Studios – Saunders Architecture

4. Juli 2012 Mehr

Studios - Saunders Architecture

Der kanadisch-norwegische Architekt Todd Saunders hat auf Fogo Island eine Serie von Ateliers für Künstler errichtet. Zeitgleich wurde in den nahegelegenen Siedlungen jeweils eines der traditionellen „Saltbox“-Häuser als ungleicher Zwilling für den Wohnbedarf der Künstler restauriert. Die Studios sind spektakuläre Skulpturen in der Landschaft. Sie sind völlig autarke, vom öffentlichen Netz unabhängige Bauten, die mittlerweile zu einer weltweiten Attraktion geworden sind.

Studios - Saunders Architecture

Die Vision

Ein essenzieller Bestandteil jeder inspirierenden Architektur ist ein inspirierter Kunde. In diesem Fall war es eine Frau namens Zita Cobb, die auf der Insel lebte. Als ein Mensch mit Unternehmergeist, als Entrepreneur, hatte sie 2001 zusammen mit ihrem Bruder Tony Cobb die Shorefast Foundation gegründet. Shorefast unterstützt als soziales Unternehmen die Menschen auf der Insel, um ökonomisches Wachstum zu ermöglichen. Kunst und künstlerische Prozesse sind das Kernstück jedes Shorefast-Projektes. Als Ergänzung wurde die Fogo Island Arts Corporation ins Leben gerufen – sie betreut ein Wohn- und ein Produktionsprogramm und hat bereits weltweite Aufmerksamkeit in Künstlerkreisen erregt.

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Die Fogo Island Arts Corporation initiiert, entwickelt und dirigiert Projekte und Kooperationen, die weltweit Künstler zum Besuch der Insel auffordern, und stellt ihnen auch Ateliers zum Arbeiten zur Verfügung. Diese Künstlerateliers wurden von dem in Neufundland geborenen, seit 1996 in Bergen, Norwegen, lebenden Architekten Todd Saunders errichtet. Sie stellen schon allein durch ihre äußere Anmutung eine Attraktion dar. Vier sind bislang fertiggestellt und erfreuen sich reger Beliebtheit, zwei weitere sind in Planung. Sie befinden sich an ziemlich entlegenen Plätzen, über die ganze Insel verstreut.

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Die Studios

Der Architekt Todd Saunders ist einerseits ein Insider die Psyche der Inselbewohner betreffend, andererseits brachte er als Außenstehender einen frischen Wind durch sein Design in die Architektur der Insel. Das Ergebnis ist, dass die Projekte einen fast familiären Anschein haben. Sie passen in die Landschaft. Die Studios mit ihren Seiten aus grob gesägten Fichtenplanken drängen in Richtung Meer. Sie kämpfen mit der Landschaft und gewähren den introvertierten Künstlerseelen Schutz gegen Wind und Wetter.
Die Größen bewegen sich zwischen 20 und 200 m. Jedes der Studios ist durch eine relativ einfache Gestalt in Grundriss und Volumen geprägt. Sie ermöglichen ihren Bewohnern mittels raumhoher Fenster, sich vom Atlantischen Ozean inspirieren zu lassen.

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In allen sechs Ateliers wurden Anleihen auf die örtlichen Konstruktionstechniken und Methoden genommen: Wände aus Fichtenholz, Dachschindeln wie bei einfachen Fischerhütten, die Pfahlbauten der Stege an der neufundländischen Küste, die Proportionen und die schrägen Wände. Alle sechs Ateliers werden bzw. sind zu 100 Prozent netzunabhängig, autonom und haben keinerlei öffentliche Anschlüsse. Sie befinden sich jeweils ca. 15 Gehminuten von der nächsten Siedlung entfernt und haben in eben dieser einen sogenannten Zwillingsbruder: Das ist ein typisches Fischerhaus in der traditionellen Inselarchitektur, eine „Saltbox“, die parallel zur Errichtung des Studios renoviert wurde, um den Künstlern – so sie nicht im Atelier arbeiten – eine Wohnmöglichkeit zu bieten.

