Lideta Mercato in Äthiopien

30. März 2017 Mehr

Mehr als nur ein  interessanter Anblick

Lideta Mercato / Addis Abeba / Xavier Vilalta Arquitectura
Mercato ist in Äthiopien die Bezeichnung für Markt schlechthin: ein Gewühl von Ständen, freilaufende Ziegen und Hühner, Handwerker, unübersichtlich, bunt, wild, duftend und doch geordnet. Eine kaum reproduzierbare oder übertragbare Mischung, sollte man meinen, oder doch? Das Lideta Mercato hätte ursprünglich eine Shopping Mall werden sollen wie viele andere auch in Addis Abeba, der Hauptstadt des Landes. Das Projekt war das Resultat eines geladenen Wettbewerbes und die Realisierung sollte eigentlich schon im Mai 2011 beginnen. Gewonnen hatte ihn das XV Studio von Architekt Xavier Vilalta aus Barcelona.

 

Lideta Mercato

 

Nach einer Analyse der bereits existierenden Shopping Malls in Äthiopien, kristallisierten sich drei wesentliche Schwachpunkte bei diesen heraus: Erstens stehen sie leer, weil die Geschäftsflächen zu groß bemessen sind. Dann haben sie Glasfassaden, die viel zu viel Licht und Sonne in die Innenräume bringen und eine unerträgliche Hitze verursachen. Und schließlich reflektieren sie in keiner Weise den afrikanischen oder äthiopischen Charakter eines Marktes.
Andererseits war der alte Markt „Addis Ketema Mercato“ (der größte öffentliche Markt in Afrika) in der Stadt voller einkaufender Menschen und dieser Ort versinnbildlichte auch die Idee des öffentlichen Raumes, indem er ihn für Aktivitäten benutzte. Also bauten die Architekten ihr Konzept für die mehrgeschossige Mall auf diesen traditionellen Marktprinzipien auf. Sie durchbrachen von Anfang an die Regeln für den Bau von konventionellen Shoppingcentern und bauten die Grundprinzipien „grüner“ Architektur mit ein. Das bedeutete natürlich auch, dass das Aussehen der Mall nicht dem Üblichen entsprechen würde. Das Resultat ist sicherlich keine Architektur, aus deren Details man ein System für Äthiopien ableiten könnte, eher eine Sammlung von außergewöhnlichen Lösungen, mit denen die Planer auf die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten reagiert haben. Das Konzept ging auf und innerhalb der ersten drei Monate nach Eröffnung waren 60 Prozent der Shops verkauft. Heute gibt es keinen freien Raum mehr.

 

 

Das Grundstück für das Projekt ist von Gebäuden mit einer großen Dichte umgeben, es gab keine öffentlichen Flächen, nur zwei parallele Verkehrsstraßen ohne Querverbindungen. Heute durchquert eine diagonale Fußgängerverbindung das an gegenüberliegenden Ecken sphärisch ausgehöhlte, ansonsten quaderförmige Gebäude und verbindet die beiden Eingänge. Man gelangt in ein ausgedehntes Atrium, welches bereits alle Geschossebenen zeigt. Es verbindet sie auch mittels Stiegen und schafft so eine Kontinuität im Raum. Um dieses Atrium herum sind auf den verschiedenen Geschossen in einem eher kleinteiligen Grundriss, fast wie Ställe, die Shops angelegt. Die statische Konstruktion ist aus Stahlbeton und Brüstungen, ausfachende Mauern etc. sind aus Ziegeln hergestellt. Alles ist weiß gestrichen und die Böden sind mit einem hellgrau versiegelten Beton-estrich versehen.

Die Außenhaut ist den örtlichen klimatischen Gegebenheiten entsprechend durchbrochen und in einem System aus vorgefertigten Leichtbetonteilen hergestellt. Vorbilder fanden die Architekten u.a. in der Volksarchitektur in Lalibela. Für die Aufteilung und Gestaltung der Durchbrüche benutzte man ein fraktales Muster von äthiopischen Frauenkleidern. Diese Referenz verankert das Bauwerk auch in der traditionellen Kultur und im räumlichen Kontext. Denn die Menschen auf der Straße, ohne jegliche architektonische Bildung, erkennen ein Muster aus ihrem täglichen Leben und können sich damit identifizieren. Die Fassade schützt vor Sonne und Regen, gleichzeitig bringt sie in einer kontrollierten Art und Weise Licht und Luftzirkulation ins Innere. Das so – zwischen Fassade und Atrium – funktionierende, passive Ventilationssystem schafft eine Atmosphäre wie auf einem Freiluftmarkt bei gleichzeitiger, ausreichender Tageslichtzufuhr.

 

 

Um den Wünschen der Nutzer zu entsprechen, sind die Shops über alle sechs Geschosse mit Bars und Terrassen kombiniert. Auf den beiden obersten Ebenen findet man ein Kino, ein Kaffeehaus und eine Loungezone – sie können von allen unteren Geschossen mitbenutzt werden und bieten eine angenehme Zone für die Erholung. Die konstante Stromversorgung ist eines der Hauptprobleme, denen sich Äthiopien stellen muss. Diese Herausforderung nutzte man, um am Dach regenschirmähnliche Sonnenkollektoren aufzustellen und damit sowohl die Energieversorgung sicherzustellen, wie auch nette schattige Sitzplätze unter den Schirmen zu schaffen. Am Dach wird auch das Regenwasser in eben diesen Schirmen gesammelt, man leitet es in den Keller in einen 170 Kubikmeter großen Tank. Später wird es über eine Filteranlage für die Toiletten und Waschräume der Mall benutzt. Falls kein Regenwasser vorhanden ist, kann man auf die öffentliche Versorgung zurückgreifen. Die Parkplätze und Lagerräume befinden sich in drei unterirdischen Ebenen.

 

 

Vilalta Arquitectura
Architekt Xavier Vilalta, Gründer des in Barcelona beheimateten Büros, das sich mit Architektur, Urbanismus und Design befasst, kombiniert in seinen Arbeiten innovative Technologien mit örtlichen Ressourcen und Kultur, um in den regionalen und ökologischen Kontext passende Architektur zu schaffen. Nach seiner eigenen Aussage liebt er die Natur und sorgt sich um die Menschen und versucht bei seiner Arbeit das Alte mit dem Neuen zu verbinden. Seine Projekte sind respektvoll zur Vergangenheit und sparsam in einer zeitgemäßen Modernität.

Addis Abeba ist die Hauptstadt von Äthiopien. In der Sprache der Oromo wird die Stadt Finfinne oder Shaggar genannt. Sie ist Sitz der UN-Wirtschaftskommission für Afrika und des Hauptquartiers der Afrikanischen Union und liegt auf über 2.300 Meter Höhe. 

 
Lideta Mercato
Addis Abeba, Äthiopien
Bauherr:  Flintstone Engeneering
Planung:  Vilalta Arquitectura
Projektleitung:  Maria Rosaria Favoino
Mitarbeiter:  Joao Medeiris, Miguel Sánchez Enkerlin,
                            Reema Al-Ajlan, Daniel Vaczi
Statik: K2N Engeneering
Nutzfläche: 14.200 m2
Planungsbeginn: 2010
Fertigstellung: Juni 2016

 

Text: Peter Reischer

Fotos: © Gonzalo Guajardo

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Kategorie: News, Projekte