Der Körper und der Raum

27. März 2025 Mehr

Der Architekturvermittler Arno Ritter studierte Publizistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Wien. Zuerst Sekretär der Österreichischen Gesellschaft für Architektur, leitet er seit 1995 den Ausstellungsraum „aut. architektur und tirol“ in Innsbruck, wo er Ausstellungen und Programme entwickelt, die sich mit Architektur und anderen gestalterischen Themen auseinandersetzen. Ritter war Kommissär der Architektur-Biennale Venedig 2012 und hatte Lehraufträge an der Universität Innsbruck und der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Darüber hinaus ist der gebürtige Wiener auch als Autor und Herausgeber tätig, mit einem Fokus auf Architektur, Fotografie und Kunst. In seinem Vortrag „Der Körper und der Raum“ im Rahmen des 30-jährigen Jubiläums des aut beleuchtete dessen langjähriger Leiter die Architektur als „ein synästhetisches Phänomen, das nicht nur mit den Augen erfahren wird“. Im Gespräch gewährt Ritter Einblicke, wie sich die sinnliche Erfahrung von Architektur auch auf die Konzeption von Ausstellungen übertragen lässt.

 


© Florian Lechner

 

Aus dem Vortrag: Architektur geht im wahrsten Sinne unter die Haut. Mit der Erfindung der Zentralperspektive begann allerdings das visuell zentrierte Denken von Architektur und Stadt zu dominieren. Betrachtet man heute Renderings, Architekturfotografie und das Bilderrauschen auf Instagram, so kann man erkennen, dass die Vermittlung von Architektur vorwiegend bildlastig geworden ist und alle anderen Sinneswahrnehmungen ausgeblendet werden. In der Architekturkritik, in Ausstellungen und Büchern dominiert die Sprache des Sehens und des geschönten Scheins, ohne Spuren des alltäglichen Lebens.

Wie reagieren Sie in Ihrer Arbeit der Architekturvermittlung auf dieses Phänomen?

Es gibt unterschiedliche Ansätze von Ausstellungen. Wenn man mit dem Material der Architekt:innen – also mit Plänen, Skizzen, Modellen, Fotografien, Filmen und Texten über die Projekte – arbeitet, tendiert man dazu, Architektur mit „Abfallprodukten“ deren Produktion oder ihrer Vermittlung zu zeigen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, eine Ausstellung als ein eigenständiges architektonisches Projekt zu konzipieren, wie jene mit selgascano arquitectos, die in unsere Räume ihre architektonische Haltung eingeschrieben haben. Diese Art von Präsentation macht deren Vorstellungen von Architektur mit allen Sinnen spür- und erlebbar. Ich verstehe eine derartige Herangehensweise als eine Art der Übersetzung von architektonischen Haltungen in einen Raum. Es entsteht eine synästhetische Erfahrung, da sich die Besucher:innen IN der Architektur befinden und diese unvermittelt wahrnehmen können.

 


Treppen, Brücken, schiefe Ebenen – alle Räume des aut, umgebaut von Volker Giencke, 2015 © Wett

 

Aus dem Vortrag: Insofern spielt für mich beim Konzipieren von Ausstellungen eine zentrale Rolle, wie man unterschiedliche sinnliche Aspekte von konkreter, letztlich aber physisch abwesender Architektur in einen Raum abseits von Bildmedien auch haptisch, materiell, atmosphärisch, akustisch oder olfaktorisch übersetzen kann. Es geht dabei um das Erzeugen einer inhaltlichen wie atmosphärischen Dichte, die berühren und das Abwesende vermitteln soll. Architekturausstellungen sind Orte der Verdichtung von gestalterischem Denken, bieten gesellschaftspolitische Konzepte und räumliche Lösungen an und kreieren eine „Stimmung“, die im Idealfall dazu führt, sich die Bauten vor Ort anzusehen.

Wie nehmen die Gäste des aut dieses Angebot an?

Bei der Konzeption von Ausstellungen ist für mich wichtig, dass Besucher:innen, die wenig Zeit haben, einen guten Überblick erhalten, aber andere theoretisch auch stundenlang in der Ausstellung verweilen können. Extrem gesagt: Wer möchte, kann die momentan laufende Installation „unstable zones“ drei Monate lang sieben Stunden am Tag besuchen, da sie über die Ausstellungsdauer, je nach Witterung und Tageszeit, ganz unterschiedlich erscheint. Vor einigen Jahren hatten wir für die Ausstellung „konstantmodern“ alle Räume im Sommer abgedunkelt und damit von der Außenwelt abgeschottet, um den Fokus auf die Interviews und die Projekte der Ausgestellten zu lenken. Dabei konnte ich beobachten, wie einige Besucher:innen, die eigentlich nur kurz bleiben wollten, nach Stunden völlig vertieft aus der Ausstellung „gewankt“ sind. Es geht also darum, wie man Räume dramaturgisch in einer Weise bespielt, sodass für ein hastiges Publikum ein informativer erster Eindruck entsteht, aber auch eine Angebotsdichte für jene Personen vorhanden ist, die tiefer in die Thematik eintauchen und sich darin verlieren wollen.

 


Netzinstallation von Numen/for Use, 2015 © B&R

 

Aus dem Vortrag: Grundsätzlich stellt sich bei jeder Ausstellung die Frage, was ausgesagt werden soll und mit welchen Mitteln man eine „Geschichte“ erzählen will. Ähnlich einem Bühnenbild werden Versatzstücke des Realen arrangiert, um eine architektonische Aussage spürbar zu machen, indem unterschiedliche Objekte räumlich in Beziehung gesetzt werden, oder der Raum als Thema architektonisch gestaltet bzw. transformiert wird. Letztendlich sind Inhalt und Form nicht trennbar und bedingen einander, denn Inhalt wird Form und Form ist Inhalt – beides zusammen bedeutet Information und Kommunikation.

 Welche Rolle spielt also der Raum des aut an sich?

Die Räumlichkeiten des ehemaligen Sudhauses der Brauerei Adambräu, die wir seit 2005 nutzen und bespielen dürfen, sind zwar schwierig zu bespielen und funktional suboptimal, aber perfekt für unsere Nutzung. Die verschiedenen Ebenen, die über Galerien und Treppen verbunden sind, eröffnen phantastische Möglichkeiten. Ein besonderes Highlight sind die vier „Löcher“ der ehemaligen Sud­kessel, die zwar temporär geschlossen sind, aber immer wieder für Ausstellungen geöffnet werden können. Begehbare Installationen wie „unstable zones“ von selgascano, „Tube Innsbruck“ von Numen/For Use, „eins zu zwei – zwei zu eins“ von the next enterprise und Eoos oder die komplexe Raumtransformation von Volker Giencke haben unsere Räume über die Jahre in vielen verschiedenen Facetten gezeigt und bewiesen, dass die Vermittlung von Architektur räumlich spannend sein kann.

 


Vier, durch die Öffnungen der ehemaligen Sudkessel ragende Türme, die zentrale Fragen der Gestaltung unserer Zukunft aufwerfen – realisiert von MVRDV, 2019 © Wett

 

Aus dem Vortrag: Im Gegensatz zur Dominanz des visuellen Aspekts von Architektur, kommt der Hand in der Vermittlung derselben eine zentrale Funktion zu, sowohl was Ausstellungen wie das reale Erleben von Gebäuden betrifft. Jede Architektur ist von ihrer spezifischen Materialität geprägt, die entweder weich oder hart, rau oder glatt, reflektierend oder matt, sinnlich oder aseptisch, anziehend oder abweisend ist und die über den ganzen Körper wahrgenommen wird.

Welche Ausstellungen im aut sind Ihnen in diesem Kontext in Erinnerung?

Wir hatten einmal eine Ausstellung von Miller + Maranta mit schönen Flügelmappen, in die lose Blätter aus büttenartigem Papier zum Durchblättern eingelegt waren. Zu Anfang hatten wir die Befürchtung, dass wir einige nachdrucken lassen müssten, dazu bestand aber trotz mehr als 2.000 Besucher:innen keine Notwendigkeit. Denn je qualitativer und hochwertiger der Widerschein des gewählten Materials ist, desto sensibler gehen die Besucher:innen in der Regel damit um. Nichts ist sinnvoller, als wenn Besucher:innen Architekturausstellungen „angreifen“ und damit körperlich begreifen können.

 


Die Ausstellung „SelgasCano Arquitectos: Unstable Zones“ verwandelte das aut in eine sinnliche Installation, 2024 © Wett

 

Aus dem Vortrag: Der perfekte Ort der Architekturvermittlung ist letztendlich das Bauwerk selbst, sein Kontext und seine Räume. Denn dort erfährt man mit allen Sinnen und durch die eigene körperliche Bewegung das, worum es eigentlich geht. Im Idealfall besucht man ein Gebäude oder einen öffentlichen Raum nicht nur einmal, sondern immer wieder, sowohl an Regentagen, in Winterstunden oder unter der Sommersonne, um möglichst viele Stimmungen, Qualitäten oder Defizite zu erfahren. Darüber hinaus gibt es keine bessere Methode, um Architektur zu überprüfen als die Nutzer:innen zu beobachten, wie sie sich in den architektonischen Konzepten verhalten und diese auch Jahre später beleben. Denn gute Architektur ist im besten Sinne Hintergrund für das Leben und bereichert dieses.

www.aut.cc

 

 

Interview: Linda Pezzei

Kategorie: Architekten im Gespräch, Architekturszene, Kolumnen