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Das Long Studio wurde 2010 eröffnet, und obwohl es am westlichen Ende auf einem Betonfundament ruht, schwebt es am anderen Ende auf einer Reihe von Pfählen: Es hebt sozusagen ab, um einen Blick auf den Nordatlantik mit den Eisbergen, die zeitweise von Grönland her vorbeiziehen, zu präsentieren. Die Maße des Studios sind – wie schon der Name sagt – 30 Meter mal 5 Meter, also eher länglich. Die Heizenergie wird durch Solarpaneele am Dach produziert, zusätzlich gibt es einen kleinen Holzofen. Regenwasser wird vom Dach gesammelt und in einem verdeckten Tank zum Duschen und für die kleine Küche bereitgestellt. Das WC basiert auf einem Bio-Kompost-System, und sämtliches Grauwasser wird innerhalb des Gebäudes aufbereitet.

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Um die Umweltbelastung durch den Bau so gering wie möglich zu halten, wurden nur örtliche Materialien verwendet und diese zum Großteil händisch angeliefert. Die schwarz gestrichene Außenfassade bildet im Gegensatz zu der Einheit, die die geschliffenen glatten, weiß gestrichenen Holzbretter des Inneren vermitteln, einen starken Kontrast. Die röhrenförmige Struktur des Long Studios ist an beiden Enden in einem 45-Grad-Winkel abgeschnitten – es ergibt sich ein Parallelogramm, indem sich zickzackförmige Raumbereiche ergeben. Saunders hat die Raumfolgen wohl überdacht choreografiert: Neben dem Eingang mit einem großzügigen Windfang gelangt man in den Technikbereich (in einem einen Meter breiten Streifen befinden sich Stauraum, Wassertank, Senkgrube).

Das nächste Dreieck bildet eine offene, nach Süden gerichtete Sonnenterrasse – sie unterbricht den geschlossenen langen Raumfluss. Dann gelangt man in den Arbeitsbereich. Ein dreieckiges Oberlicht bringt genügend Helligkeit für die Arbeit der Künstler in den Raum. Dadurch verringert sich die benötigte Photovoltaik-Paneelfläche, da weniger elektrisches Licht benötigt wird. Küche, Dusche und Kompost-WC befinden sich in der Verlängerung des o.e. einen Meter breiten Streifens an der Außenwand. Das Ende der Röhre bildet ein raumhohes Glasfenster, das öffenbar ist und somit eine direkte Verbindung mit dem Salzgeruch des Meeres herstellt.

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Am Ostende der Insel, knapp außerhalb der kleinen Stadt Tilting, befindet sich das Squish Studio. Es hat eine unregelmäßig gequetschte, eckige Form und stellt einen starken Kontrast zu der traditionellen Volksarchitektur der nahen Stadt dar. In einer dramatischen Lage erhebt sich das Südende des Studios fast sechs Meter über den Felsen. Im Norden ist es nur halb so hoch. Der trapezförmige Grundriss des Studios wird westlich und östlich von Wänden begrenzt, im Süden liegt ein dreieckiger Eingangsbereich, und im Norden blickt man von einer ebensolchen Terrasse über das Meer hinaus.
Die senkrechten weißen Holzbretter des Innenraumes sind an der West- und Ostseite von schmalen Fenstern in schrankähnlichen Nischen unterbrochen. Die Nischen ergeben den benötigten Stauraum. Das schräge Dach führt den Blick automatisch zum raumhohen Nordfenster mit dem herrlichen Blick auf den Ozean.
Das Squish Studio ist wie die anderen mit einem Kompost-WC, einer Kochnische und einem kleinen Holzofen ausgestattet. Elektrischen Strom erhält es durch eine auf einem nahen Hügel gelegene Solaranlage.

