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architektur Ausgabe 01/2014

licht Urbane Angst(t)räume Text: podpod design Was wären ‚Hänsel und Gretel‘ oder ‚Rotkäppchen und der böse Wolf‘ ohne den finsteren Wald, was ‚Das Schweigen der Lämmer‘ ohne sein gruseliges Finale im lichtlosen Keller des Mörderhauses? Nosferatu oder Dracula im gleißenden Scheinwerferlicht? Undenkbar. Der Mensch geht ja recht spielerisch mit den fiktiven Angsträumen um, wenn es aber um die greifbare Realität der dunklen Bereiche im städtischen nächtlichen Raum geht, ist es schnell vorbei mit dem Spaß. Zwar gehen die Meinungen auseinander, in welchem Maß die Erhellung von Dunkelzonen 56 eine messbare Erhöhung der Sicherheit und damit eine Senkung der Kriminalitätsrate bewirkt. So konnte unseres Wissens keine wissenschaftliche Studie das bis jetzt schlüssig nachweisen, aber wir Menschen sind ja doch Individualisten. Intimzonen … Das persönliche Sicherheitsgefühl bedarf – je nach Charakter und Präferenz – durchaus verschiedener Lichtniveaus. Manche fühlen sich im Schutz des Halbdunkels am wohlsten, andere wiederum brauchen die Eindeutigkeit eines gut ausgeleuchteten Umfelds. Andere wiederum pendeln im Laufe eines Abends zwischen diesen beiden Polen hin und her. Das sollte uns allen vertraut sein, gibt es doch in allen traditionellen wie auch modernen Formen des Nachtlebens Bereiche zum gesehen werden und Bereiche des Rückzugs (Stichwort © podpod © podpod Chill Out Zone). Nicht immer sind die Guten im Licht und die Bösen im Dunklen. Qualitativ hochwertige Lichtplanung im Freiraum schafft daher immer eine Bandbreite von Zonen verschiedener Helligkeit: Von intim und zurückhaltend, bis hin zu hellen Bereichen von Aktivität und Sicherheit, in denen man sich abwechselnd aufhalten kann. – Wenn man sich als Planer die Mühe macht, mehr Aufwand zu betreiben als nur die 08/15-Normlichtplanung. … oder Gefahrenzonen? Im Licht-Masterplan der Stadt Wien wird dem Thema Gender Mainstreaming und Sicherheit durch Beleuchtung gleich ein eigenes, kleines Kapitel eingeräumt. Gemeint ist die Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls im öffentlichen Raum durch verschiedene Maßnahmen, wie etwa die Einhaltung der normativen Vorgaben für die halbzylindrische Beleuchtungsstärke, die gute Gesichtserkennung durch ausreichende vertikale Beleuchtungsstärken gewährleistet. Ein anderer und unserer Meinung nach leider oft vernachlässigter Aspekt ist mangelnde Ausleuchtung der unmittelbar angrenzenden Umgebungszone bzw. der peripheren vertikalen Flächen. Ein Beispiel dafür sind nachts genutzte öffentliche Parkplätze, die meistens eher fahrstreifenbezogen beleuchtet werden. Der starke Lichtabfall bis zum hinteren Ende der Autos lässt den Raum dahinter im nächtlichen Dunkel versinken und erst zum Angstraum werden. Müllmeile An der straßenseitigen Einfriedung des in den letzten Jahren neu gestalteten Hauptquartiers der MA48 in der Hernalser Lidlgasse lässt sich schön sehen, mit welch einfachen Mitteln sich ein ganzer Straßenabschnitt in seiner emotionalen Wirkung komplett transformieren lässt: Im dekorativen Well-Alu-Zaun sind in regel- In Märchen, Sagen und Filmen tritt – nicht ganz zufällig – immer wieder ein Motiv auf, mit dem sich zuverlässig Spannung aufbauen und wohliger Schauer auf dem Rücken der Zuseher und -hörer erzeugen lässt: der Angstraum. © podpod © podpod


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