EXPO 2015 — Luft für die Welt
Die Weltausstellung in Mailand ist eröffnet, mit Verspätung sind auch die Pavillons des Gastgeberlandes und einiges andere fertig geworden — dank Mafia im Vorfeld, italienischer Organisation und Improvisation bei der Ausführung bietet sich den Besuchern ein interessanter Mix aus unterschiedlichsten Interpretationen des Themas: „Feeding the Planet, Energy for the World“.
Wie auch immer man das Thema verstehen will oder kann – die gezeigten Beiträge haben damit größtenteils nichts zu tun. Wieder einmal offenbart sich die Egomanie mancher Architekten, die keine Gelegenheit verpassen wollen, ohne sich selbst ein Denkmal zu setzen. Ohne Rücksicht auf das Thema und ohne jegliche Moral und Verantwortung dem brennenden Thema gegenüber schaffen es die Architekturzampanos immer wieder, tolle (Schein)Bilder, die aber das Problem völlig überlagern, zu produzieren: Äußerliches statt innere Werte. Großartig ist auch die Nonchalance mit der die Verantwortlichen der EXPO sich das Generalthema von Coca-Cola, Algida, Unilever und McDonalds und Co als Hauptsponsoren finanzieren lassen. Und trotz Werbeverbotes während der Ausstellung finden die listigen Geschäftemacher hunderte Möglichkeiten um ihre Produkte unter das Volk zu bringen.
Die Frage ist, welchen Sinn eine Weltausstellung heutzutage noch macht? Früher hat man sich die Welt mit der EXPO mehr oder weniger ‚nach Hause‘, in das Gastgeberland geholt, die Welt ist ‚zu Besuch‘ gekommen. Heute, im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung sind wir an den diversen Orten schneller, als wir diese Welt zu uns bringen können. Auch wenn die Erlebnisse oft nur ‚virtual reality‘ sind. Die Frage nach der physischen Weltausstellung stellt sich somit eigentlich nicht mehr. Bis auf ein paar authentische ‚Abenteuer‘ (vielleicht im Urlaub) erleben wir nur noch editierte Blicke in die Welt.
Interview — Der österreichische Pavillon auf der EXPO Mailand trägt den Titel „BREATHE“. Mit seinem intellektuell sicherlich fordernden Beitrag für Luft und Klima, setzt er ein sinnlich erlebbares Zeichen im ehemaligen Industrieviertel im Nordwesten der Stadt und kann mit Recht als Lichtblick in dieser voyeuristischen Schau architektonischer Selbstbefriedigung bezeichnet werden. Peter Reischer führte mit dem Mastermind des Projektes, mit Prof. Klaus K. Loenhart vom team.breathe.austria ein sehr interessantes Gespräch über Konzeption, Inhalte und auch Hoffnungen, die sich mit dem Projekt verbinden.
Herr Professor Loenhart, was will Österreich mit diesem Projekt aussagen: kulturelle Identität, gesellschaftliche Perspektiven oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit?
Es soll sicherlich eine Außendarstellung für das Land Österreich sein. Dafür wird eine Realität – und zwar die Bildhafte – benutzt: Österreich ist grün, Österreich bemüht sich, wir zeigen die großartigen Qualitäten im Tourismus und in der Landschaft.
Wie kam es zu dem Thema ‚BREATHE‘?
Luft ist etwas, das uns im wörtlichen Sinn mit der Welt als Ganzes verbindet. Luftverschmutzung hat einen atmosphärischen Abdruck, der uns weltumspannend angeht. Nur sind die Aussagen zu diesem Thema und den Begriffen sehr abstrakt. Man könnte jetzt sagen, die Luft ist ein – die Orte und Regionen verbindendes – Medium für das Verständnis dieser Probleme.
Ist es der Sinn oder die Aufgabe der Welt-ausstellung zu sagen, wir verbinden die Welt?
Die Repräsentationen der einzelnen Länder spiegeln nicht die Realität des jeweiligen Landes wider. Sie geben ein Schaubild ab und diese Schaubilder wollten wir hinterfragen und beleuchten. Es geht um die Vorstellung, den Mikrokosmos mit dem Makrokosmos verbinden, also das Ganze mit dem ICH. Der Pavillon hat sicher eine reflexive, intellektuelle Ebene, aber auch eine ganz persönliche Erlebnisebene. Der Zugang ist über eine Sinnlichkeit gegeben. Wir haben uns erlaubt, das Thema Sinnlichkeit in der Architektur wieder einmal zu thematisieren und zwar nicht in einer theoretischen oder ästhetischen, sondern in einer erlebbaren Art und Weise.
Wie funktioniert das?
