Die Nachhaltigkeit von morgen
Ist von der Erreichung der Klimaziele die Rede, liegt das Augenmerk mit auf der Architektur. Die Bauplanung ist in Bezug auf die Nachhaltigkeit immerhin eine wichtige Säule, die in diesem Punkt viel bewirken kann. Klimaschonende Bauten sind heute jedoch nicht durch den Einsatz komplexer Technologien, sondern vielmehr durch kreative Planungsansätze gekennzeichnet.
Christchurch Cardboard Cathedral von Shigeru Ban © Tony Hisgett
Dabei stellt sich die Frage, wodurch sich die sogenannte „nachhaltige Architektur“ überhaupt auszeichnet. Der eher allgemeine Begriff bezieht sich auf Bauten, deren Planung und Realisierung die Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen begrenzt. Klimafreundliche Planungsansätze umfassen dabei immer sämtliche Phasen des Entwurfs- und Bauprozesses. Besonderes Augenmerk legen Architekten heute auf die Wahl der Baumaterialien sowie die Integration ressourcenschonender Heizungs-, Lüftungs-, Kühl- und Sanitärsysteme.
Minimalismus statt Technologie
Bis vor Kurzem nahm man an, dass moderne Gebäude moderner Technik und eines hohen Energieaufwands bedürfen, um ihre Bewohner vor Hitze und Kälte zu bewahren. Soll ein Bau tatsächlich nachhaltig und klimaneutral sein, empfehlen Experten aber vielmehr intelligente, minimalistische Herangehensweisen. Ein hoher Wohnkomfort lässt sich nämlich durchaus mit elementaren Mitteln der Baukunst erreichen. Mittlerweile gibt es Bauten, die heutigen Wohnstandards entsprechen, aber trotzdem ohne Geräte zur Lüftung, Heizung und Kühlung auskommen.
Junge Projekte zeigen, dass klimagerechte Architektur nicht teuer sein muss – ganz im Gegenteil: Intelligente Planung setzt nicht etwa auf aufwändige Technologien, sondern sie spielt mit den Elementen und existierenden Rahmenbedingungen. Gebäude lassen sich beispielsweise durch gezielte Beschattung, Grünelemente und den Einsatz temperaturresistenter Materialen kühlen.
Auch recycelte Bausubstanzen bergen für die nachhaltige Architektur ein großes Potenzial. So baute der japanische Architekt Shigeru Ban Notunterkünfte aus Pappröhren. Diesen Baustoff setzte er außerdem für die 2013 errichtete Transitional Cathedral in Christchurch ein. Letztgenanntes Projekt glänzt zusätzlich mit einem hitzeabweisenden Dach aus Polycarbonat.
2226 von Baumschlager Eberle Architekten © Eduard Hueber
Ein Pionierprojekt als Investition in die Zukunft
Geht es um die nachhaltige Bauweise, so gilt das Projekt 2226 von Baumschlager Eberle Architekten als wegweisend. Das Konzept wurde bereits mehrfach adaptiert und in unterschiedlicher Form umgesetzt.
Konkret handelt es sich hierbei um ein Gebäude, in dessen Innenräumen konstant eine Temperatur zwischen 22 und 26 °C vorherrscht – und das ganz ohne den Einsatz von Klimaanlage und Heizung. Die Architekten erzielten diese ausgeglichene Wärmeentwicklung alleine mithilfe intelligenter Bauplanung. So wurden die Anlage und Größe der Fenster auf den Einfallswinkel der Sonne abgestimmt – da die Fensterscheiben leicht zurückversetzt sind, trifft die Sonnenstrahlung niemals direkt auf sie auf. Steigt der CO2-Anteil in den Räumen, öffnen sich automatisch die sensorisch gesteuerten Lüftungsflügel der Fenster. In den Sommermonaten sind diese flexiblen Bestandteile während der Nacht geöffnet – so wird das Gebäude gekühlt, wodurch es am Tag seine angenehme Temperatur beibehält.
Im Winter wärmen sich die Räume durch deren aktive Nutzung auf. Dafür sorgen einerseits die Menschen – deren Körper eine Wärmeabstrahlung von 80 Watt aufweist – und andererseits Geräte wie Kaffeemaschinen, Rechner und Drucker sowie die Beleuchtung.
Die namensgebende Temperaturstabilität im 2226-Gebäude ist dem Einsatz thermischer Masse zu verdanken. Baumschlager Eberle Architekten setzten bei ihrem Projekt auf Außenwände aus 38 Zentimeter statischem und 38 Zentimeter isolierendem Ziegelmauerwerk. Auf der Innen- und auf der Außenseite wurden die Wände mit einem glatten Kalkputz versehen. Dieser verhärtet sich mit der Zeit unter direkter Sonneneinstrahlung und wird so schmutzabweisend. Auch die Fenster mit Dreifachverglasung schützen die Nutzer des Gebäudes vor äußeren Einflüssen.
Die Architekten schätzen die Lebensdauer des Baus auf 200 Jahre ein. Entwickelt wurde das Bauwerk übrigens nicht für eine spezielle Zielgruppe – es dient vielmehr als Kommunikationsinstrument eines nachhaltigen Konzepts. Bereits heute ist es vielerorts ein Beispiel für eine neue Denkweise in der Bauplanung.
