Widerruf eines geladenen Wettbewerbs
Kann eine Gemeinde einen geladenen Wettbewerb mit der Begründung widerrufen, dass die Jury gegen das Transparenzgebot verstoßen hat – obwohl der Wettbewerb (nur) die Grundlage für ein folgendes Verhandlungsverfahren zur Auftragsvergabe bilden sollte?
DER SACHVERHALT (vereinfacht)
Eine Gemeinde schrieb einen „geladenen baukünstlerischen Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen für den Neubau einer polytechnischen Schule“ aus; dabei wurden sechs namentlich genannte Architekten zur Einreichung von Wettbewerbsprojekten eingeladen. In der Ausschreibung war festgehalten, dass der Wettbewerb kein Vergabeverfahren darstelle, sondern die Vorstufe für ein nachfolgendes Verhandlungsverfahren sei. Die Gemeinde habe die Absicht, im Zuge des Verhandlungsverfahrens die weiteren Planungsleistungen an einen der Preisträger zu vergeben, wobei zuerst mit dem ersten Preisträger verhandelt werden sollte. Eine Jury sollte die Wettbewerbsarbeiten nach sechs konkreten Kriterien beurteilen und reihen, sowie Empfehlungen an die ausschreibende Gemeinde erstatten. In der Ausschreibung wurde zu jedem Beurteilungskriterium eine maximal erreichbare Punktezahl genannt, wobei insgesamt höchstens 120 Punkte erlangt werden konnten.
In der Jurysitzung vom 20.11.2003 erhielt eine Bietergemeinschaft von zwei Planern 110 Punkte, weshalb empfohlen wurde, diese mit den Planungsleistungen zu beauftragen. In der Folge wurde das Projekt jedoch in diversen Gemeindevertretungssitzungen abgelehnt; im Jänner 2005 wurde der Zuschlag an den drittgereihten Architekten erteilt.
Daraufhin beantragte die Planergemeinschaft beim Salzburger Vergabekontrollsenat die Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung. Der Antrag wurde jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Gemeinde die Ausschreibung mit März 2005 (!) widerrufen hatte. Im Bescheid wurde vom Vergabekontrollsenat aber auch festgestellt, dass dieser Widerruf wegen eines Verstoßes gegen das Bundesvergabegesetz 2002 rechtswidrig gewesen sei. Gleichzeitig wurde die Gemeinde gegenüber der Planergemeinschaft zum Ersatz der Pauschalgebühr für den Feststellungsantrag verpflichtet.
Laut Vergabekontrollsenat stützte die Gemeinde ihren Widerruf der Ausschreibung darauf, dass die Jury bei einzelnen Wettbewerbsteilnehmern nicht alle vergebenen Beurteilungskriterien bewertet und die Bewertung auch sonst nicht ausreichend begründet hatte. Damit hätte die Jury gegen das Transparenzgebot verstoßen. Eine Ergänzung der Bewertung durch das Preisgericht war aber nicht mehr möglich, weil die Projekte bei der ursprünglichen Bewertung anonym waren (§ 115 Abs. 5 BVergG) und die Anonymität nun weggefallen war.
Nach Ansicht des Vergabekontrollsenats kann nur das Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes einen Widerruf der Ausschreibung rechtfertigen (§ 105 Abs. 2 Zf. 3 BVergG). Ein solcher Grund lag im konkreten Fall nicht vor, weil das Sitzungsprotokoll der Jury zeigte, dass das Preisgericht an jedes der sechs eingereichten Projekte eine Punktezahl vergeben und die Vor- und Nachteile des jeweiligen Projektes beschrieben hatte. Die Bewertungen und die daraus resultierenden Punktezahlen waren nach dem Vergabekontrollsenat verständlich, nachvollziehbar und stützten sich auf die der Jury vorgegebenen Bewertungskriterien. Auch traf das Preisgericht keine Vergabeentscheidung, weil diese erst im Rahmen des Verhandlungsverfahrens von der Gemeinde als Auftraggeber getroffen werden sollte.
Gegen diesen Bescheid des Salzburger Vergabekontrollsenates erhob die Gemeinde Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof.
AUS DER BEGRÜNDUNG DES VwGH
Der Verwaltungsgerichtshof hält fest, dass es hier um die Frage geht, ob der Widerruf der Ausschreibung durch einen schwerwiegenden Grund im Sinne des § 105 Abs. 2 Zf. 3 BVergG sachlich gerechtfertigt war. Die Begründung der Gemeinde, die Jury habe die Punktvergabe lediglich summarisch und nicht aufgeschlüsselt vorgenommen und deshalb sei nicht ersichtlich, auf Basis welcher Umstände dem Projekt der Planergemeinschaft der Vorrang gegeben wurde, stellt lt. VwGH jedoch keinen Grund von solchem Gewicht dar, der einen besonnenen Auftraggeber veranlasst hätte, von der Fortführung des Vergabeverfahrens abzusehen.
Wenn die Gemeinde zudem meint, ihre Vergabeentscheidung an den drittgereihten Architekten rechtlich „absichern“ zu können und deshalb die Ausschreibung widerruft, wird ihr vom VwGH entgegnet, dass der vor dem Preisgericht durchgeführte Wettbewerb noch kein Vergabeverfahren im Sinne der § 111 ff BVergG darstellt. Dieses findet eben gemäß § 115 Abs. 8 BVergG erst im Anschluss an den Wettbewerb statt. Außerdem hat die Gemeinde in der Ausschreibung (nur) angekündigt, die Planungsleistungen an einen der Preisträger zu vergeben – sie hat sich also nicht an die (Reihenfolge der) Bewertung der Jury gebunden
Für den VwGH war daher nicht erkennbar, dass die Gemeinde durch die Art der Bewertung des Preisgerichts gehindert gewesen wäre, die Transparenz im Vergabeverfahren – vor allem bei der Zuschlagsentscheidung – zu wahren. Damit hat auch der Salzburger Vergabekontrollsenat den Widerruf der Ausschreibung richtigerweise als rechtswidrig beurteilt. Die Beschwerde der Gemeinde wurde deshalb vom VwGH als unbegründet abgewiesen.
PRAKTISCHE FOLGEN
Die Entscheidung zeigt die Grenzen der Widerrufsmöglichkeit einer Ausschreibung für den Auftraggeber auf. Der VwGH bezieht sich auf den „besonnenen Auftraggeber“ als eine objektive Maßfigur. Nur wenn eine Situation im Ausschreibungsverfahren eintritt, in der auch dieser „objektive Maßmensch“ eine Ausschreibung widerrufen hätte, kann dies auch im konkreten Fall getan werden.
Weiters ist zwischen dem baukünstlerischen Wettbewerb (als „Vorverfahren“) und dem eigentlichen Vergabeverfahren zu unterscheiden. Da in der Ausschreibung festgehalten war, dass die Planungsleistungen „an einen der Preisträger“ vergeben werden sollen, hätte die Gemeinde den Wettbewerb gar nicht widerrufen müssen und den Auftrag trotzdem an den drittgereihten Architekten vergeben können. Dagegen wäre die erstgereihte Planergemeinschaft nicht durchgedrungen. Gegen den rechtswidrigen Widerruf der Ausschreibung konnte sie zwar vorgehen, gebracht hat es ihr aber in der Sache selbst (Planungsauftrag) nichts.
VwGH 29.10.2008, 2005/04/0277 (Erkenntnis)
Dipl.-Ing. Dr.techn. Dr.iur. Nikolaus Thaller
Sachverständiger für Bauwirtschaft
Kategorie: Bau & Recht