Architekturprovokateure – „Assemble“

3. Juli 2017 Mehr

Bei der letzten „Milan Design Week“ äußerte sich Architekt Rem Koolhaas zur gegenwärtigen Situation der Architektur und meinte, dass die Architektur die Kontrolle über die Gestaltung der Städte verloren habe. Nirgendwo sei diese Kluft größer als in Italien. Dieser Aussage kann man nur bedingt zustimmen: Sie (die Kluft) ist in fast allen westlichen Ländern und auch in den Ballungsgebieten des Ostens gleich groß spür- und sichtbar.

 

Eine Gruppe von Architekten, die sich ganz real mit der Wirklichkeit und auch Unwirtlichkeit unserer Städte heutzutage auseinandersetzt, ist das britische Architektenkollektiv Assemble. Und es ist ein gutes Zeichen, dass das Architekturzentrum Wien unter der neuen Leitung von Angelika Fitz eine der ersten Veranstaltungen dieser Gruppe widmet. Die Ausstellung „Assemble. Wie wir bauen“ wird im AZW vom 01.06.2017 bis 11.09.2017 zu sehen sein.

Als das Architektenkollektiv Assemble 2015 für den Turner Preis vorgeschlagen wurde, ging ein Aufschrei durch die Fachwelt. Warum ein Architekturbüro, wenn das doch einer der wichtigsten Kunstpreise sei? Das hat es noch nie gegeben! Wird Architektur auf einmal Kunst? Auch das Kollektiv reagierte auf die Nachricht der Preisverleihung eher zurückhaltend, nicht gerade erfreut, „not amused“ – typisch britisch. Denn die Auszeichnung sollte es für sein Projekt „Granby Four Streets“ erhalten, und dieses war ein Bürgerbeteiligungsprojekt in einem No-Go-Quartier in Liverpool. Hier findet eine seit 2012 andauernde Zusammenarbeit der Architekten mit einer Gruppe von Bewohnern statt. Diese Menschen hatten, nach jahrelangem Nichtstun der Stadt und einem (gezielten) Verfallenlassen der Häuser, selbst die Kontrolle über ihre Nachbarschaft in die Hand genommen. Sie „besetzten“ den Raum wieder durch eine kollektive Aktion und zahlreiche kreative Interventionen, die sich von ihren Häusern aus in den öffentlichen Raum hinein ausdehnten. Es ist bei vielen dieser Gestaltungen schwierig zu sagen, wo eine Urheberschaft beginnt oder endet – das ist in diesem Fall auch nicht wichtig – es ist eben ein fortlaufender Prozess. Hier werden die Kultur und die Kreativität in das Alltagsleben eingebettet. Und begonnen hat dieser Veränderungsprozess damit, dass Assemble die Ersten waren, die mit den betroffenen Bürgern wirklich gesprochen hatten und sich auch Zeit zum Zuhören nahmen.

Assemble befürchtete nun, dass die Kunstwelt das Projekt durch die plötzliche Aufmerksamkeit als Kunstprojekt verstehen würde. Dies war nicht in ihrem Sinne, auch aus Rücksicht auf die Bewohner des Quartiers. Erst nach Absprache und Zustimmung der Anrainer, der Menschen, nahmen sie die Auszeichnung an. Die Jury des Turner Preises setzte mit dieser Wahl auch ein Zeichen: Dass Kunst sich immer auch mit realen Problemen zu befassen hat und dass sie sich in ihrer Praxis auch sozialen Fragen stellen muss. Das gilt auch für die Architektur – und es ist eine Art engagierte Architektur, die Assemble antreibt und die sie für die Jury auszeichnungswürdig gemacht hat. Der Preis machte das Team mit einem Schlag weltweit bekannt.

Nachdem nun die Weltöffentlichkeit auf das junge Kollektiv aufmerksam geworden war, verwandelte dieses heuer im Frühjahr den Hof der Design Academy von A/D/O in Brooklyn/NY in eine Modellwerkstatt, in der zum Thema „Utopia vs. Dystopia: Designing Our Imagined Futures“ experimentiert werden konnte. Von Februar bis Ende April 2017 war das Team hier, um eine modellhafte Arbeitsatmosphäre um eine Reihe von Produkten zu erdenken und herzustellen, bemüht. Der Arbeitsprozess sollte eine alternative Vision darstellen, wie unsere Sozialität in der Zukunft gebaut sein und funktionieren könnte.

In ihrem Projekt „A Factory As It Might Be“ zeigten sie neue, kreative Möglichkeiten für Anwendungen und Neuinterpretationen aus den reichhaltigen und leicht formbaren Materialien unserer urbanen Umwelt. Das Herz des Prozesses war ein Gebäude, als eine „Factory“ aus galvanisiertem Stahl errichtet. Mit einem Dach und mit einer Fassade aus Tonplatten. Diese Platten wurden von dem Team während der Dauer der Aktion vor Ort im Arbeitsraum der „Factory“ produziert, und zwar unter Verwendung einer industriellen Strangpresse und eines elektrischen Brennofens. Das Assemble-Team hatte die Mitarbeiter der A/D/O Design Academy angelernt und in den Vorgang der Fliesenproduktion eingeführt und fertigte auch in dieser Zeitspanne eine einzigartige Serie von Produkten: Pflanztröge und dauerhafte Fliesen für den A/D/O Außenbereich im Hof, Geschirr für das Restaurant und einiges mehr. Dazu gab es große Arbeitstische und offene Regale, um die produzierten Stücke während der dreimonatigen Dauer auch ausstellen, zeigen und verkaufen zu können.

Das Team versuchte so zu demonstrieren, wie „utopische“ Ideen in die reale Praxis der Baukonstruktion und -teile eingeführt und verwendet werden könnten. Und auch, wie Bauteile samt ihrer Produktionsmethode ein Ausdruck sozialer, ökonomischer und politischer Hoffnung sein können. Die Bezeichnung „A Factory as it Might Be“, stammt übrigens von dem gleichnamigen Essay des Sozialaktivisten William Morris, der eine ideale Fabrik als einen Ort beschrieb, an dem Arbeit, Freizeit und Erziehung miteinander interagieren und an dem Maschinen ausgebildete Arbeiter nicht zu sinnlosen Handgriffen zwingen, sondern sie bei einer freudvollen, kreativen Arbeit unterstützen.

 

Fotos: ©Sam Nixon, Assemble + Will Shannon

Text: ©Peter Reischer

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