Barrierefreiheit öffentlicher Gebäude
Stufen, zu enge Durchgangsbreiten, zu knapp bemessene Aufzüge, Niveauunterschiede, zu klein geschriebene Hinweisschilder oder außerhalb der Sichthöhe angebrachte Bedienelemente – Menschen mit Behinderungen sind im täglichen Leben häufig mit baulichen Barrieren und Hindernissen konfrontiert, welche die Betroffenen oft von einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließen. Diese Barrieren abzubauen, ist in Österreich Ziel verschiedener bundes- sowie landesgesetzlicher Bestimmungen. Bis Anfang 2016 müssen in Österreich öffentlich zugängliche Gebäude jedoch grundsätzlich behindertengerecht adaptiert und barrierefrei zugänglich sein.
So normiert etwa Art 7 der Österreichischen Bundesverfassung ausdrücklich den Grundsatz, dass Niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich darin explizit auch dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. In Konkretisierung dieses verfassungsgesetzlichen Benachteiligungsverbotes soll das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) Diskriminierungen von behinderten Menschen beseitigen oder verhindern und diesen damit eine selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen sowie ihre gleichberechtigte Teilhabe am Gesellschaftsleben gewährleisten.
Gemäß dem Diskriminierungsverbot des § 4 Abs 1 BGStG darf niemand aufgrund einer Behinderung unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden. Nach § 5 Abs 1 BGStG liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person aufgrund einer Behinderung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine mittelbare Diskriminierung liegt entsprechend § 5 Abs 2 BGStG hingegen grundsätzlich dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können.
Mit den sogenannten „Merkmalen gestalteter Lebensbereiche“ erfasst der Gesetzgeber unter anderem auch bauliche Barrieren als mittelbare Diskriminierung, worunter demnach etwa Stufen, Niveauunterschiede, zu enge Durchgangsbreiten oder für mobilitätsbehinderte Menschen unbenutzbare Sanitäranlagen verstanden werden können. Der Geltungsbereich des BGStG erstreckt sich neben der Verwaltung des Bundes gemäß § 2Abs 2 auch auf private Rechtsverhältnisse, die im Zusammenhang mit dem Zugang zu und der Versorgung mit der Öffentlichkeit zur Verfügung stehenden Gütern und Dienstleistungen stehen. Das BGStG gilt sohin nicht allein für Behörden bzw. öffentliche Einrichtungen, sondern vielmehr auch für öffentlich zugängliche Geschäftslokale. So sind demnach etwa auch privatwirtschaftliche Unternehmen, welche Güter und Dienstleistungen öffentlich anbieten, wie insbesondere der Handel oder die Gastronomie, angehalten Menschen mit Behinderungen nicht zu benachteiligen und insbesondere auch deren Geschäftsräumlichkeiten barrierefrei zu gestalten.
Barrierefrei sind gemäß § 6 Abs 5 BGStG bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. Ob bzw. inwieweit ein Gebäude / eine Geschäftsräumlichkeit barrierefrei zu gestalten sind, ist im Rahmen einer Zumutbarkeitsprüfung der erforderlichen Maßnahmen zu beurteilen, wobei insbesondere der mit der Beseitigung verbundene Aufwand, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des zur Beseitigung Verpflichteten, Förderungen aus öffentlichen Mitteln für die entsprechenden Maßnahmen, die zwischen dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes und der behaupteten Diskriminierung vergangene Zeit sowie die Auswirkung der Benachteiligung auf die allgemeinen Interessen des durch dieses Gesetz geschützten Personenkreises zu berücksichtigen sind. Maßgeblich ist insoweit auch, ob durch den zur Beseitigung Verpflichteten wenigstens versucht wurde, die Situation des Betroffenen zu verbessern, so soll der zur Beseitigung einer Barriere Verpflichtete im Sinne einer größtmöglichen Annäherung an eine Gleichbehandlung zumindest den für ihn selbst zumutbaren Zustand herstellen.
Zudem ist im Rahmen der Abwägung der Zumutbarkeit zu prüfen, ob einschlägige, auf den gegenständlichen Fall anwendbare Rechtsvorschriften zur Barrierefreiheit vorliegen und ob und inwieweit diese eingehalten wurden. Die diesbezüglichen Grundlagen für barrierefreies Bauen sind in Österreich jedoch nicht einheitlich geregelt, sondern richten sich grundsätzlich nach den Bestimmungen der einzelnen landesgesetzlichen Bauordnungen und Bautechnikgesetzen. Die Spezifikationen zur Barrierefreiheit sind dabei in den einzelnen Bundesländern teilweise erheblich unterschiedlich ausgestaltet. Beachtlich sind in diesem Zusammenhang auch die vom Österreichischen Institut für Bautechnik herausgegebenen OIB-Richtlinien, welche der Harmonisierung der bautechnischen Vorschriften in Österreich dienen sollen.
So regelt Richtlinie 4 „Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit“ die konkreten technischen Anforderungen von Bauwerken im Hinblick auf deren Barrierefreiheit. Allerdings sind die Richtlinien derzeit noch nicht in allen Bundesländern umgesetzt. Spezielle – jedoch grundsätzlich freiwillige – Standards zur Planung und Ausführung barrierefreier Bauten definieren zudem die ÖNORMEN B 1600 bis B 1603 des Austrian Standards Institute. Anwendung findet das BGStG derzeit bereits uneingeschränkt auf Neubauten, welche nach dem 01. 01. 2006 errichtet wurden. Für bestehende Bauten, die aufgrund einer vor dem 01. 01. 2006 erteilten Baubewilligung errichtet wurden, sind hingegen gestaffelte Übergangsbestimmungen vorgesehen. Aktuell normiert § 19 Abs 6 Z 2 BGStG für solche Bauten eine Pflicht zur Beseitigung von baulichen Barrieren, soweit dies im Rahmen geringfügiger Adaptierungen mit einem Aufwand von bis zu 5.000 € bewerkstelligt werden kann. Zudem sieht § 19 Abs 2 BGStG für bauliche Barrieren bei solchen Bauten eine Überganszeit bis zum 31.12.2015 vor. Ende 2015 läuft die 10-jährige Übergangsfrist zur Schaffung der Barrierefreiheit auch für bestehende Bauten aus, die aufgrund einer vor dem 01. 01. 2006 erteilten Baubewilligung errichtet wurden.
Verstöße gegen das BGStG ziehen – da es sich dabei um eine zivilrechtliche Vorschrift handelt – zwar weder verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen nach sich, noch sieht das Gesetz einen Beseitigungsanspruch im Hinblick auf die bauliche Barriere vor. Personen, die diskriminiert wurden, können jedoch schadenersatzrechtliche Ansprüche gegen den zur Beseitigung der Barriere Verpflichteten geltend machen. Um in der Praxis einer gerichtlichen Auseinandersetzung wegen möglicher Schadenersatzforderungen entgehen zu können, empfiehlt es sich daher bauliche Barrieren noch rechtzeitig vor Fristablauf zu beseitigen und die für einen barrierefreien Zugang und Betrieb des Geschäftslokals erforderlichen Adaptierungen vorzunehmen.
Text: Mag. Matthias Nödl, Rechtsanwalt
Kategorie: Bau & Recht, Kolumnen