Wiener Lichtspiele
Das Wiener Rathaus erstrahlt in neuem Licht. Für seine herausragende Fassadenbeleuchtung wurde das renommierte österreichische Studio podpod design mit dem Deutschen Lichtdesignpreis 2024 ausgezeichnet. Diese Ehrung würdigt nicht nur die technische Raffinesse und gestalterische Brillanz des Projekts, sondern auch die nachhaltige Herangehensweise des Studios. Im Interview geben die Lichtplaner von podpod design genauere Einblicke in ihre Arbeit am Wiener Rathaus, benennen die Herausforderungen beim Umgang mit historischen Gebäuden und erläutern darüber hinaus die Bedeutung von Lichtdesign im urbanen Raum.
Ein nachhaltiges Konzept: Das Lichtkonzept von podpod design besteht aus zwei wesentlichen Ebenen: Eine warmweiße „Grazing-Beleuchtung“ (2700K) betont die äußere Sandsteinfassade und modelliert den reichen neogotischen Zierrat mit Licht nach. Die zweite Lichtebene liegt in der inneren Gebäudeebene – im Turminneren, in den Arkaden und innerhalb der Fenster – und ist eine farbsteuerbare RGBW-Beleuchtung. Diese Kombination ermöglicht sowohl dezente Beleuchtung für den Alltag als auch farbige Inszenierungen für Feste und Veranstaltungen. Durch den Einsatz modernster Technologie und präziser Lichtverteilungen konnte die Anzahl der Leuchten von 4800 auf 1100 reduziert, der Stromverbrauch um mehr als 70% und die laufenden Wartungskosten um 80% gesenkt werden. Die Anlage ist DMX-steuerbar, wodurch sie flexibel und interaktiv angesprochen werden kann und so beeindruckende Lichtszenarien ermöglicht.
Welche grundlegenden Prinzipien und Philosophien leiten Ihre Arbeit als Lichtplaner?
Licht ist Raum, Licht ist Wahrnehmung, es hat ganz viel mit Emotion zu tun und muss mit Feingefühl geplant werden, natürlich auf der Grundlage von technischem Know-How.
Wie sieht Ihr persönlicher Designprozess aus und was inspiriert Sie bei der Arbeit an historischen Gebäuden wie dem Wiener Rathaus?
Der Designprozess ist ein künstlerischer Dialog mit dem Objekt, wir beschäftigen uns mit der Bedeutung, der Geschichte, den Hintergründen, der Nutzung, dem Ausdruck, dem Umfeld des Gebäudes oder des Platzes. Wer lebt dort, wer sieht es und wie bewegt man sich im Bezug? Aus diesen und mehr Fragen entwickeln wir die Lichtsprache.
Wie entstand die Idee für das Lichtkonzept des Wiener Rathauses?
Als eines der bedeutendsten Gebäude der Wiener Ringstraße kommt dem Rathaus – auch als Sitz des Wiener Bürgermeisters – eine große Bedeutung zu. Es hat aber viele Gesichter… es ist ein Verwaltungsgebäude, aber auch eine denkmalgeschützte Sehenswürdigkeit, ein Veranstaltungszentrum für Feste und Bälle und außerdem Hintergrund für vielfältige Veranstaltungen am Rathausplatz. Beim Eistraum, dem Christkindlmarkt oder den Festwochen, um nur einige zu nennen, wird die Fassade zur Kulisse. Somit war unser Zugang, mit unserer Lichtplanung für all diese Themen einen jeweils maßgeschneiderten, eigenen Charakter der Architektur zu betonen – von elegant zurückhaltend, über festlich weiß oder dezent farbig bis hin zu einem farbsteuerbaren Raumerlebnis, das in Echtzeit zu Musik rhythmisch bewegte Bilder wiedergibt.
Welche besonderen Herausforderungen gab es bei der Planung und Umsetzung?
Nach der Planungsphase erfolgte die Umsetzung über drei Jahre im Zuge der Fassadenrestaurierung. Erst nach Fertigstellung eines Fassadenabschnitts durch den Steinrestaurator konnten die engagierten Monteure von Csernohorszky im Zuge des schrittweisen Gerüstabbaues die Leuchten montieren. In der Praxis mussten wir dann bei jeder Jahreszeit gemeinsam mit dem Elektriker bei Dunkelheit in schwindelnder Höhe die Leuchten einstellen und feinjustieren. Besonders bei präzisen Lichtverteilungen muss die Leuchte genau auf die zu beleuchtende Fläche ausgerichtet werden. Das macht die Qualität eines Projektes am Ende aus.
Zuletzt war Signify, der Leuchtenhersteller, gefordert, jede einzelne der DMX-Leuchten zu adressieren, in die Steuerungsanlage einzubinden und die Erstausstattung von Lichtszenen zu programmieren.
