Der Umgang mit historischem Bestand
Architekt Heinz Neumann braucht man in Österreich nicht weiter vorzustellen. Seine zahlreichen, in den letzten Jahrzehnten errichteten, Neubauten sind besonders aus dem modernen Stadtbild Wiens nicht mehr wegzudenken. Eine der weniger offensichtlichen Kernkompetenzen seines Architekturbüros HNP architects, liegt in der Revitalisierung hochwertiger historischer Bausubstanz. Wir sprachen mit ihm und einem seiner beiden Partner, Oliver Oszwald, über dieses spannende Thema.
Heinz Neumann mit seinen Partnern Oliver Oszwald und Florian Rode (v.l.n.r.)
© GNK Media House GmbH
Wie beurteilen Sie, ganz allgemein, den Umgang mit dem Baubestand in Österreich, vor allem mit dem historischen Bestand in Wien?
Oliver Oszwald (OO): Zweiteilig. Die denkmalgeschützten Gebäude werden gut gepflegt. Hier gibt es nicht nur die MA 19 und die MA 37, sondern auch das Bundesdenkmalamt, das darauf achtet, dass wirklich alles sauber abläuft und qualitativ hochwertig in Stand gesetzt wird. Bei den „historischen“, aber nicht geschützten Gebäuden wird leider viel Schindluder betrieben. Hier werden Gebäude oft einfach abgerissen und etwas Neues hingebaut, das dem Ursprung ganz und gar nicht entspricht. Warum das gemacht wird, kann man sich leicht ausrechnen, wenn man das Mietrechtsgesetz betrachtet. Denn wenn trotz eines komplett revitalisierten Gebäudes keine entsprechenden Mieten lukriert werden können, dann ist das aus Bauherrensicht verständlich. Weder von der architektonischen Qualität noch vom Stadtgefüge her, ist das optimal.
Was macht diese Altbauten attraktiv?
OO: Zum einen die wesentlich größeren und sehr angenehmen Raumhöhen von mehr als drei Metern. Zum anderen die Feingliederung, und dass sie sehr gut in den städtebaulichen Kontext passen.
Heinz Neumann (HN): Zu diesen alten Gebäuden muss man auch sagen, dass diese sehr gutmütig sind, weil sie meistens Ziegelbauten sind. So ein Ziegel kann sich sogar ein bisschen setzen, mit dem kann man etwas machen. Mit den betonierten Gebäuden haben wir meistens mehr Schwierigkeiten, denn wenn man ein Teil herausnimmt, dann stimmt die Statik vom ganzen Haus nicht mehr.
Goldenes Quartier Kreuzung Bognergasse Tuchlauben
© Gregor Titze
Wann macht für Sie letztendlich nur ein Abriss Sinn?
OO: Wirtschaftlich wahrscheinlich immer. Formal kann man das nicht über einen Kamm scheren. Das kommt darauf an, ob ein Gebäude nur alt ist oder ob es auch schön gegliedert ist und eine Seele hat. Wir haben in letzter Zeit, seit die Bauordnungsnovelle herausgekommen ist, teilweise auch dafür gekämpft, dass man ältere Gebäude doch abreißen kann, weil sie einfach nicht gegliedert waren, Kriegsschäden hatten und einfach eine Vollwärmeschutzfassade raufgezogen wurde. Sie haben sich also optisch von einem Neubau nicht mehr wirklich unterschieden. Da macht es auch formal einen Sinn. Aber bei einem wirklich schönen 100-150 Jahre alten Gebäude ist das natürlich nicht das Optimum, wenn man das abreist.
HN: Es kommt auf die Substanz an, die vorhanden ist. Und wenn diese Substanz unserem Gefühl nach wertvoll ist, dann werden wir dem Bauherren empfehlen, das zu erhalten. Aber wenn das eine abgeräumte Gründerzeitfassade ist, auf der Vollwärmeschutz klebt, da werden wir nicht so vorsichtig sein, sondern eher den gröberen Weg beschreiten und sagen, das hat keinen Sinn.
Wäre es, aus Sicht der Ressourcenschonung, eigentlich nicht immer angebracht, den Bestand zu erhalten und einzugliedern?
OO: Natürlich, jedes Baumaterial, das ich schon habe und nicht extra hinschaffen und bearbeiten muss, bedeutet natürlich eine Schonung vom CO2-Budget. Darum ist unser Motto, dass man so baut, dass man sich diese ganzen Gebäude in mehreren Jahrzehnten noch ansehen kann. Also, dass man nicht irgendetwas Zeitgeistliches hinsetzt, das sich dann mit der rechten Hand an der linken Schulter kratzt, sondern etwas, das wirklich Hand und Fuß hat und auch eine formale Nachhaltigkeit in sich birgt.
Haus am Schottentor
© Lukas Jahn
Welche Verantwortung tragen die Architekten beim Umgang mit dem Bestand? Ist es für Architekten nicht oft attraktiver, wenn sie einen Neubau hinstellen können? Sei es aus finanzieller Sicht oder als Selbstverwirklichung?