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Das Bridge Studio ist auf einem schmalen Pfad über die mit Flechten bedeckten Granitblöcke zu erreichen. Von der Seite betrachtet wirkt es abstrakt: wie ein fensterloses Parallelogramm, über der Landschaft schwebend, auf vier Pfählen aufgespießt, mit einer langen Brücke als Verbindung zum festen Boden.
Beim Näherkommen wird das rund 30 m² große Studio transparenter: ein großzügiger Glaseingang mit Windfang und am anderen Ende ein großes Fenster, das den Blick auf eine kleine Bucht freigibt. Vom Eingang her gesehen steigt die Decke leicht gegen das Ende des Raumes an, wo sich der Arbeitsplatz befindet. Der Innenraum gliedert sich in zwei Ebenen: Die untere Ebene beinhaltet den Eingangsbereich mit einem kleinen Ofen zum Heizen, dann folgen drei Stufen zur oberen Ebene mit dem integrierten Schreibtisch. Vom Windfang aus ergibt sich zwingend der perspektivische Aspekt des Projektes durch die Linien der weiß gestrichenen Bretter, die parallel an den Wänden, Decke und Boden zum Fenster hin verlaufen.
Die äußere Form ruft – obwohl sie ausgesprochen modern ist – Erinnerungen und Anklänge an die Traditionsarchitektur der Insel wach. Es waren diese Fischstege, ausgestattet mit kleinen Arbeitsplätzen, auf den die Fischer ihren Fang gesäubert und gesalzen haben. So wurde er dann weltweit als Stockfisch exportiert.

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Die skulpturale Silhouette des Tower Studios lehnt und verwindet sich vor- und rückwärts. Es wurde 2011 eröffnet und ist nur über einen schmalen Steg mit der nächsten Siedlung verbunden. Aus der Ferne betrachtet wirkt dieser Holzsteg wie ein Sicherungsgurt, der den gestrandeten Turm am Ufer befestigt. Der Steg ist ein wichtiger Bestandteil des schwarzen Turmes, auf ihm wurde mit kleinen Fahrzeugen Material für den Bau an die Küste geschafft, ohne Schäden im empfindlichen Ökosystem der Insel zu verursachen.
Die Verbindung ist Teil des holistischen Denkansatzes der Shorefast Foundation, ökonomische, kulturelle und ökologische Kriterien sowohl auf einer Makro- wie auf einer Mikroebene der Nachhaltigkeit zu verbinden. Da der Bau nun beendet ist, wird der auf Stelzen gelagerte Steg in Kürze abgetragen, um den Eingriff in die Natur nochmals zu minimieren.
Die Südfassade mit dem Eingang lehnt sich 30 Grad zurück. Darüber befindet sich eine dreieckige Wandfläche, die sich wiederum nach vorne neigt, um der doppelten Glastüre Schutz zu gewähren. Beides, der Überhang und der eckige Eingangsteil, sind mit horizontal verlaufenden weißen Fichtenbrettern verkleidet. Es entsteht ein starker Kontrast zu der  fensterlosen, mit schwarzen, senkrecht verlaufenden Brettern verkleideten Restfläche des Turmes.
Das Tower Studio besteht aus drei Ebenen und hat ca. 10 Meter Höhe. Im Eingangsbereich befinden sich die Kochnische, das Kompost-WC und der Feuerplatz. Auf der ersten Ebene liegt das Atelier, das durch ein großzügiges, nordgerichtetes Oberlicht mit Tageslicht versorgt wird. Eine Galerie ragt in den Luftraum über dem Atelier hinein. Jegliche architektonischen Details wurden vermieden, indem die komplette Innenfläche des Studios mit hochglänzend weiß gestrichenem Sperrholz bedeckt ist. Eine Sitzstufe in der Wand des Ateliers, genau gegenüber des Oberlichtes, bietet eine ideale Stelle, um sich zu erholen und den Ausblick zu genießen. Eine ebenfalls weiß gestrichene Leiter führt von der Atelierebene hinauf auf die Galerie unterhalb des Daches.

Künstlerateliers
Fogo Island, Kanada

Bauherr: Shorefast Foundation and the Fogo Island Arts Corporation
Planung: Saunders Architecture – Bergen, Norwegen
Mitarbeiter: Attila Béres, Ryan Jørgensen, Ken Beheim-Schwarzbach, Nick Herder, Rubén Sáez López, Soizic Bernard, Colin Hertberger, Christina Mayer, Olivier Bourgeois, Pål Storsveen, Zdenek Dohnalek
Statik: DBA Associates (Long Studio)

Bebaute Fläche:
Long Studio 211,2 m²
Squish Studio 52,5 m²
Bridge Studio 48,8 m²
Tower Studio 31,4 m²

Nutzfläche:
Long Studio 130,8 m²
Squish Studio 27,9 m²
Bridge Studio 28,5 m²
Tower Studio 47,7 m²

http://artscorpfogoisland.ca

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Kategorie: Projekte