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architektur Ausgabe 01/2014

magazin 23 worden, ob ich mir dieses Objekt anschauen könnte, und zwar hinsichtlich einer Adaptierung und Renovierung. Es waren eigentlich zwei Häuser, beide aus den Jahren um 1820, die aber ein Gebäude für eine ehemalige Kinderwagenmanufaktur darstellten. Die ist aber erst nach dem 2. Weltkrieg im Gebäude gewesen, denn wir haben alte Pläne gefunden, in denen das jetzige Lokal ‚Café Hochschule‘ hieß. Also es war schon einmal - zumindest in der Zwischenkriegszeit - ein Kaffeehaus und hat auch etwas mit Studenten zu tun. Das heißt, den Restaurationsbetrieb könnte man schon als ‚Fundstück‘ bezeichnen? Ganz genau, auf den Plänen waren auch die Küche und die WC-Gruppe an derselben Stelle wie heute eingezeichnet. Könnte man die Tatsache, dass es jetzt gut funktioniert, auf die ursprüngliche, gewesene Situation zurückführen? Das wäre mir zu gewagt. Es hat mehr mit dem, wie wir mit dem Objekt umgegangen sind zu tun, und auch mit den Menschen, die sich hier befinden und arbeiten. Es liegt zum Beispiel auch am Maître des Betriebes, er war früher im ‚Neni‘ im Stilwerk. Bei der damaligen Besichtigung des Objektes kam ich zur Ansicht, dass es für den Verein ‚VinziRast‘ geeignet wäre. Es hat jahrelang leergestanden, war Bauklasse 2 mit dem alten Biedermeierstraßenprofil und ist in der Schutzzone. Beim Abbruch und Neubau hätte man eine Arkade mit einem öffentlichen Durchgang herstellen müssen. Die 5 Straßenbahnlinien in der Währingerstraße hätten ein derartiges Vorhaben gewaltig erschwert. Wir haben uns dann auf den vorderen Teil des Objektes konzentriert, beide Teile - das wäre zu groß geworden. Ein Haus ist eben ein Haus, das stellt einen Wert dar, ist ein Kapital. Wenn man sich darauf einlässt und die Nutzungen es ermöglichen ist das ein großer Pluspunkt für den Start des Projektes. Was war, außer den physischen Gegebenheiten, für Sie bei Ihrer Spurensuche noch wichtig? Ich kannte das Gebäude sehr gut vom Vorbeigehen, das Kinderwagengeschäft kannte wahrscheinlich jeder in Wien. Es war ein Eckhaus und streckte die Nase in den Stadtraum hinein. Meiner Meinung nach war vor 100 bis 200 Jahren ein bisschen mehr ‚Consciousness‘ (Bewusstheit) für das Bauen vorhanden. Sehen Sie in der derzeitigen Nutzung - abseits des herkömmlichen Wohnungsbau- und Renditegedankens - einen Bruch oder eine Weiterentwicklung in gesellschaftlicher Hinsicht? Ich kenne Kollegen, die mit Investoren im Haus waren, genau zu diesem Zweck. Die haben es offenbar als zu klein oder zu aufwendig gefunden. Oder die Schutzzonenbestimmungen waren ihnen zu restriktiv. Deswegen ist es so lange leergestanden und Herr Haselsteiner konnte es günstig erwerben und dem Verein schenken. Den gesamten Aus- und Umbau haben wir ganz normal ausgeschrieben und finanziert. Allerdings haben wir sehr viel Material von der Bauindustrie und auch Leistung geschenkt bekommen. Wie haben Sie es geschafft, trotz der Bauordnung ein (fast vollwertiges) Geschoss mehr bauen zu dürfen? Es war uns sehr schnell klar, dass mit dem alten Dachstuhl nichts anzufangen ist. Die Traufenkante war ein Meter tiefer als Bauklasse 2 (10,5 Meter). Wir haben herausgefunden, dass die alte Fassade einer Regel unterliegt: Wenn man die Höhe des Erdgeschosses mit 0,75 multipliziert, erhält man genau die Höhe des nächsten Geschosses und so weiter. Das hat man in der Biedermeierzeit gemacht, um durch die Perspektive das Haus höher erscheinen zu lassen. Diese Regel hätte ein weiteres Geschoss mit einer 1 Meter höheren Traufenkante als erlaubt ergeben. Unser Argument bei der Behörde war, wenn es darum geht, einen schützenswerten Bestand zuhaben, dann muss man die Regeln dieses Bestandes auch für die Erneuerung akzeptieren. Da wir keine Dachflächenfenster wollten und Gaupen aufgrund unseres Namens nicht infrage kamen, haben wir das gesamte Volumen, das wir auch in die Lackierergasse hinein, konsumieren hätten dürfen, als *Das Prinzip des Projektes ‚VinziRast mittendrin‘, Ecke Währingerstraße/Lackierergasse. Circa 30 Menschen, Studenten und zur Hälfte Obdachlose wohnen in Wohngemeinschaften in einem Haus zusammen. Es gibt auch international kein Vergleichsobjekt, deswegen ist es ein ‚try and error‘ System. Alle zahlen die gleiche Miete. In dem Augenblick, wo ein obdachloser Mensch eine Meldeadresse hat, hat er auch Anspruch auf Mindestsicherung und kann die Miete zahlen. Wer keinen Anspruch auf eine staatliche Sozialleistung hat, kann auch im Haus, im Restaurant oder in den Werkstätten mitarbeiten. Durch diese Gemeinschaft finden manche auch wieder Vertrauen in die Gesellschaft.


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