HN: Also das mit der Selbstverwirklichung höre ich nicht gerne. Denn das sind nur diese obereitlen Kollegen, denen es wichtiger ist, irgendeinen Akzent zu setzen, der schreit, statt dass sie Dienstleistung machen und für einen Bauherren etwas entwickeln. Eine derartige Selbstverwirklichung wird in diesem Haus nicht gepflogen, man kann nämlich trotzdem auch großartige Architektur machen. Wenn ich mir z.B. unser Uniqua-Gebäude ansehe. Das ist im Kostenrahmen, im Zeitrahmen und da sind keine besonderen Spompanadeln gemacht worden und ich glaube, es ist eine ordentliche Architektur.
OO: Ich halte es auch für wichtig, dass man als Architekt dem Bauherren zeigt, was alles möglich ist. Also nicht sofort mit dem Radierer kommt und sagt, weg damit und irgendetwas Neues hin.
Diese Gebäude in den Ursprungszustand zurückzuversetzen ist keine Option?
HN: Naja, da kommt dann immer der Rechenstift, denn wenn ich heute Raumhöhen von mehr als drei Metern habe und bei einem Abbruch und Neubau zwei Geschosse mehr hineinbringe, dann ist das ein schlagendes Argument für den Bauherren, eher den Abriss anzustreben.
OO: Und es ist auch eine Frage, wie die Mietflächen gestaltet sind. Wenn das eher kleinteilige Wohnungen sind, dann fallen sie in die Vollanwendung des Mietrechtgesetzes. Da kann man weniger Miete verlangen, als die ganze Revitalisierung kostet. Das wird kein Bauherr machen. Wenn es um größere Wohnungen geht, dann ist er damit am freien Markt und da funktioniert das natürlich besser. Vor allem, wenn es dann ins Eigentum geht. Dann sind, vor allem innerstädtisch, diese großen Raumhöhen auch sehr nachgefragt.
Als konkretes Beispiel haben Sie zuletzt die Renovierung des „Haus am Schottentor“ realisiert. Was sind die besonderen Herausforderungen, ein denkmalgeschütztes und prominentes Gebäude im Herzen Wiens, an aktuelle Bedürfnisse anzupassen?
OO: Dass man nicht weiß, was auf einen zukommt. Das heißt, es steht und fällt mit einer soliden Bestandsaufnahme. Doch selbst, wenn diese durch den Bauherren wirklich akribisch gemacht wird, muss man dennoch vor Ort gehen und Probeöffnungen machen, sondieren und stößt so auf viele Probleme, die man eigentlich gar nicht wirklich aufzeichnen kann, sondern direkt vor Ort lösen muss.
Haus am Schottentor
© Lukas Jahn
Spielen bei dieser Bestandsaufnahme moderne Technologien eine große Rolle? Und wie sieht es mit BIM aus?
OO: Jein, normalerweise, also bei unseren Neubauprojekten, ist BIM sowieso Standard. Bei Altbauprojekten kommt es darauf an, mit welchen Grundlagen wir die Pläne bekommen. Wenn wir 3D-Scans bekommen, das sind monströse Punktwolken, die dann vom Geometer quasi in den BIM-Standard übersetzt werden, da geht das schon. Dann kann man wirklich jeden Schnitt und jede Parapethöhe herauslesen. Aber in etwa der Hälfte der Fälle derzeit noch nicht. Hauptsächlich, weil diese Projekte schon etwas älter sind und die Scanverfahren und die BIM-Bearbeitung noch nicht so etabliert waren. Bei einem Projekt haben wir letztendlich die ganze Dachlandschaft freiwillig im BIM modelliert, weil es für uns wichtig war, laufend Schnitte legen zu können. Im klassischen 2D geht das zu langsam und ist oft auch zu ungenau.
HN: Bei BIM haben wir folgendes Sprichwort: Nicht darüber reden, sondern es anwenden. Wir sind schon ganz am Anfang eingestiegen und zeichnen eigentlich fast alles mit BIM.
Können in der Regel die meisten Wünsche der Bauherren erfüllt werden, oder müssen, aufgrund der Bausubstanz und des Denkmalschutzes, Kompromisse gemacht werden?
HN: Der Bauherr geht immer an die Grenze und man muss mit sehr sorgfältigen Gesprächen ausloten, ob man nicht doch etwas Schönes zusammenbringt. Denn dem Bauherren ist es meistens egal, wo das Stiegenhaus liegt und er möchte es aus funktionellen Gründen eigentlich wo anders. Dann muss man ihn halt führen und versuchen, so viel wertvolle Substanz zu erhalten wie möglich.
Wir sind dahingehend auch sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt, weil wir immer etwas finden, das wir abtauschen können. Das ist jetzt kein Kuhhandel, aber wir sagen, wenn wir jetzt diese Sequenz vollkommen erhalten können, vielleicht können wir dann da oder dort einen untergeordneten Raum eben anders gestalten. Und da ist das Denkmalamt fast immer gesprächsbereit.
