Rot wie Ochsenblut

2. März 2020 Mehr

Im ländlichen Gebiet nordöstlich von Porto gelegen, versteckt sich hinter einer hohen Mauer ein ehemaliges Farmhaus, das von den ansässigen Architekten NOARQ mit viel Gefühl in ein privates Wohnhaus verwandelt worden ist. Im Inneren dominieren schlichte Weißtöne, nach außen hingegen sprüht das Gebäude mit dem markanten Zubau in rot geradezu vor portugiesischer Lebensfreude.

 

 

Im Norden Portugals, nordöstlich von Porto, etwas im Landesinneren gelegen, befindet sich im Distrikt Braga die Stadt Vila Nova de Famalicão. An deren Rändern erstreckt sich fruchtbares Farmland, oft durch hohe Steinmauern von den tiefer gelegenen Straßen abgetrennt. Auf einem dieser Grundstücke hat das in Porto ansässige Architekturbüro NOARQ 2019 das alte Farmhaus eines privaten Bauherren mit viel Gefühl renoviert und erweitert.

Auf dem Weg zum Haus findet man sich zunächst zwischen hohen Granitmauern wieder, hinter denen sich die weiten Felder und Wiesen nur erahnen lassen. Dann plötzlich spitzt die Dachtraufe strahlend rot über die Mauerkrone und kleine, rot gerahmte Fenster im Mauerwerk geben den ersten Hinweis: Hinter der Mauer gibt es etwas zu entdecken. Schließlich öffnet sich das Gebäude unvermittelt mit einem schwungvollen Bogen hin zu einer Hofeinfahrt: Ein zweiflügeliges, in rot gestrichenes Holztor zwischen den zwei alten Bestandshäusern aus Stein, dazwischen nahezu schwebend ein in Holz ausgeführter, erst kürzlich hinzugefügter Baukörper. Wie die Traufe, Fensterrahmen und das Tor ist auch dieser komplett in der Farbe Ochsenblutrot angestrichen und präsentiert sich so stolz und markant den Ankömmlingen.

 

 

Unter diesem Zubau hindurch betritt der Besucher das Grundstück über den ehemaligen Dreschplatz des Anwesens, das sich, von einer Stützmauer getragen, eine Ebene höher gelegen bis weit hinter das Haus erstreckt. Das ehemalige Ackerland wurde zu einem Garten umfunktioniert, in dem teils Büsche und große Bäume wachsen, sich an anderer Stelle wiederum Wege aus organisch geformten Steinplatten durch das sattgrüne Gras schlängeln. Bereits jetzt verschmelzen alt und neu, Vergangenheit und Gegenwart zu einem harmonischen Ganzen.

Die Besonderheit des QST Hauses liegt in seinem Spiel mit offenen und geschlossenen Bereichen. Beim Ankommen vermittelt die massive Wand aus blauem Granit von außen fast den Eindruck einer Festung. Doch einige dezente Gucklöcher und Lichtschlitze laden mit einem ersten zaghaften Versuch dazu ein, diese Festung zu erkunden. Die ganze Pracht und Schönheit des Grundstückes eröffnet sich dem Betrachter erst hinter den Mauern, wenn sich das blutrote Tor einladend auftut. Das historische Gebäude wurde von den Architekten im Zuge der Renovierung und Erweiterung von jeglichen malerischen Motiven, Schuppenanbauten, Fensterläden und anderen losen exotischen Elementen befreit. Die massiven Granitmauern und das schlichte Ziegeldach stehen mit ihrer Schönheit des Naturmaterials für sich und wären nicht die roten Fensterrahmen und Dachtraufen, so könnte man nicht sagen, aus welcher Zeit der Bau stammt.

