Sorte (Adriazement weil hitzebeständig) und für die nach unten verlängerten Außenmauern wieder eine andere (Glocknerzement, weil sehr hart).
Eine schöne Geschichte!
Ja, das Haus steht aber nicht unter Denkmalschutz, das muss es auch gar nicht, denn ich habe ohnehin alles so gemacht, wie es sich denkmalschützerisch gehört.
Die Fassade habe ich mit Sumpfkalk streichen lassen, die Farben habe ich der Kathedrale Santa Maria del Fiore in Florenz nachempfunden. Und weil mein Haus am Stadtplatz mit dem Nachbarn zusammenpassen sollte, versorgte ich das nebenliegende, ebenfalls historische, Bauwerk mit zart abgetönten Derivaten meiner Kalkfarben, damit die Häuser sich nicht farblich „in die Quere“ kommen.
Ist diese Faszination, die Sie im Alten finden, ein Ausgleich zu Ihrem Leben als Journalistin?
Nein, ich bin ganz pragmatisch. Ich habe ein altes Objekt und das wollte ich wieder so restaurieren, wie es einmal war. Es waren hier im Inneren sehr viele Abmauerungen, Ergänzungen und Zubauten. Wie bei einer Zwiebel habe ich Schale um Schale entfernt, dann das was übrig geblieben ist, gekalkt und mit Naturpigmenten und Leinölfirnis „patschokiert“.
Ihre Vorgangsweise ist ja ein Aushebeln von finanziellen Zwängen?
Ja, ich hatte ein sehr limitiertes Budget, also bin ich nicht zum Baustoffhändler, sondern in Wiens letzte Kalkgrube gefahren, um Sumpfkalk zu holen. Auf der Deponie haben wir alten „wertlosen“ Bauschutt gegen (vom Mörtel befreite) „wertvolle“ alte Ziegeln getauscht.
Der Baumeister hat für das Projekt eine Eisenliste gemacht: I-Träger, Profile etc., das kostet z.B. 700 Euro beim Baumarkt. Dann fährt man am Gürtel zum Eisenhändler und das Gleiche kostet nur 200 Euro. Oder man fährt auf die Deponie und kauft das Gleiche (das wird oft mit dem Bauschutt entsorgt) um 50 Euro.
Würden Sie sagen, dass ökologisches Bauen günstiger ist als konventionelles Bauen?
Keine Frage, das nächste Haus, das ich baue, ist sicher ein Strohhaus.
Hier (im Frey) haben wir ganz einfache Materialien: Stein, Holz und ein bisschen Eisen. Alles ist puristisch hier. Wasserwaagen hat es hier beim Bauen nicht gegeben. Dieser Raum (zeigt auf den Restaurantbereich) ist zehn Mal patschokiert, mit Naturpigmenten, sonst nichts. Ich habe – als Journalistin – sehr viel recherchiert. Zum Beispiel habe ich viel über Kalk geforscht. In St. Petersburg gibt es eine Menge Gebäude, die nur gekalkt sind, da muss man sich halt durchgoogeln. Und es gibt die Firma „Kalk Kontor“ in Deutschland, da konnte man sein Wissen gut austauschen.
Auch im Mittelmeerraum oder im hohen Norden sind die Bauten der anonymen Architektur ja häufig „nur“ gekalkt!
Natürlich, das hat auch mit dem Salzgehalt der Luft zu tun. Früher hat man noch Tierhaar und Tierblut dazu gemischt, außerdem ist Kalk hygienisch und desinfiziert.
Wie sehen Sie Ihre Arbeit hier im Vergleich zur „normalen“ Architektur?
In der Architektur, so glaube ich, befinden wir uns häufig in einem Zustand der McDonaldisierung. Es ist alles formatiert und genormt und die moderne Architektur definiert sich über eine Komposition aus Stahl, Beton und Glas. Sie glaubt, wenn sie diese Elemente kombiniert, ist es ein Ereignis. Das ist aber ziemlich selten der Fall. Ich meine, eine Elbphilharmonie oder eine Oper von Sydney, die können schon was, aber das sind die Ausnahmen.
In der Baugeschichte haben wir verschiedene Maße, die Elle etc., das referiert alles zu den Körpermaßen des Menschen und es gibt auch Zahlen, die zueinander in Beziehungen stehen. Dieses Wissen haben wir mit der genormten Produktion von Bauteilen über Bord geworfen. Deshalb haben wir heute Häuser ohne Gesichter, sondern mit Fratzen oder entstellte kalte Klötze, die in keiner Relation zu unseren Körpern stehen und deshalb – bei mir zumindest – ein Unwohlgefühl und Befremden auslösen. Ich bin der Ansicht, dass ein Gewölbe wie dieses, unter dem wir hier sitzen (Kreuzgratgewölbe), eine andere Körperwahrnehmung mit sich bringt. Ich würde sogar sagen – etwas Embryonales. Übrigens, meine Körperhaut ist ja nicht die einzige Schicht, mit der ich Kontakt nach außen habe, dann kommt die „erweiterte Haut“ der Kleidung, dann für manche auch das Auto und letztendlich das Haus als meine äußerste Schale. Ein viereckiger Raum, der nicht meiner Körpergeometrie entspricht, verursacht ein Unwohlgefühl. Bei der Architektur ist es ähnlich wie im Radio oder bei einer guten TV-Sendung mit talentierten Schauspielern, spannender Dramaturgie und flottem Bildschnitt: Die Leute wissen eigentlich nicht, warum die Sendung gut ist, aber sie sagen nachher: „Das hat mir gefallen!“
Bei der Architektur ist das ähnlich, der Mensch kommt in einen Raum, weiß nicht, warum er sich wohlfühlt oder nicht, aber er nimmt den Raum mit all seinen Sinnen positiv wahr. Und das ist das Konzept hier im „Frey“!
Text & Fotos: Peter Reischer