OO: Das wird auch nicht alles am Papier entschieden. Da gibt es vor Ort gemeinsame Bemusterungen mit dem Denkmalamt. Man muss immer beide Seiten verstehen, sowohl Denkmalamt als auch Bauherren, dann findet man meistens einen sehr guten Kompromiss.
HN: Mit dem Kopf durch die Wand funktioniert es nicht. Das geht beim Bauen im wertvollen Bestand nicht.
Park Hyatt Vienna
© Gregor Titze
Man kann wohl davon ausgehen, dass sich die Lebensweise der Menschen in beschleunigter Weise verändern wird. Was muss gute Architektur von heute leisten, um auch in weiteren hundert Jahren als erhaltenswert zu gelten?
HN: Da muss man in erster Linie das Budget der Gebäude verändern, sodass man mit einer größeren Qualität bauen kann. Leider sind sehr viele Bauvorhaben an der finanzierbaren Grenze nach unten. Also ich glaube, dass man bei Gebäuden wie beim „Haus am Schottentor“ oder beim „Park Hyatt“ nicht so genau den Rechenstift angesetzt hat. Und das merkt man auch. Budgetbauten sind hier natürlich wesentlich anfälliger, als wenn man die Budgets mit Weitsicht bestimmt. Früher hat man noch für längere Zeiträume gebaut, weil sich die Lebensgewohnheiten der Menschen nicht derartig schnell verändert haben.
Wäre es in Anbetracht dieser schnellen Veränderung nicht angebracht, bei Neubauten oder größeren Eingriffen, auf eine einfache Demontierbarkeit der Bausubstanz zu setzen?
HN: Da gibt es viele, die darüber nachdenken – wirklich zusammengebracht hat es aber noch niemand.
OO: Schon in den 50er- und 60er-Jahren hat man da mit Knotenverbindungen an Häusern experimentiert. Das ist damals hauptsächlich an der Technik gescheitert, heute scheitert das eher an den Kosten. Eine Fassade könnte ich z.B. sehr schön in Einzelteile zerlegen, aber das ist alles dermaßen teuer, dass es letztendlich keiner macht. Ein Thema sind hier vor allem diese wahnsinnig vielen Materialien, mit denen wir es jetzt zu tun haben. So ein Haus, mit all den Spezial-Kunststoffen, Klebern, Montageschäumen, Folien etc., beim Abbruch wieder in seine Einzelteile zu zerlegen, ist eine Sisyphusarbeit.
HN: Aber z.B. an der BOKU wird sehr viel über das Thema Recycling nachgedacht und wie man das Bauen beeinflussen kann, um möglichst viele Baustoffe zur Gänze zu erhalten. Das ist aber auch wieder eine Kostenfrage. Wenn ich heute z.B. ein Plastikfenster einbaue, das kostet natürlich deutlich weniger, aber das kann ich nach der Demontage bestenfalls einheizen. Wenn ich aber ein vernünftiges Aluminiumfenster nehme, dann ist das Aluminium wiederverwendbar, und zwar mit relativ wenig Energieaufwand.
Park Hyatt Vienna
© Gregor Titze
Gibt es zum Abschluss noch etwas, das Sie unseren Lesern gerne mitgeben möchten?
HN: Ein ganz allgemeines Thema liegt mir immer am Herzen. Wir haben ein bürgerliches Gesetzblatt, nach dem arbeiten alle Rechtsanwälte in Österreich. Wir Architekten haben dagegen neun Bauordnungen, weil z.B. der Tiroler einen ganz anderen Kopf hat als der Wiener. Dass das nicht konkurrenzierbar gemacht wird, ist ein Skandal und da sollten sich alle Politiker an der Nase nehmen. Sie sollten darüber nachdenken, wie man einen einfachen Federstrich hin zu einer Einheitsbauordnung macht.
OO: Baurecht ist Landesrecht und nicht Bundesrecht. Denkmalschutz ist Bundesrecht, das ist recht simpel. Da weiß man, in jedem Bundesland gibt es Kataloge wie man herangehen muss, und dann gibt es Gespräche. Bei den Bauordnungen sieht das ganz anders aus. Wenn ich eine bauliche Ausnutzbarkeit von einem Grundstück in Niederösterreich, in Wien oder im Burgenland herannehme – da kommt drei Mal etwas Unterschiedliches raus. Das macht es unnötig kompliziert und ist auch einfach unlogisch.
HN: Auch diese zahllosen Scheußlichkeiten, die überall herumstehen, sind oft einfach nur die gebaute Bauordnung. Die erlaubt hier ein Wimmerl, hier eine Gaupe und hier ein Erkerlein. Wenn man das auf essenzielle Parameter wie Kubatur und Höhe vereinfacht, dann kann sich der Bauschaffende mit der Sache wirklich auseinandersetzen. Heute geht man her und schaut in der Bauordnung nach, wo man noch ein paar Quadratzentimeter dazugewinnen und wo man dafür noch 20 cm nach vorne springen kann.
Vielen Dank für das Gespräch!
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen