Fabrik im Pflanzenkleid
Bei dem Entwurf der Jakob Factory Saigon ging das Büro G8A Architecture & Urban Planning gemeinsam mit rollimarchini architekten in Sachen industrieller Tropenarchitektur neue Wege. Anstatt sich an den Fabrikbauten der Umgebung zu orientieren, verpackte das Schweizer Duo Produktion, Administration und Lager in einem grünen, luftigen Gebäude und kreierte damit eine angenehme Arbeitsatmosphäre.
Hermetisch, monoton und im Inneren durchgängig auf 16 Grad gekühlt – so sehen die typischen Industriebauten im vietnamesischen Ho-Chi-Minh-Stadt aus. Bedingt durch das schnelle Wachstum und wenig Einschränkungen orientieren sich die Projekte meist an Gewinnmarge und Wirtschaftlichkeit, ohne dabei die Umweltauswirkungen oder die Qualität des Arbeitsumfelds zu berücksichtigen. Die Jakob AG, ein Drahtseilhersteller aus Trubschachen in der Schweiz, folgte bei der Umsetzung ihres ersten Produktionsgebäudes in Vietnam der konventionellen Bauweise und war von dem Ergebnis wenig begeistert. Für den neuesten Fabrikstandort wünschten sie sich deshalb etwas völlig anderes. Den beiden Architekturbüros gelang es, die ökologischen, sozialen und nachhaltigen Vorstellungen des Auftraggebers in ein modernes, passives Design mit intelligenter Fassade zu verwandeln und damit einen grünen Bau zu entwickeln, in dem die Mitarbeiter gerne arbeiten.
Der jüngste Firmenbau des internationalen Betriebs fügt sich im Norden der Stadt auf einem 30.000 m2 großen Grundstück in einen Industriepark ein. Anstatt in die Horizontale zu bauen, konzentrierten sich die Planer auf die vertikale Ausdehnung. Das Ergebnis ist ein blockrandartiges Ensemble mit einem Innenhof. Während die Gestaltung durchwegs von Geradlinigkeit und Geometrie geprägt ist, scheinen die Innenseiten zweier Trakte aus der Reihe zu tanzen: Sie schmiegen sich in sanften Wellen an das quadratische Geviert und erzeugen eine fast verspielte Leichtigkeit. Der Hof führt die organische Formgebung der beiden Komplexe fort und lädt mit speziell angelegten Rasenflächen und einem Netz aus Kieswegen zu einer Arbeitspause im Grünen ein.
Die einzelnen Funktionen im Inneren des Gebäudes sind auf mehrere Geschosse verteilt übereinandergestapelt. Neben den Produktionsflächen im westlichen und Verwaltung sowie Kantine im südlichen Trakt, befindet sich nach Osten ausgerichtet eine Art Parkhaus und in nördlicher Richtung das Lager. Modulare Trennwände sorgen für eine flexible Grundrissgestaltung und tragen zu einem komfortablen Raumklima bei. Statische Elemente wie Decken und Stützen sind als Stahlbetonskelett umgesetzt. Der Beton bleibt in sämtlichen Bereichen der Jakob Factory offen sichtbar und prägt das Innenraumdesign. Imposante Sichtbetonportale setzen außerdem den Zugang zum Foyer und die Mitarbeiterkantine in Szene.
Die smarte, poröse Fassade hat zwei unterschiedliche Ausprägungen: Grüne, durchgängig bewachsene Ansichten an den geschwungenen Gebäudeseiten und „lebendige Wände“, die wie horizontal geschichtete, große Blumenbeete wirken, entlang der linearen Außenwände der Fertigungshallen und der administrativen Flächen. Alle Ansichten setzten die Architekten mit den hauseigenen Produkten der Jakob AG um. So kann man bereits von außen erkennen, was im Inneren produziert wird. Als Grundgerüst dient jeweils ein zweischichtiges Seilnetz, das vom Boden bis zum Dach gespannt ist. Die Stahlseile werden zur Unterkonstruktion für den grünen Vorhang des Fabrikensembles. Im Bereich der organisch geformten Ansichten des Parkhauses fungiert die Gitterstruktur als Rankhilfe für Kletterpflanzen. Diese wachsen auf 130 Metern Länge über die gesamte Fläche empor.
