Durch Wiederverwendung zu kreativeren Lösungen

13. März 2025 Mehr

Catherine de Wolf hat es sich zum Ziel gesetzt, zirkuläres Bauen mithilfe von digitalen Technologien nicht nur effizienter, sondern auch wirtschaftlicher zu machen. Als Leiterin des Lehrstuhls für Circular Engineering for Architecture (CEA) forscht und lehrt sie an der ETH Zürich zum Thema Kreislaufwirtschaft. Mit dem Digital Circular Economy Lab versucht die Architektin und Bauingenieurin außerdem, Recyclingbaustoffe, Expert:innen und andere Akteur:innen der Branche zu vernetzen. Uns erklärt die Professorin, mit welchen Herausforderungen sie sich dabei konfrontiert sieht und was wir in Hinblick darauf von Apps wie Tinder und Airbnb lernen können. Außerdem spricht Catherine über ihr neues Buch „The art of connecting“ und wie das Bauen mit Re-use-Materialien zu kreativeren Lösungen führt.

 


© Giuilia Marthaler

 

Kreislaufwirtschaft und Cradle to Cradle scheinen in aller Munde zu sein. Sind diese Themen wirklich in der Baubranche angekommen? Welches Verständnis fehlt dabei immer noch?

Ich beschäftige mich seit 15 Jahren mit dem Thema Kreislaufwirtschaft und in dieser Zeit hat sich einiges getan. Während das Bewusstsein für die Thematik inzwischen groß ist, transformiert sich die Baubranche trotzdem nur sehr schleppend von linearen hin zu zirkulären Prozessen. Bei der Betrachtung des Energiebedarfs eines Gebäudes beschränken wir uns oft fälschlicherweise immer noch auf dessen Betrieb – obwohl der Lebenszyklus weit mehr als das umfasst. Bestandsgebäude werden nach wie vor abgerissen, da Renovierung oder Umbau nicht ökonomisch erscheinen. Es gibt also ein Umdenken, der Wandel passiert aber nicht schnell genug.

Welcher Herausforderungen begegnen Sie in der Baubranche im Zusammenhang mit Stoffkreisläufen?

Eines der Hauptprobleme bei der Verwendung von Re-use-Materialien sehe ich in der Kommunikation. Damit zirkuläre Prozesse funktionieren können, müssen wir Angebot und Nachfrage besser vernetzen. Alles steht und fällt mit diesem „Matchmaking“ – dem Zusammenbringen von verfügbaren Werkstoffen und potenziellen Kund:innen. Apps wie Tinder und Airbnb machen vor, wie es geht. Wollen wir die Stoffkreisläufe schließen, brauchen wir ein Pendant für den Bausektor.

Sie konzentrieren sich bei Ihrer Forschung nicht nur auf die Wiederverwendung von Materialien aus Gebäuden, die abgerissen werden sollen – wo setzen sie an?

Beim kreislauffähigen Bauen werden aktuell meist zwei verschiedene Prinzipien verfolgt: Entweder liegt der Fokus auf dem Einsatz von Recyclingbaustoffen aus Bestandsgebäuden oder auf der Errichtung neuer Projekte, welche sich am Ende ihres Lebenszyklus bestmöglich wiederverwenden lassen. Baut man allerdings mit Re-use-Materialien und verklebt diese, können sie später nicht zurückgebaut werden. Den gleichen Fehler begeht man, wenn man zwar einen späteren Rückbau mitberücksichtigt, aber neue Rohstoffe dafür abbaut. Beide Szenarien sind lediglich zur Hälfte gedacht. Nur mit einer Kombination der zwei Ansätze erreichen wir komplett zirkuläre Materialkreisläufe – und genau an diesem Punkt setze ich mit einer Forschung an.

 


178 gebogene Glaselemente, die einst die außenliegende Rolltreppe des Centre Pompidou schützten, konnten sorgfältig demontiert und von Maximum architecture in einem Pariser Bürogebäude wiederverwendet werden – und das kostengünstiger als mit neuen Verglasungen. © Maximum Architecture Alexandra Attias

 

Wie unterstützen digitale Innovationen den Weg hin zu einer zirkulären, gebauten Umwelt?