Glücklicherweise waren alle Projektbeteiligte vom Projekt begeistert und engagiert. Beginnend vom Bauherrn selbst, der Magistratssabteilung MA 34 – Bau- und Gebäudemanagement, dem Elektriker Csernohorszky, den Leuchtenlieferanten Signify und dessen Programmierern und schließlich unserem Büro als Lichtplaner. Erfreulich war auch die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt.
Was waren die ästhetischen Leitlinien für die Gestaltung der neuen Beleuchtung?
Unser ästhetischer Anspruch war, die Leuchten selbst so unsichtbar wir möglich in der Architektur zu integrieren, dass sie sowohl tagsüber wie auch nachts kaum wahrgenommen werden. Man soll bei Betrachtung der Fassade möglichst nicht sehen, woher das Licht kommt, es sollte mit der Architektur zu einer Einheit verschmelzen.
Wie haben Sie die Balance zwischen moderner Gestaltung und den Anforderungen des Denkmalschutzes erreicht?
Der Denkmalschutz ist immer eine besondere Herausforderung, da die Leuchten nicht sichtbar sein sollten und unter Rücksichtnahme auf die Bausubstanz montiert sein müssen. Das Gleiche gilt für die Elektroinstallation; die Kabelführung und Verteilerplatzierung muss so materialschonend wie möglich umgesetzt werden. Unser Partner, die in diesen Dingen schon erfahrene Firma Csernohorszky hat diese Aufgabe mit maßgefertigten Edelstahlkanälen, die gleichzeitig zur Kabelführung und zur Leuchtenmontage dienen, vorbildlich gelöst.
Wie wurde das Thema Nachhaltigkeit in das Lichtkonzept integriert?
Die alten Glühlampen hatten einen enormen Energieverbrauch und darüber hinaus waren die Wartungs- und Betriebskosten nicht tragbar, da vor und nach jeder Festbeleuchtung Haustechniker und Feuerwehr „zu Fuß“ alle Bereiche begehen und kontrollieren mussten und dabei auch etliche Lampen tauschen mussten. In den Büros und Festsälen mussten zudem für die Fensterbeleuchtung Klappen geöffnet und nach der Veranstaltung wieder geschlossen werden.
Mit unserer Lichtplanung wurde das nächtliche Erscheinungsbild durch den Einsatz neuer LED-Technologie wesentlich verbessert. Die Leuchtenanzahl konnte dank der präzise geplanten Lichtverteilungen von 4.800 auf 1.100 Stück reduziert werden. Mit der neuen DMX-Steuerung kann jede Leuchte fernüberwacht werden. Durch die Einzelansteuerbarkeit und die Dimmbarkeit der Leuchten wird generell nur ein Bruchteil der gesamten Anschlussleistung verbraucht. Anstatt hinter Klappen wurde die Fensterbeleuchtung unter Schutzgläsern fix verbaut. All diese Maßnahmen reduzieren die laufenden Kosten wesentlich. Wichtig war uns auch der Einsatz hochwertiger Leuchten, die eine lange Lebensdauer erwarten lassen.
Zum Thema Nachhaltigkeit zählt auch der Umwelt- und Naturschutz. Aktuell wird vom Naturschutz empfohlen, im Außenraum von oben nach unten und nicht umgekehrt zu beleuchten, um die Lichtabstrahlung in den Nachthimmel so gering wie möglich zu halten. Aus Sicht der Lichtplanung ist allerdings immer individuell zu entscheiden, wie bei einem Gebäude vorzugehen ist. Es zählt nicht so sehr die Lichtrichtung – das ausgestrahlte Licht soll auf die zu beleuchtende Fläche auftreffen. Beim Rathaus haben wir mit wenigen Ausnahmen asymmetrische Lichtverteilungen eingesetzt, die nicht rundstrahlen, sondern die sich dem Gebäude entlangschmiegen und die Sandsteinfassade zu Leben erwecken. Der wichtigste Punkt ist allerdings die Dosis; das heißt: Weniger ist besser als mehr, man braucht gezielt eingesetztes, intelligent geplantes Licht und nicht zuletzt das Ausschalten zur späten Abendstunde, so dass nach Mitternacht die Nacht auch Nacht sein darf.
Welche Vorteile bietet die DMX-Steuerung und wie wird sie konkret im Alltag und bei Veranstaltungen genutzt?
Die verbaute DMX-Steuerung bildet die Grundlage für die Bespielbarkeit der Fassadenbeleuchtung als Architektur- und gleichermaßen Showbeleuchtung. Im Gegensatz zu einer eher trägen DALI basierenden Lichtsteuerung reagiert DMX sofort ohne Verzögerung. Auch bei Alltagszenen hilft DMX beim kontrollierten Ein- und Ausschalten, da das Hochfahren und Runterdimmen absolut gleichmäßig synchronisiert erfolgen kann. In Echtzeit können sowohl Alltagsszenen abgerufen als auch Showbeleuchtungen vom Steuerpult zur Musik gestaltet werden.
Wie war das Feedback der Stadt Wien und der Öffentlichkeit auf die neue Beleuchtung?