An den übrigen Gebäudeseiten besteht die luftige Hülle aus 1-Meter-tiefen Geotextil-Pflanztrögen. Die umlaufenden Ebenen sind jeweils mit Stahlrahmen verstärkt. Auf ihnen wächst ein Vegetationsmix, bestehend aus 14 verschiedenen, tropischen Arten. Acht davon bilden die sogenannte Basisbepflanzung. Sie kommen aufgrund ihrer universalen Eigenschaften an allen Gebäudeseiten zum Einsatz. Abhängig von der Ausrichtung komplettieren je zwei bis drei weitere Pflanzen die vegetative Schicht der einzelnen Ansichten. Ihre Anordnung optimierten die Architekten über Versuche im Zuge des Planungsprozesses hinsichtlich Sonnen-, Wind- und Regenexposition. Ein automatisches Drainagesystem mit Feuchtigkeitssensoren steuert sowohl die Bewässerung als auch die Düngung. Außerdem kümmern sich zwei Gärtner um den einwandfreien Zustand der Bepflanzung.
Die luftige Hülle sorgt nicht nur für einen optischen Farbakzent im grauen Industriegebiet, sondern trägt auch zu einem optimalen Raumklima bei. Besonders in den oberen Stockwerken unterstützt sie die natürliche Luftzirkulation und wirkt wie eine Filterschicht, die vor den sengenden Sonnenstrahlen, tropischen Regengüssen und Staubpartikeln schützt. Durch Verdunstung senken die Beete die Temperatur auf natürliche Weise. Zwischen den Pflanzregalen und der Nutzfläche im Inneren verlaufen jeweils zwei Meter breite Laubengänge, die optimale Luftströme garantieren und für die richtige Funktion der intelligenten Hülle wichtig sind. Mittels raumhoher Schiebeelemente an der Innenseite der dreidimensionalen Raumfassade kann der Bau bei Bedarf geschlossen werden. Eine Klimaanlage wird dank der üppigen Vegetation lediglich in den zentralen Stunden der heißesten Tage – und auch dann nur an gewissen Stellen im Gebäude – benötigt. Auf der zweiten und dritten Etage kann sogar gänzlich auf mechanische Klimatisierung verzichtet werden.
G8A Architecture & Urban Planning und rollimarchini architekten beweisen mit diesem Projekt in Vietnam eindrucksvoll, dass Produktionshallen nicht geschlossen und eintönig sein müssen. Die Jakob Factory demonstriert, wie man Fassadenflächen effizient zur natürlichen Belüftung nutzt und durch intelligente Planung aufwendige Gebäudetechnik überflüssig macht. Zudem verleiht die üppige Bepflanzung dem gesamten Produktionscampus eine attraktive Optik und wird zum Vorbild für Fabrikbauten in tropischen Regionen. Höchste Zeit, der Industriearchitektur ein neues, grünes Image zu verpassen.
Jakob Factory
Ho-Chi-Minh-Stadt, Vietnam
Bauherr: Jakob Saigon
Planung: G8A Architecture & Urban Planning und rollimarchini architekten
Projektteam G8A: Grégoire Du Pasquier, Manuel Der Hagopian, Andrea Archanco Astorga
Projektteam rollimarchini architekten: Michael Rolli, Francesco Marchini Camia, Fabian Vögeli, Marika Steinerr
Statik: NKC Engineering
Fassade: Jakob Rope Systems
Grundstücksfläche: 30.000 m2
Bebaute Fläche: 15.000 m2
Bauzeit: 17 Monate
Fertigstellung: 2020
Kosten: 8 Mio. USD
www.g8a-architects.com
www.rollimarchini.ch
Text: Edina Obermoser
Fotos: Hiroyuki Oki
Kategorie: Projekte