Ein Krieg der Architektur
Für die architekturpolitische Weichenstellung der Stadt Wien waren die Jahre nach 1945 – und damit vor allem die Besatzungszeit – prägend. Nach der Befreiung durch die Alliierten wurde Wien zur Bühne politisch motivierter Architekturdebatten. Im Mittelpunkt stand dabei der Wettstreit der Ost-West-Mächte, die beide um eine Vormachtstellung bemüht waren. Das damit verbundene kulturelle Wettrüsten machte auch vor der Architekturszene keinen Halt. Mit den Auswirkungen dieser Strömung setzt sich die Ausstellung „Kalter Krieg und Architektur“ im Architekturzentrum Wien auseinander – sie wirft einen Blick auf das Baugeschehen in der Nachkriegszeit und ist noch bis Montag, den 24. Februar 2020 zu sehen.
Verteilung der Einwohner in den Besatzungszonen Wiens im Jahr 1928 © United States Forces in Austria, Austria. A Graphic Survey, 1949
Vier Großmächte im Wettstreit
Die österreichische Hauptstadt war in der Nachkriegszeit keinesfalls vom Leben abgeschnitten. Immerhin kam sie damals mit Größen wie Le Corbusier in Kontakt. Gleichzeitig hatte die Bevölkerung die Gelegenheit, das „Zimmer für Stalin“ zu besichtigen. Damit verhalfen die oft aufeinanderprallenden Strömungen des Kalten Kriegs Wien zu seiner Internationalisierung.
Schon kurz nach ihrer Befreiung durch die Alliierten im Jahr 1945, wurde die Stadt zu einem zentralen Schauplatz des Kalten Krieges. Denn die vier Siegermächte Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion und die USA besetzten nach dem Zweiten Weltkrieg die Hauptstadt Österreichs. Interessant war die Metropole vor allem aufgrund ihrer zentralen geografischen Lage – sie galt damals immerhin als Tor zum Ostblock. Zehn Jahre dauerte die Besatzungszeit, in der in Österreich ein Übergang von einem autoritären Herrschaftssystem hin zur Demokratie stattfand. Während dieser Zeit etablierte jede der vier Siegermächte ein umfassendes Kulturprogramm, mit dem sie die Wiener Bevölkerung für sich gewinnen wollten. Dazu gehörten unter anderem Messepräsentationen und Architekturausstellungen. Vor allem für die Baukultur in der Stadt hatten die Propaganda-gestützten Vorstellungen einen hohen Stellenwert. Denn sie brachten die ideologisch motivierten Vorbilder grundverschiedener Staaten nach Wien und bereicherten so die Architekturszene. Diese reichte von Hochhäusern und Gartenstädten bis hin zu städtebaulichen Konzepten und sogar Küchenmodellen.
Ein „besseres Leben“ für die Nachkriegsgeneration
Als Schmelztiegel verschiedener Nationen machte Wien nach 1945 also eine prägende Entwicklung durch. In der Nachkriegszeit wurde schließlich der Grundstein für das heutige Aussehen der Stadt mitgelegt. Die Alliierten beschäftigten sich dabei mit der Frage, wie die Österreicher in Zukunft leben und wohnen sollten.
Die damalige Sowjetunion zeigte sich in diesem Kontext eher zurückhaltend und sogar „friedfertig“. Erst ab 1950 begann sie mit dem Aufbau der Informationszentren, die den Idealstaat des Sozialismus propagierten. Ihn kennzeichnete eine Architektur der Wolkenkratzer und Häuser in Schnellbauweise. Da Wien nach dem Zweiten Weltkrieg von einem parteien- und klassenübergreifenden Antikommunismus geprägt war, sind heute nur wenige Spuren sowjetischer Ideologie im Stadtraum erhalten – eine prominente bauliche Manifestation der UdSSR ist das Denkmal am Schwarzenbergplatz.
Großbritannien setzte beim Wiederaufbau seinen Schwerpunkt auf die Stadtentwicklung. Nach dem Vorbild britischer Planungskonzepte sollte aus Wien eine aufgelockerte, gegliederte Stadt werden. So war es vielen Architekten möglich, auf ihren Konzepten aus der NS-Zeit aufzubauen, ohne mit der dahinter stehenden Ideologie in Verbindung gebracht zu werden. Das Ziel Großbritanniens war es, die Idee des demokratischen Wohlfahrtsstaates als Alternative zum Nationalsozialismus durchzusetzen.
Die Kulturoffensive Frankreichs war im Gegensatz zu den anderen Großmächten stark personalisiert. Sie beruhte auf einer Betonung der Gemeinsamkeiten von Österreich und Frankreich. Ideologien französischer Baukunst erhielten in Wien aber kaum Beachtung. Offizielle Institutionen standen den damals prominenten Ideen des Planers Le Corbusier kritisch gegenüber. Alleine von jungen Architekten wurden die zum Teil stark utopischen Konzepte positiv aufgenommen – im Stadtraum etablierten sie sich aber nicht.