Neben der fehlenden Kommunikation stellt das Informationsdefizit die größte Challenge dar. Wir wissen schlichtweg nicht, welche Werkstoffe in unseren Gebäuden vorhanden sind. Um einen Überblick zu bekommen, brauchen wir eine Materialdatenbank. Hier kommen digitale Technologien ins Spiel: Sie können diesen Informationsaustausch erleichtern und mithilfe von Materialausweisen Auskunft über die Einzelteile und den Zustand ganzer Gebäude geben – sowohl bei Bestands- als auch bei Neubauten.

Können Sie genauer erklären, wie die Erfassung der Materialien bei Bestandsbauten technisch funktioniert und wie Sie mit den großen Datenmengen umgehen können?

Mittels Künstlicher Intelligenz lassen sich Werkstoffe im Bestand erkennen und erfassen. Dabei werden Google Street View-Aufnahmen anhand von Algorithmen ausgewertet. Diese Informationen kombinieren wir dann mit anderen digitalen Tools sowie vorhandenen GIS- und Archivdaten und erstellen daraus Prognosen. So wissen wir schon im Vorfeld, welche Bauten wann abgerissen bzw. welche Baustoffe dadurch verfügbar werden.

Die Menge an Daten stellt dank KI-Technologien kein Problem, sondern sogar einen Vorteil dar: Je mehr Informationen, desto besser.

Neben Künstlicher Intelligenz und Virtual Reality forschen Sie an der ETH auch mit Robotern. Welches Potenzial bergen sie und wo kommen sie zum Einsatz?

Das Potenzial von Robotik ist enorm: Bauroboter helfen beim Abbruch von Gebäuden, Laserscanner analysieren und sortieren Bauabfälle. Wir setzen dank ihrer Präzision und Schnelligkeit stark auf digitale Fertigungsprozesse. Mit 3D-Druckern lassen sich z.B. wiederverwendete Bauteile kosteneffizient reparieren oder verstärken und somit für die neuerliche Verwendung ertüchtigen. Am Circular Engineering for Architecture (CEA) Lehrstuhl an der ETH haben wir eine Kuppel aus Re-use-Rohren und CNC-gefrästen Verbindungsstücken gebaut. Aktuell realisieren wir für die Kunsthalle Zürich eine Pavillonstruktur. Diese besteht ebenfalls aus wiederverwendeten Balken, die wir nach dem Vorbild japanischer Holzverbindungen und mithilfe von CNC-Technologie innerhalb kürzester Zeit zusammenfügen konnten. Standard-Lösungen funktionieren bei sekundären Baustoffen meist nicht – Roboter ermöglichen es, maßgeschneiderte Lösungen umzusetzen, die in Handarbeit weder kosteneffizient noch so präzise umsetzbar wären.

 


Im Sommersemester 2022 verfolgte Catherine de Wolf mit den Studierenden des Kurses Digitalization for Circular Construction einen praxisorientierten Ansatz: Sie zerlegten einen ehemaligen Musikpavillon und verwendeten die Bauteile für den Bau einer neuen Kuppel. © Buser Hill Photography for Circular Engineering for Architecture (CEA)

 

Nachhaltiges Bauen wird oft mit höheren Kosten in Verbindung gebracht. Wie reagieren Sie auf dieses Vorurteil?

Zirkuläres Bauen kann teurer sein, muss es aber nicht. In meinen Augen besteht der Fehler darin, dass wir nicht die tatsächlichen Kosten berücksichtigen, da sowohl Entsorgung als auch die Gewinnung neuer Materialien zu günstig ist. Durch Wiederverwendung lassen sich diese Posten komplett einsparen. Natürlich gibt es Szenarien, in denen der Rückbau kostspieliger ist, es gibt aber auch andere Beispiele wie das Centre Pompidou: Da die Verglasungen nicht mehr den Sicherheitsstandards entsprachen, mussten diese beim Umbau ersetzt werden. Dank Maximum architecture fanden 178 gebogene Gläser und 23 Tonnen Stahl ein neues Zuhause. Die französischen Architekten retteten die Materialien, verwendeten sie als Trennwände in einem Bürogebäude weiter und konnten so die Projektkosten signifikant reduzieren. Einen wesentlichen Preisfaktor stellt die Arbeitskraft dar. Gelingt es, Re-use-Abläufe mithilfe von digitalen Prozessen zu erleichtern, sinken auch die Kosten.