Über einen massiven Einsatz von Pflanzenmaterial und dem Aktivieren der, von uns so genannten, ‚Pflanzenperformanz‘. Das ist etwas anderes als ‚Performance‘. Mit Performanz ist die Leistungsfähigkeit eines Stückes Landschaft gemeint. Es ist zwar absolut künstlich, aber seine Wirkkraft hat eine natürliche Performanz. Im April 2007 wurde der 4. Klimabericht veröffentlicht. Seit diesem Datum ist das Thema Klimawandel auch auf den Titelseiten der Tageszeitungen angekommen. Seit diesem Zeitpunkt – sage ich immer provokativ – haben wir keine Natur mehr auf unserem Planeten, sondern nur noch Landschaft. Wir befinden uns in einem spannenden Prozess, indem wir uns von einer rein faktischen, nüchternen Beurteilung zu einem Verständnis von Bezüglichkeiten bewegen.
Wie funktioniert der Pavillon, kann man sich das wie ein Biotop vorstellen?
Im Pavillon soll es ungefähr 5 – 7 Grad kühler als in der Umgebung sein. Wenn man das in der Natur verortet, entspricht das einem kreisförmigen, 3 Hektar großen Wald. Der ist in der Mitte um 5 – 7 Grad kühler als am Rand. Wir haben in dieser auf 560 m2 begrenzten Miniaturlandschaft Ventilatoren aufgebaut, die mit feinen Düsen ausgestattet sind. Diese Düsen versprühen kleinste Wassertröpfchen. Zusammen mit Bodennebeldüsen entsteht so eine gesättigte Atmosphäre, in der sich das Wasser auf den Blättern absetzt. Hier verdunstet es und über diese Evapo-Transpiration entsteht der Temperaturunterschied.
Und das bedeutet …
… dass wir in unserem Verständnis von Landschaft mit natürlicher Performanz arbeiten und uns nicht der Natur oder Landschaft wie einem heiligen Gral gegenüberstellen. Wir dürfen also diese natürliche Performanz zum Teil unserer Kultur machen. Wir benützen sie und erhöhen sie über eine technische Ergänzung. Auf 560 m2 haben wir 43.200 m2 Blattfläche. Diese Fläche benutzen wir, um den Verdunstungskörper zu aktivieren und zu vergrößern. Wir produzieren hier 62,5 kg frischen Sauerstoff pro Stunde – den Bedarf für 1.800 Personen.
Wir verzichten auf Klimaanlagen, wir haben eine Dachterrasse, da liegen die Solarpaneele und es ragen die Baumkronen aus dem Dach heraus. Auf den Dächern der umliegenden Pavillons stehen riesige Lüftungsgeräte. Oben steht dort also, was unten nicht sichtbar sein soll. Diese Architektur will unten ökologisch sein und oben stehen die Klimageräte. Das ist die Trennung zweier Realitäten, die eine lebe ich und die andere blende ich aus. Wir produzieren auf dem Dach des Pavillons, neben den bewährten Fotovoltaik-Siliziumzellen, Strom mit einer sogenannten Grätzelzelle. Dieses Produkt ist durch die Beobachtung der Naturperformanz, über das Denken in Naturprozessen entstanden.
Gibt es Möglichkeiten, solche Projekte konkret für Stadtplanung, Architektur anzuwenden? Oder kommen wir da nicht mit dem Profitdenken in Konflikt – ein Wald bringt ja keinen unmittelbaren Gewinn? Ich kann ja – im Gegensatz zu einem Büro- oder Wohnhaus – keine Miete verlangen.
Unsere Gesellschaft ist darauf aufgebaut, alles verdinglichen zu können. Jede, und sei sie noch so wenig greifbar, Qualität kann eine Verdinglichung erfahren und einen monetären Wert zugeordnet bekommen. In unseren Städten werden wir bis 2020 einen Temperaturanstieg von bis zu 2 Grad erleben. Diese 2 Grad könnten wir mit 10% zusätzlichem Grün kompensieren. Wenn wir aber diesen Platz (im Sinne von ausgedehnten Parks) nicht haben, wäre es eine Möglichkeit, solche oder ähnliche Konzepte zu entwickeln. Hier wird auf engerem Raum eine höhere Performanz als auf einer normalen Grünfläche erzeugt. In dem Bereich hybrider Gebäude, Natur – Architektur, kann eine Art Innovationslandschaft entstehen. Dieser Pavillon kann auf jeden Fall zum Nachdenken anregen und über das sinnliche Erleben eine Vorstellung von Stadt oder städtischer Qualität erzeugen. Stadt und diese Atmosphäre müssen kein Widerspruch mehr sein.
Das findet aber mehr auf der Gefühlsebene statt?