Schon bei der finalen Programmierung und Inbetriebnahme hatte die Fassadenbeleuchtung eine magnetische Anziehungskraft auf Passanten, die sich sofort mit hochgehaltenen Handys versammelten.
Die Stadt Wien hat die neue Fassadenbeleuchtung sehr positiv aufgenommen und eröffnete zum Beispiel den Eistraum mit einer Lichtshow zu Queen‘s Bohemian Rapsody. Nach und nach wird die Stadt das unheimlich große Potential der vielfältigen Bespielungen ausschöpfen.
Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Lichtdesign und Architektur im urbanen Raum?
Im flächendeckenden Tageslicht ist alles gleich beleuchtet, in der Nacht entsteht die Möglichkeit zu entscheiden, wo Licht und wo Dunkelheit bleibt. Damit können Räume gestaltet und Objekte differenziert werden.
Wie berücksichtigen Sie kulturelle und historische Aspekte bei der Lichtgestaltung von Gebäuden und öffentlichen Räumen?
Die nächtliche Identität kann prägnanter als im flächendeckenden Tageslicht gestaltet werden. Die Nacht ermöglicht es zu entscheiden, wie das Zusammenspiel aus funktional erforderlicher Beleuchtung – wie der Straßen und Wegebeleuchtung – mit der gestalterischen Beleuchtung als gesamter Lichtraum in Einklang gebracht wird. Wir gewichten in Masterplänen für eine Stadt oder kleinere Bereiche, wie der Raum und die Objekte erlebbar sein sollen.
Wie berücksichtigen Sie das Nutzererlebnis und die Wahrnehmung der Menschen, die sich in den von Ihnen gestalteten Lichtumgebungen aufhalten?
Wir beleuchten schließlich für die Menschen, und daher ist es natürlich essentiell, auf deren Bedürfnisse einzugehen. Einerseits ist im Nachtraum das subjektive Sicherheitsempfinden wichtig, aber genauso der Wohlfühlaspekt zu berücksichtigen. Licht beleuchtet das Umfeld und formt die Wahrnehmung. Nicht nur über das Auge, sondern über den ganzen Körper, denn man fühlt Licht auch. Lichtstrahlung kann angenehm, komfortabel aber auch invasiv und aggressiv sein. Da spielen neben der Intensität, der Lichtrichtung und der Strahlungscharakteristik auch die Farbtemperatur und die Farbwiedergabe eine wichtige Rolle.
Welche Kriterien sind für Sie entscheidend bei der Auswahl der Materialien und Leuchtmittel für Ihre Projekte?
Die eingesetzten Materialien müssen hochwertig und nachhaltig sein. Essentiell ist die Lichttechnik, die Lichtqualität (Farbwiedergabe, Auswahlmöglichkeiten der Farbtemperatur bzw. Lichtfarbe) und eine Palette von Lichtverteilungen, sowie Accessoires, wie zum Beispiel Blendschutzraster. Zur Langlebigkeit gehören gutes Thermomanagement und die Wartungsmöglichkeit für einzelne Komponenten. Die Leuchtenform muss sich gut in das Objekt integrieren lassen, gegebenenfalls durch Sonderfarben.
Was sind die größten Herausforderungen in der Lichtplanung und wie gehen Sie damit um?
Wie überall stehen die Menschen im Zentrum, ein gutes Projekt profitiert von der positiven Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten. Beim Rathaus hatten wir das große Glück, neben einem engagierten Auftraggeber mit äußerst kompetente Fachfirmen zusammen arbeiten zu können. Ausnahmslos alle waren mit vollem Einsatz und Begeisterung am Gelingen beteiligt. Unsere langjährige Erfahrung hat uns gezeigt, dass ein Projekt nur erfolgreich sein kann, wenn alle Beteiligten ins Boot geholt wurden.
Wie sehen Sie die Zukunft der Lichtplanung und welche Trends erwarten Sie in den kommenden Jahren?
Man kann annehmen, dass auch in der Lichtplanung AI eine tragende Rolle spielen wird, als Tool zumindest. Die Zukunft mag BIM-basierte Projekte mit digitalen Zwillingen von Gebäuden mit sich bringen. Nach unserer Einschätzung können Erfahrung, künstlerisches Feingefühl und die individuelle Erarbeitung nicht ersetzt werden. Auch in denkmalgeschützten Bereichen muss jede Entscheidung in Ermessen und Abstimmung zwischen Lichtplaner und Denkmalamt getroffen werden. Und am Ende jedes Projektes steht die Umsetzungsbegleitung. Es ist unverzichtbar für die Qualität, dass der Lichtplaner vor Ort gemeinsam mit dem Elektriker die Leuchten einrichtet und feinjustiert. Man muss am Ende in persona physisch im Raum stehen und sehen, denn die menschliche Wahrnehmung in ihrer intuitiven Komplexität wird man virtuell schwer simulieren können. Oder werden wir mit digitaler Brille im virtuellen Raum stehen und die Strahler justieren?
Interview: Andreas Laser
Fotos: Jansenberger Fotografie
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen, Licht, Projekte