Wie gut funktioniert die Vernetzung der verschiedenen Akteur:innen in der Kreislaufszene? Gibt es Optimierungspotenzial und besonders positive Beispiele?

Aktuell gibt es mehrere verschiedene Plattformen für zirkuläres Bauen, die miteinander in Konkurrenz stehen. Sie machen die Suche nach Re-use-Materialien kompliziert und unübersichtlich. Ein standardisierter Datenaustausch würde Abhilfe schaffen und zirkuläres Bauen attraktiver machen.

Cirkla, ein Verein für Kreislaufwirtschaft, ist hingegen ein großartiges Beispiel dafür, wie die Zusammenarbeit von Akteur:innen aus verschiedenen – einst konkurrierenden – Bereichen aussehen kann und sollte. Dort arbeiten Ingenieur:innen, Politiker:innen, Rechtsexpert:innen, Unternehmer:innen und andere Player aus der Kreislaufbranche auf ein gemeinsames Ziel hin. Auch unter den Architekturbüros gibt es unter anderem mit baubüro in situ zahlreiche Pionier:innen, die sich aktiv mit zirkulären Projekten beschäftigen.

 


Digitale Technologien wie Drohnenbilder und LiDAR-Scans helfen bei der Erfassung des Bestands und Erstellung einer Materialdatenbank. Algorithmen verarbeiten die Informationen und legen den Grundstein für die erfolgreiche Wiederverwendung der verfügbaren Werkstoffe. © Circular Engineering for Architecture (CEA)

 

Schränkt zirkuläres Design die Kreativität ein oder lässt Re-use genug Platz dafür?

Ich würde sagen, das Gegenteil ist der Fall – zirkuläres Design beflügelt die Kreativität. An der ETH Zürich unterrichte ich einen Kurs, der sich diesem Thema widmet: „Digital creativity for circular construction“ (digitale Kreativität für zirkuläres Bauen). In ihm geht es um das Entwerfen mit Re-use-Materialien und wie mithilfe von digitalen Technologien kreativere Projekte entstehen. Diese These konnte ich vor zwei Jahren in einem Wettbewerb belegen: Dabei sollten die Studierenden aus 14 ehemaligen Dachbalken eines Campusgebäudes ein Design erstellen, welches schließlich von einer Expertenjury rund um Barbara Buser von baubüro in situ bewertet wurde. Die Ergebnisse hätten nicht unterschiedlicher sein können und zeigten, dass die beschränkte Materialauswahl zu einzigartigeren Lösungen führte. Computergesteuerte Tools fördern die Kreativität ebenfalls: Selbst surreale Vorschläge der KI können neue Anregungen liefern. Sie helfen uns dabei, konventionelle Denkmuster zu hinterfragen und innovative Wege zu gehen.

Sie forschen und bauen nicht nur, sondern sind auch als Professorin und Filmemacherin tätig und haben mit ANKU ein eigenes Unternehmen. Ist Interdisziplinarität der Weg der Zukunft?

Ich würde das nicht verallgemeinern, bin aber der Überzeugung, dass wir das Problem der Kreislaufwirtschaft nur interdisziplinär lösen können. Es bringt nichts, nur zu predigen wie wichtig die Zusammenarbeit der einzelnen Akteur:innen im Bausektor ist, und dann selbst nicht über den eigenen Tellerrand zu schauen. Für zirkuläres Bauen braucht es nicht nur Forscher:innen, sondern auch Lehrende, um das Wissen an die nächste Generation weiterzugeben sowie den Austausch mit Expert:innen, Politiker:innen und der Bevölkerung – darum geht es auch in meinen neuen Buch „The art of connecting“, welches im Januar erscheint.

www.catherinedewolf.com

 

 

Interview: Edina Obermoser

Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen