Niki de Saint Phalle School

29. Juni 2016 Mehr

Eine Schule wie eine Skulptur.
Niki de Saint Phalle – Petits Cailloux / Saint-Denis, Frankreich / Paul Le Quernec
Der Architekt Paul Le Quernec hat in Frankreich, in St. Denis, einen Kindergarten mit Volksschule, Cafeteria, Freizeit- und Erholungszentrum errichtet. Der Bildungskomplex, der in der grundrisslichen Form eines Kleeblattes gestaltet ist, nennt sich „Niki de Saint Phalle – Petits Cailloux“ – Schule. Er greift in vielen Bereichen die Formensprache und auch psychologische Momente der großen Künstlerin auf: Ähnlichkeiten mit den „Nanas“ finden sich in den plastischen Bereichen der Architektur und in den Ausformungen und der Gestaltung der Innenräume durchaus wieder.

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Die Architektur umfasst einen Kindergarten mit acht Klassen, eine Volksschule mit zehn Klassen, eine Cafeteria und einen Bereich für Freizeit und Erholung. Drei Obergeschosse und ein Keller mit einem Technikraum füllen das Volumen. Um eine gleichmäßige Verteilung der Zugangsmöglichkeiten und Verbindungen der unterschiedlichen Einheiten zu erzielen, hat man die Baufläche in sechs Abschnitte geteilt: drei Außenbereiche (Eingang, Spielplatz des Kindergartens und der Volksschule) und drei Innenbereiche (Kindergarten, Volksschule und Cafeteria mit dem Freizeitzentrum). Aus dieser Aufteilung resultiert das Kleeblatt als Grundriss. Die Gebäudeform bietet, zusätzlich zu den zusammenführenden und ökonomischen Wegführungen, auch eine sehr gute Verbindung zwischen Innen- und Außenraum. Das Resultat dieser Überlegungen sind viele Aussichtspunkte, Zutrittsmöglichkeiten von außen und die gute, fast intuitive Orientierung im Gebäudeinneren.

So wie Niki de Saint Phalle die Kunst als Rettung, als ihr eigenes Überleben, bezeichnete, geht auch Le Quernec an den Entwurf mit einigen psychologischen Überlegungen heran. Die Grundrissform (Kleeblatt) ist ja fast symmetrisch. Wenn man nun die Unterrichtsmethoden in einem Kindergarten und in einer Volksschule heranzieht – sind diese sehr verschieden. Deswegen entwickelte er zwei räumliche Konzepte, die genauso verschieden wie die rechte und die linke Gehirnhälfte des Menschen sind. Unsere Gehirnhälften sind nahezu symmetrisch aber keineswegs ident, sie haben sehr unterschiedliche vitale Funktionen, wie man aus der Hirnforschung weiß. Die Architektur dieser Bildungseinrichtung ist auch nur in der äußeren Erscheinung ident oder symmetrisch. Die Tatsache, dass man das Gebäude in Windeln betreten kann und es mit den Fähigkeiten lesen und schreiben zu können, Arithmetik und Geografie zu kennen, verlässt, zeigt wie groß der Unterschied zwischen den beiden Schulaspekten sein kann.

Die Klassen des Kindergartens sind systematisch aus Kreisen mit verschiedenen Durchmessern und unterschiedlichen Raumhöhen konstruiert. Die Volksschulklassen sind quadratisch und eine Seite ist immer komplett transparent verglast. Die Restflächen zwischen den Kreisen werden als Stauraum benutzt, um mehr Platz in den Klassen zu gewinnen. Der Mehrzweck-Kindergartenraum ist kreisförmig mit einer halbsphärischen Decke, der quadratische der Volksschulklassen hat eine pyramidenförmige Decke. Die beiden großen Räume öffnen sich in den Spielbereich und beide profitieren von großen Lichtkuppeln. Durch ihre Öffnung zu den Gängen hin tragen sie zur natürlichen Innenraumbeleuchtung bei und erleichtern die Orientierung im Gebäude, indem sie Blickachsen öffnen.
Eine der Hauptanliegen der Architektur war es, die Durchwegung und Orientierung im Raum zu erleichtern. Vom Eingang aus ermöglicht es die Kleeblattform den Besuchern, geradeaus bis zu den beiden Spielbereichen zu blicken. Einmal in der Halle angekommen, laufen die drei Zugänge vom Kindergarten rechts, der Volksschule links und dem vorne liegenden Freizeitbereich in der Mitte bei dem großen Stiegenhaus, das sich um den Lift herum befindet, zusammen. Die Halle reicht durch die gesamte Gebäudehöhe und ist mit Oberlichten beleuchtet. Zwei freischwebende, blasenförmige Ausbuchtungen beleben diesen Bereich: Beide sind Bibliotheken – entweder des Kindergartens oder der Volksschule. Das bewusste Positionieren des „Buches“ – quasi überhöht – im Zentrum ist durchaus als Statement zu betrachten. Sie suggeriert die Notwendigkeit der Bildung und des Wissens für Kinder.

Wenn man nun die Proportionen der Architektur betrachtet, war die Behandlung der Fassadenflächen eine gewisse Herausforderung. Um eine monotone und einheitliche Ansicht zu vermeiden, haben die Architekten eine Holzverkleidung aus Lattungen entworfen. Diese ändert sich, je nachdem wo der Besucher um das Gebäude herumgeht. Die unteren Ansichten der Latten sind orange angemalt, die oberen apfelgrün und die Frontansicht der schrägen Latten ist unbehandelt. So ist die Frontalansicht komplett neutral und das Aussehen ändert sich, wenn man die Lattung seitlich anschaut. Die Hauptfassade sieht beim Betreten des Gebäudes grün aus und beim Verlassen ist sie rot. Dieser Effekt ist eine Analogie zu einer optischen Illusion, die einen großen pädagogischen Einfluss auf das Gehirntraining hat. Überhaupt ist jede Auswahl, jede Entscheidung, die bei diesem Projekt getroffen wurde, bewusst gewählt und hat Auswirkungen auf die psychomotorischen Entwicklungen der Kinder.

Niki de Saint Phalle – Petit Cailloux
Saint-Denis, Frankreich
Bauherr: Ville de St. Denis
Planung: Paul Le Quernec
Statik: Batiserf
Grundstücksfläche: 5.000 m2
Nutzfläche: 4.800 m2
Bauzeit: 14 Monate
Fertigstellung: 08/2015
Baukosten: 12 Mio. Euro

Fotos: ©Paul Le Quernec
Text: Peter Reischer

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Kategorie: News, Projekte