Kultur im Bunker

8. Juli 2020 Mehr

Bereits seit 1992 befindet sich die audiovisuelle Sammlung des Schweizer Filmarchivs in Penthaz, nahe Lausanne. 2007 konnte das Architekturbüro EM2N den Wettbewerb zur Neugestaltung und Erweiterung der Cinémathèque suisse für sich entscheiden. Drei Bauabschnitte und zwölf Jahre später zieht das nationale Filmerbe mit dem neuen Forschungs- und Archivierungszentrum nun endlich in sein repräsentatives Zuhause ein.

 

Cinémathèque suisse EM2N

 

Seit den 90er-Jahren fasst die Cinémathèque suisse in Penthaz, einer Gemeinde nordwestlich von Lausanne, sämtliche Bestände des Filmarchivs an einem Standort zusammen. Sie ist neben dem Verwaltungssitz in Lausanne und der Dokumentationsstelle in Zürich die dritte Zweigstelle der Schweizer Stiftung und beherbergt die Artefakte. Das Forschungs- und Archivierungszentrum zog damals in die Räumlichkeiten einer ehemaligen Buchbinderei. Diese bestand aus mehreren barackenartigen Baukörpern und war als provisorische Übergangslösung gedacht. Die Zürcher Architekten EM2N setzten sich im Zuge der Ausschreibung zur Sanierung und Erweiterung gegen die Konkurrenz durch. Sie überzeugten das Bundesamt für Bauten und Logistik BBL mit einem Entwurf, der behutsam auf die Bestandsstruktur eingeht und Alt und Neu in eine auffällige, charakteristische Hülle verpackt.

 

Cinémathèque suisse EM2N

 

Zum prägenden Element der Cinémathèque wird die interne Organisation der unterschiedlichen Bereiche und deren individuelle Ansprüche. Die Planer gliederten den 13.000 m2 großen Bau in Penthaz I und Penthaz II. Penthaz I im Süden umfasst die bestehenden Bauten und beinhaltet sämtliche öffentlichen Funktionen. Penthaz II am nördlichen Grundstücksrand dagegen bleibt auf den ersten Blick verborgen. Bei ihm handelt es sich um den nicht öffentlichen Trakt des Ensembles. Die beiden Gebäudeteile werden von einer Straße getrennt, sind aber über einen unterirdischen Gang miteinander verbunden.

 

Die Architekten erhielten, inspiriert von der „Akkumulation an Baracken“ der einstigen Buchbinderei, die länglichen Volumen des Bestands und verwandelten sie in Penthaz I. Schottenartig reihen sich die einzelnen Körper parallel aneinander. Sie sind unterschiedlich lang und an den Querseiten schräg angeschnitten. Dadurch erhält der Kulturbau eine gestaffelte Gestalt. Während die zur nördlich anschließenden Straße hin orientierte Ansicht sich mehr als 100 Meter ausdehnt, markiert die schmale Ostfassade den Eingangsbereich. Eine oxidierte Stahlhülle in kräftigem Orange fasst das kleinteilige Ensemble zu einem einheitlichen Ganzen zusammen und verleiht dem Gebäude einen hohen Wiedererkennungswert. Die Paneele ziehen sich zum Teil vor die großflächigen Verglasungen und erinnern mit ihrer Perforierung an Filmrollen. Begrünte Flachdächer komplettieren die barackenartige Erscheinung der niedrigen Bauten und verleihen der Cinémathèque Filmstudio-Flair.

 

 

In Penthaz I findet man alle öffentlichen Bereiche des Forschungs- und Archivierungszentrums. Neben Museum, Vorführsaal, Cafeteria und Lesezone sind in dem Trakt die Arbeitsplätze und die Logistik untergebracht. Sie alle reihen sich innerhalb der riegelförmigen Baukörper aneinander, betonen die horizontale Ausdehnung des Kulturbaus und werden nur punktuell von den senkrechten Erschließungswegen durchstoßen. Das Herzstück des öffentlichen Traktes bildet die zweigeschossige Empfangs- und Ausstellungshalle. Sie ist geprägt von den im oberen Stockwerk eingehängten Sitzungszimmern, die das Foyer von oben überblicken. Großflächige Fenster ergeben spannende Blickbeziehungen zwischen den einzelnen, kabinenartigen Räumen und sollen Assoziationen an die Filmproduktion mit Schnitt und Montage hervorrufen. Die schräg positionierten Wände verstärken diesen Effekt. Auch der Bezug zur umgebenden Landschaft wird im Gebäude vielerorts spürbar. Immer wieder öffnet sich die Cinémathèque nach draußen und ergibt durch die leichten Spiegelungen der Verglasungen, die teilweise wie Kinoleinwände wirken, einen surre­alen Mix aus Natur und den Innenräumen.

 

Die auffällige Gebäudestruktur Penthaz I ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Lediglich ein kleiner Betonbau mit Satteldach lässt nördlich der erschließenden Straße leise erahnen, dass sich hier unter der nahezu unberührten Ackerfläche etwas verbirgt. Mit Penthaz II – dem nicht öffentlichen Teil des Forschungs- und Archivierungszentrums – entwickelt sich mehr als die Hälfte des Projekts unterirdisch. Damit reagieren die Architekten auf die klimatechnischen Lageranforderungen der sensiblen Sammlung. Der „superfunktionale Bunker“ bietet auf drei Geschosse verteilt Schutz vor Luft, Licht und Feuer. Große Räume garantieren genügend Fläche zur Unterbringung der analogen und digitalen Artefakte wie Filme, Plakate und Drehbücher. Das kleine Häuschen, das mitten im Feld aus dem Untergrund auftaucht, ist die Haupttreppe, die zum Verbindungsgang und zum Lager führt.

 

Cinémathèque suisse EM2N

 

Die lange Bauzeit lässt sich durch die Digitalisierung und einer damit einhergehenden Anpassung des Raumprogramms erklären. Zudem erfolgten Umbau und Erweiterung der bestehenden Substanz über die Jahre hinweg sukzessive. Ein in mehrere Phasen gegliederter Bauprozess stellte dabei den uneingeschränkten Betrieb des Archivs und gleichzeitig eine reibungslose Umsiedelung der umfassenden Sammlung sicher. Mit dem barackenartigen Gebäudeensemble verwandelten die Architekten die Cinémathèque suisse in einen Ort, an dem es nebeneinander reichlich Platz für Exposition und Lager gibt. Subtile, gestalterische Filmreferenzen ziehen sich dabei wie ein roter Faden durch den orangen Bau und schaffen Bezug zu dem kulturellen Erbe im Inneren. So wird das Forschungs- und Archivierungszentrum nicht nur zum repräsentativen Anlaufpunkt für Filmliebhaber, sondern auch zu einem angenehmen Arbeitsplatz.

 

Cinémathèque suisse
Penthaz, Schweiz

Bauherr: Bundesamt für Bauten und Logistik BBL
Planung: EM2N
Projektleiter: Bettina Baumberger, Jean-Baptiste Joye, Roger Küng
Statik: Schnetzer Puskas Ingenieure, Boss & Associés Ingénieurs Conseils
Bauphysik: Kopitsis Bauphysik

Grundstücksfläche: 11.068 m2
Bebaute Fläche: 3.079 m2
Nutzfläche: 8.746 m2 
Planungsbeginn: 2008
Bauzeit: 2010 – 2019 (in drei Teilphasen)
Fertigstellung: 2019

 

Text: Edina Obermoser
Fotos: Damian Poffet, Roger Frei

 

 

Kategorie: Projekte