Während der Einfluss der Sowjetunion und Frankreichs auf die Architektur der Stadt vergleichsweise gering blieb, setzte sich die Ideologie der USA in vielen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen – und damit auch in der Baubranche – durch. Verantwortlich dafür war nicht zuletzt deren große finanzielle Unterstützung in Kombination mit dem Versprechen auf ein „besseres Leben“. Mit ihrer Organisation für Öffentlichkeitsarbeit steuerten die Vereinigten Staaten jeglicher Skepsis gegenüber der noch jungen und daher oft als identitätslos empfundenen amerikanischen Kultur entgegen.
Oswald Haerdtl: Wiederaufbau Heinrichhof, Kärntner Straße, Operngasse, Wien 1, 1951-1953, Perspektive, Amerikanisches Informationszentrum © Architekturzentrum Wien, Sammlung, Nachlass Oswald Haerdtl
Spuren der Vergangenheit im Ortsbild
Ein konkreter Stil setzte sich im Kalten Krieg zwar nicht durch, allerdings führten Propaganda-gestützte Maßnahmen der Alliierten zur Entstehung neuer Strömungen und letzten Endes auch zur Realisierung einiger Bauprojekte. In Randbezirken wie dem 21. Wiener Gemeindebezirk wurden bestehende Wohnformen verdichtet, wobei die Planer gleichzeitig eine Nutzungsmischung anstrebten – die strikte Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit gehörte fortan der Vergangenheit an. Gleichzeitig kam es zur Realisierung mehrerer Siedlungen, welche die damalige Wohnungsnot lindern sollten. Doch nicht nur in den peripher gelegenen Bezirken wurde die Stadtentwicklung vorangetrieben. Es entstanden Konzepte für den Wiederaufbau des Stephansdoms und die Neugestaltung des Stephansplatzes. Dieser Platz entwickelte sich von einem intimen Stadtplatz zu einem wichtigen Fußgänger- und Verkehrsknotenpunkt.
Einen wichtigen Stellenwert hatte bei den damaligen Bauvorhaben der 1948 unterzeichnete Marshallplan, also das sogenannte „European Recovery Program“. Die Vereinigten Staaten wollten der Wirtschaft Österreichs mit dem bilateralen Abkommen auf die Sprünge helfen. Als Konsequenz der finanziellen Unterstützung entstand 1949 mit der Wohnhausanlage Roter Berg im 13. Wiener Gemeindebezirk eine der ersten Wohnsiedlungen der Stadt – sie beinhaltet heute 105 Wohnungen. Eine weitere Siedlung, deren Namensgebung auf seine Entstehungsgeschichte hinweist, ist der Marschallhof in Kaisermühlen. Die zwischen 1953 und 1959 errichtete Wohnanlage verfügt über 244 Wohnungen und entstand nach den Plänen von Hermann Stiegholzer. Dabei riefen die USA das erfolgreichste Wirtschaftsprogramm des 20. Jahrhunderts nicht ohne Eigennutz ins Leben. Denn der Marshallplan, der Österreich immerhin zu 1,1 Milliarden US-Dollar verhalf, diente auch als politisches Instrument gegen den Kommunismus. Ein Vorhaben, das – zumindest für die USA – von Erfolg gekrönt war.
Wilhelm Schütte: CIAM Bergamo Entwurf für den Stephansplatz, Wien 1, 1949 © Architekturzentrum Wien, Sammlung, Nachlass Oswald Haerdtl
Vergessene Ideologien im Wandel der Zeit
Doch nicht alle Ideale, die auf dem amerikanischen Vorbild basierten, konnten sich in Wien langfristig durchsetzen. So entstanden mit dem Experiment Veitingergasse im 13. Wiener Gemeindebezirk 15 Fertigteilhäuser als Gegenentwurf zum Mietshaus. Das Projekt wurde von den Architekten Roland Rainer und Carl Auböck entworfen und schließlich zwischen 1952 und 1954 realisiert. Das als Mustersiedlung angesetzte Konzept sollte Vorbildwirkung haben und den Bau seriell herstellbarer Häuser propagieren. In Wien setzte sich diese Strömung aber nicht durch – die geplante Ausweitung der Idee scheiterte am Geschmack der Bevölkerung sowie an politischen Entscheidungsträgern.
Auch heute noch stehen einige Wohnobjekte aus der Nachkriegszeit unter Kritik. Es werden ihnen Mängel in Bezug auf Wohn- und Lebensqualität sowie die Gestaltung vorgeworfen. Tatsächlich sind nicht alle der damals angepriesenen Projekte im Wandel der Zeit gut gealtert. Und doch ist nicht immer auf den ersten – und oft auch nicht auf den zweiten – Blick zu erkennen, ob ein Bauwerk das Ortsbild bereichert. Als Beispiel sind hier die lange als Bausünde verschrienen Betonbauten des Brutalismus zu erwähnen. Mittlerweile sind viele dieser Bauten saniert und unter Denkmalschutz gestellt worden.
Text: Dolores Stuttner
Kategorie: Architekturszene, News