Ja, es ist erstaunlich, wie die Besucher reagieren, zuerst staunen sie, dann versuchen sie zu denken, zu verstehen, was mit ihnen gerade passiert. Es ist eine bemerkenswerte Auseinandersetzung mit dem, doch architektonisch sehr einfach gehaltenen, Raum. Wir wollten nur auf der Sinnesebene kommunizieren.
Wenn nach dem Ende der EXPO der Pavillon als einmaliges sinnliches Erlebnis abgebaut wird und verschwindet, war er dann nicht auch nur eine Täuschung, ein Feigenblatt von oder für Politik, Wirtschaft etc.?
Ja, das stimmt! Ich könnte mir allerdings vorstellen und hoffe, dass künftig über dieses Projekt bei den politischen Entscheidern ein Bewusstsein für die Möglichkeiten der Architektur entsteht. Man traut der Architektur immer zu wenig zu. Ich glaube, dass durch das Erleben eines derartigen Projektes – und das werden viele Politiker – in Zukunft eine Änderung bei deren Einstellung gegenüber Wissenschaft, Forschung und Realisierung eintreten wird. Das wird nicht von heute auf morgen passieren, aber mit diesem Projekt öffnet sich eine Tür, denn der Pavillon hat viele verschiedene Ebenen von Wahrheiten.
Sie haben zuerst den Benefit für die österreichische Tourismusszene erwähnt. Da verliert ja die Aussage des Pavillons – dass Luft uns alle verbindet und ernährt – eigentlich ihre Bedeutung und ihren Wert?
Das ist aber unsere Realität. Man darf ja nicht so naiv sein, zu glauben, das eine wird das andere ersetzen, wir werden uns weiterhin in einer Wachstumsgesellschaft befinden. Die Botschaft ist: Verbindung von Technologie mit natürlicher Sphäre. Das Gegensatzpaar ‚Natur oder Arbeitsplatz‘ hat ausgedient. In dem Bereich hybrider Gebäude, Natur – Architektur, kann eine Art Innovationslandschaft entstehen.
Ist die EXPO überhaupt als Rahmen für eine derartige, globale Kritik an unserer wachstumsobsessiven Gesellschaft geeignet?
Ja und nein! Nein, weil die einzelnen Länder natürlich darauf bedacht sind, sich im besten Licht darzustellen. Und ja, weil für 30 Millionen Besucher das Thema Nahrung und Ressourcen erlebbar gemacht wird. Eine eindeutige, klare Kritik in der Tiefe ist in diesem offiziellen Rahmen sicher nicht erreichbar.
Vielleicht auch nicht erwünscht?
Natürlich nicht! Jeder Mensch wünscht sich zwar einen kritischen Umgang mit Natur und Ressourcen, schwierig wird es, wenn das eigene Handeln kritisierbar wird. Da braucht man schon als Institution, als Regierung sehr viel Reife, um Selbstkritik zu zulassen. Der Natur wurde in der ‚Moderne‘ Passivität zugeordnet, wir machen Natur gerade wieder aktiv! Und diese Performanz gewährleistet unseren globalen Metabolismus, sie erhält ihn aufrecht.
Österreichischer Pavillon, EXPO 2015, Mailand
team.breathe.austria
terrain:
architekten und landschaftsarchitekten BDA – Klaus K. Loenhart (in Kooperation) mit Agency in Biosphere — Markus Jeschaunig
Hohensinn Architektur ZT GmbH — Karlheinz Boiger
LANDLAB, i_a&l, TU-Graz — Andreas Goritschnig, Bernhard König
Lendlabor Graz — Anna Resch, Lisa Enzenhofer, Alexander Kellas
Engelmann Peters Ingenieure — Stefan Peters
transsolar — Wolfgang Kessling
BOKU Wien IBLB — Bernhard Scharf
Grätzelzelle
1991 entwickelte Michael Grätzel, Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL), eine neuartige Solarzelle, die wesentlich umweltverträglicher und dazu auch noch kostengünstiger ist. Inspiriert wurde er bei seiner Erfindung von der Fotosynthese der Pflanzen: Anstatt dass ein Halbleitermaterial wie Silizium das Sonnenlicht absorbiert und in elektrischen Strom umwandelt, enthält die sogenannte Grätzelzelle einen Farbstoff, der wie das Chlorophyll bei Pflanzen das Licht einfängt und in Energie umwandelt. Hierzu werden oft die natürlichen Farbstoffe von Brombeeren, Safran oder Rote Bete genutzt, aber auch künstliche Farbstoffe kommen zum Einsatz. Während bei Pflanzen das Sonnenlicht in chemische Energie und später in Kohlenhydrate umgewandelt wird, erzeugt die Grätzelzelle mithilfe der Farbstoffmoleküle elektrischen Strom.
Text: Peter Reischer / Fotos: team.breathe.austria
Kategorie: News, Projekte, Veranstaltungen