Mjøstårnet von Voll Arkitekter © Voll Arkitekter/Ricardo Foto
Nachhaltigkeit als alte Bautradition
Überraschenderweise haben etliche Praktiken und Grundsätze der nachhaltigen Architektur ihren Ursprung in alten Bautechniken. Letztere rückten mit dem Aufkommen der Industriellen Revolution in den Hintergrund und gerieten dadurch fast in Vergessenheit. Viele Planer, die nach Alternativen zu ressourcenintensiven Techniken suchten, wurden letzten Endes also in der Architekturgeschichte fündig.
So erlebt in der Bauplanung derzeit das Holz eine Wiedergeburt. Es handelt sich hierbei wahrhaftig um ein uraltes Baumaterial, das heute nicht nur beim Bau von Einfamilienhäusern, sondern vielerorts sogar zur Konstruktion von Hochhäusern zum Einsatz kommt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass in Zukunft Wolkenkratzer aus Brettsperrholz, wie das Hochhaus Mjøstårnet von Voll Arkitekter im norwegischen Brumunddal, das Stadtbild prägen werden. Der Holzbau fungiert im Osloer Vorort mit seinen 10.000 Einwohnern als Leuchtturmprojekt für grüne Architektur. Bei einer Höhe von 85,4 Metern beherbergt der Turm 18 Geschosse. Kennzeichnend für den Bau ist dessen vielseitige Nutzung. So ist das Erdgeschoss für die Öffentlichkeit zugänglich, indem es Lobby, Rezeption, Restaurant und den Eingang zu einem Schwimmbad beinhaltet. Im zweiten Stockwerk stehen Nutzern Meeting-Räume zur Verfügung und auch die technische Infrastruktur des Gebäudes ist hier vorzufinden. Die übrigen Geschosse beinhalten eine Mischung aus Hotelzimmern, Wohnungen und Büros, wobei eine Penthouse-Wohnung den Abschluss bildet. Im Übrigens bestehen nicht nur die Innenräume aus Holz, sondern auch die Fassade erstrahlt in dem natürlichen Material. Mit diesem außergewöhnlichen Wolkenkratzer beweisen Voll Arkitekter, dass sich auch Holzbauten für die urbane Nutzungsvielfalt eignen und die Stadt von morgen bereichern können.
In den Großstädten ist heute das Einbeziehen der Natur wichtiger denn je. Durch lebende Wände, begrünte Dächer und Wohntürme mit Baumwuchs lässt sich die Bepflanzung in die Stadt bringen. Dies dient einerseits dem Erhalt der Artenvielfalt und andererseits ist es dadurch möglich, im Sommer der Überhitzung von Fassaden und Straßen entgegenzuwirken. Nicht zuletzt können Bewohner sich damit auch in urbanen Gegenden in der Natur entspannen.
In Bezug auf die umweltbewusste Bauplanung hat sich auch die Stadt Kopenhagen mit dem „saubersten Abfall-Energie-Kraftwerk der Welt”, CopenHill, einen Namen gemacht. Es ist mit einem begrünten Dach zum Wandern, einer Skipiste und einer Kletterwand ausgestattet. Kopenhagens „erstes Skigebiet“ wurde im Jahr 2017 errichtet und eröffnet. In der sonst flachen Stadt ist es dank der originellen Müllverbrennungsanlage nun möglich, sich auf Ski- oder Wandertouren zu begeben. Das innovative Kraftwerk fungiert architektonisch durchaus als Leuchtturmprojekt, wobei es in der Hauptstadt von fast jedem Ort aus zu sehen ist. Einen völlig neuen Ansatz für den Umgang mit städtischen Ressourcen zeigt das Design mit dem begrünten Dach auf. Hiermit wird deutlich, dass sich (Natur)Räume nicht nur ebenerdig, sondern gleichermaßen auf gebauter Infrastruktur schaffen lassen.
CopenHill von BIG © Dragoer Luftfoto
Ein weiter Weg
Obwohl Nachhaltigkeit in die Bauplanung längst Einzug gefunden hat, macht sie noch einen (zu) geringen Teil der Architektur aus. Einige Experten sind sogar der Meinung, dass umweltfreundliche Baupraktiken eines regenerativen Ansatzes bedürfen. Bauwerke müssen sich demnach nicht nur ressourcenschonend umsetzen lassen, sondern sie sollen die Umwelt gleichzeitig in puncto Regeneration unterstützen. In diesem Kontext spielt auch der sogenannte „Netto-Null-Effekt“ eine wichtige Rolle. Um diesem Konzept gerecht zu werden, müssen Bauwerke mindestens so viel Energie erzeugen, wie sie verbrauchen.
Erstrebenswert ist in puncto Nachhaltigkeit des Weiteren eine anpassungsfähige Architektur. Sowohl Wohnbauten als auch öffentliche Gebäude sind unter diesem Gesichtspunkt modular zu gestalten, wobei auf natürliche Materialien zu setzen ist. Somit lassen sich die Baustoffe nach dem Ende des Nutzungszyklus recyceln und wiederverwenden. Auch ist das Abbauen dieser Materialien leicht möglich.
Geht es um die Implementierung nachhaltiger Konzepte in der Architektur, so gibt es in der Baubranche diesbezüglich durchaus Luft nach oben. Positiv ist, dass sich klimagerechte Bauplanung auf vielfältige und kreative Weise realisieren lässt. Sowohl einzelne Gebäude als auch ganze Stadtteile können einen Beitrag zu Umweltschutz und Lebensqualität leisten. Hohe finanzielle Investitionen sind dafür übrigens nicht erforderlich – die Bauplanung des 21. Jahrhunderts steht ganz im Zeichen des Minimalismus.
Text: Dolores Stuttner
Kategorie: Architekturszene, Kolumnen