 

 

Freilich erübrigt sich diese Frage ohnehin beim Anblick des Zubaus. Dieser schließt im Obergeschoss an den Bestand an, spannt frei über den Hofzugang und öffnet sich gegenüberliegend über ein paar Stufen aus Stein zum Garten hin. Der gesamte Baukörper ist ringsum mit schmalen Holzlamellen verkleidet und bis auf ein kleines straßenseitiges Fenster nur mittels großflächigen Schiebefenstern zum Garten hin geöffnet. Eine kleine Terrasse ist in den Baukörper eingeschnitten, die gleichzeitig Schatten spendet und den Blick vom Schlafzimmer hinaus ins Grüne rahmt. Auch das zugehörige Bad liegt direkt an dieser Fensterfront, welche die Grenze zwischen Innen- und Außenraum optisch verschwimmen lässt.

Im oberen Geschoss befinden sich zwei weitere Schlafzimmer, jedes mit eigenem Bad, sowie das Esszimmer und zwei Wohnzimmerbereiche. Die gemeinsam genutzten Räume sind zwar nicht direkt voneinander abgetrennt, durch Höhenversprünge, Treppenstufen, Podeste und tragende Wandteile aber reizvoll in Szene gesetzt. Im Erdgeschoss befindet sich auf der einen Seite des Hofes die Garage mit Stellplätzen für zwei Autos, auf der anderen Seite gelangt man über die Waschküche in den Kochbereich mit einem offen im Raum stehenden Küchenblock. Hier gibt es auch einen Essplatz sowie ein WC, ehe eine Treppe in den oberen Wohnbereich führt.

 

Während die Architekten bei der Renovierung der Fassade äußerst zaghaft vorgegangen sind, wurde im Inneren jedes einzelne konstruktive Teil neu gestaltet. Alle Wand- und Deckenflächen sind ungeachtet ihres Materials oder Baudatums in weiße Farbe getaucht, ebenso wie die wenigen Einbauten und auch der schlichte Küchenblock. Im Gegensatz zum leidenschaftlichen Blutrot der Außenhaut präsentiert sich die Innenraumgestaltung in jungfräulich strahlendem Reinweiß. In Kombination mit dem hellen Holzton der Parkettböden wirken die Räume frisch und hell.

Der besondere Reiz liegt in der Kombination aus Neu und Alt – das Verwinkelte und Verschachtelte des Bestandsgebäudes in Kombination mit der spielerischen Umnutzung und Neugestaltung jedes einzelnen Winkels eröffnet immer neue Blickbeziehungen und eine sich damit ändernde Wahrnehmung des Raumes an sich. In den Fensternischen tun sich plötzlich Sitzgelegenheiten auf, von überall her fällt Tageslicht in den Raum. Kleine Details wie die eigens gestalteten Eingriffsmulden an den Wandschränken, ausgesuchte Designermöbel und -leuchten oder der Kamin im Wohnzimmer setzen Akzente und lassen das Haus trotz seiner schlichten Eleganz keinesfalls klinisch und kalt wirken, sondern vermitteln Geschmack und Persönlichkeit.

Dank der Zurücknahme im Inneren wirken die großen Fenster zum Garten hin wie lebendige Bilderrahmen. Die umgebende Natur wird auch im Inneren erlebbar. Die Verschachtelung von Böden, Decken und Wänden bietet trotz der räumlichen Offenheit Möglichkeiten zum Rückzug. Während die Fassade von außen in ihrem Ochsenblutrot auf die wilde Natur reagiert, kommt der Überschwang im Inneren zur Ruhe, wo die Bewohner ihre innere Balance finden.

Mit dem QST Haus haben NOARQ,  wie sie sagen, die entkleidete Realität neu erfunden.

 

QST house
Braga, Portugal

Bauherr:                   Privat
Planung:                   NOARQ – José Carlos Nunes de Oliveira
Mitarbeiter:             arch. André De Oliveira, arch. Joana LP, arch. Luís Lima
Statik:                       Ing. Marco Cunha

Grundstücksfläche:               4.007 m2
Bebaute Fläche:                      343,4 m2
Nutzfläche:                               271 m2
Planungsbeginn:                     2014
Fertigstellung:                         2019
Baukosten:                                300.000 Euro

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: João Morgado

 

Kategorie: Projekte