Ein Brückenschlag auf vielen Ebenen

7. Februar 2022 Mehr

Wenn eine Weltstadt wie Venedig 1.600 Jahre Geschichte schreibt, muss man einfach dabei sein. Dies dachte sich auch Brillux und führte im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Digitale Nachmittagsarchitektur“ durch die historische Entwicklung der wunderschönen Lagunenstadt sowie durch das neue Museumsquartier M9 von Sauerbruch Hutton auf dem angrenzenden Festland in Mestre.

 


© Polymnia Venezia

 

„Eigentlich eine umgekehrte Besichtigungstour“ für Architekt Clemens Kusch von MOVENICE, der als Guide vor Ort die Zuschauer zum Auftakt durch die spannende Historie einer der ehemals bedeutsamsten Handelsstädte führte. Startet man in der Regel auf dem Festland und arbeitet sich bis zur dazugehörigen Insel vor, war in diesem Fall die Entstehungsgeschichte der Stadt auf dem Wasser buchstäblich die erste Anlaufstelle für die Teilnehmenden. Dies lag vor allem daran, dass die venezianische Insel zu Beginn gar keine Verbindung zum Festland besaß. Und auch Mestre als Stadt hatte noch keinerlei Bedeutung für Venedig, sondern stellte nur eine kleine Wechselstelle für Pferde dar. Damit einher ging auch, dass alles, was in Venedig entstanden ist, über das Wasser kam – von Kunstwerken über Materialtransporte bis hin zum häuslichen Umzug. Dabei war das Wasser nicht nur für die Bewohner ein zu überquerendes Hindernis, sondern auch ein zuverlässiger Schutz vor Feinden.

 

Einflussreiche Visionen

Die Notwendigkeit einer konstanten Verbindung zum Festland nahm erst mit den Entwicklungen rund um Mestre und den Hafen Marghera im 19. Jahrhundert zu. Der Architekt Eugenio Miozzi erarbeitete sogar ein detailliertes Konzept eines zusätzlichen umlaufenden Autobahntunnels, das noch bis ins 21. Jahrhundert intensiv diskutiert, jedoch nie realisiert wurde. Clemens Kusch demonstrierte diese Ansätze und Entwicklungen anhand von spannenden Zeichnungen und Fotomaterial. Ebenso veranschaulichte er die Neustrukturierung der dazugehörigen Ankunftsplätze und die Errichtung des eindrucksvollen Parkhauses, das bis in die 1960er-Jahre als das größte Parkhaus Europas galt. Diese thematisierte Infrastruktur führte letztlich auch zum Brückenschlag – innerhalb der Geschichte Venedigs, aber auch für den Rahmen der digitalen Veranstaltung. Denn aufgrund dieser neuen Brücke wanderte ein großer Teil der Bevölkerung von Venedig nach Mestre, wodurch der Anspruch der Stadt nach Eigenständigkeit und Identität wuchs. Eine Basis, auf der die Entscheidung fiel, dem Stadtzentrum von Mestre eine Aufwertung verleihen zu müssen. Das eindrucksvolle Resultat zeigt sich in Form der Gestaltung des neuen Museumsquartiers M9 von Sauerbruch Hutton. Hier übergab Clemens Kusch den Staffelstab an Louisa Hutton, Architektin und Gründungspartnerin des Büros. Sie führte im Anschluss persönlich durch das Projekt und die angrenzenden Stadtstrukturen von Mestre. Für die Teilnehmenden und die gesamte Veranstaltung ein großes Privileg.

 


© IUAV Archivio Progetti Fondo Miozzi

 

Ein Abbild von Wirklichkeit

Welchen Stellenwert gute Architektur für Louisa Hutton hat und wie detailliert sie sich mit ihren Projekten auseinandersetzt, zeigte sich direkt von Beginn ihrer digitalen Führung durch das Museumsquartier als Zentrum des Bezirks an. Die Intention der Quartiersentwicklung lag für das Büro dabei vor allem in der Öffnung der urbanen Strukturen, in der Zugänglichkeit und Nutzung für die Stadtbewohner sowie in der Verbesserung der Qualität des Stadtraums. Durch die Typologie der zwei neu errichteten Gebäude, das Museum und das Gebäude für die Administration, werden die Besucher nun praktisch in das Areal hineingezogen. Da das Architekturbüro auch das angrenzende Konvent „Capitello della Madonna delle grazie“ einbezog, es öffnete und mit einer neuen Überdachung in die Architektur integrierte, ist eine diagonale Verbindung bis zur rückwärtig gelegenen „Piazza Erminio Ferretto“ entstanden. Laut Louisa Hutton wird diese auch von der Bevölkerung gut angenommen und genutzt. „Uns war es wichtig, die Porosität und Heterogenität der Stadt aufzugreifen, da genau dies einem authentischen Abbild der vorhandenen Wirklichkeit entspricht. Viel eher, als es bei dem tourismusausgerichteten Venedig der Fall ist“, so die Architektin. Authentizität ist hier das passende Stichwort, denn während eines beeindruckenden Rundgangs durch das Museum selbst zeigte Frau Hutton den Teilnehmenden der digitalen Veranstaltung immer wieder Verweise auf ihre Inspirationen durch venezianische Städte. Beispielsweise die Verwendung hiesiger Steine in Grau- und Rottönen für die Keramikfassade oder die sehr reduzierte, natürliche Materialität im Inneren – bestehend aus Baubuche, Sichtbeton und Trachyt-Gestein.

 

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