Geformt aus Erde – Lehm als Baustoff
Geformt aus Erde – Lehm als Baustoff
Als nachhaltiger und wohnbehaglicher Baustoff ist Lehm trotz eines erkennbaren Booms seit den 80er Jahren in der Architektur noch immer weit unterschätzt. Dabei handelt es sich bei der reichlich vorhandenen Mischung aus Sand, Schluff und Ton um einen der ältesten Baustoffe, den die Menschheit kennt. In unseren Breiten stammen die Lehmvorkommen zumeist aus der Eiszeit. Gestein, von Gletschern zu Löss und Sand zerrieben, wurde durch Flüsse verfrachtet und vom Wind zu Ablagerungen verweht.
Um Lehm am Bau sinnvoll einsetzen zu können, gilt es, dessen bauphysikalische Eigenschaften und baubiologisches Verhalten zu verstehen. Im feuchten Zustand quillt Lehm und ist formbar, beim Trocknen schwindet er und wird fest. Lehm wirkt im Raum Luftfeuchte regulierend und konservierend auf angrenzende Holzbauteile (Stichwort Fachwerkbau). Kombiniert mit der Fähigkeit Wärme zu speichern, aber auch Gerüche und Schadstoffe zu binden, rangiert Lehm zurecht seit mehr als 9.000 Jahren ganz oben in der Liste der beliebtesten Baustoffe. De facto lebt auch heute noch rund ein Drittel der Weltbevölkerung in Lehmhäusern.
Als „gesunder” und ökologischer Baustoff passt Lehm nebenbei perfekt in den Geist unserer Zeit. Weiterer großer Pluspunkt: seine Vielseitigkeit und Wandlungsfähigkeit. Gebrannt kommt Lehm in Form von Ziegeln auf der Baustelle zum Einsatz. Ob als Putz, Estrich oder Farbe, im Innen- oder Außenraum, als technisches oder gestalterisches Element – Lehm ist auch ohne Brennvorgang beinahe ein Alleskönner.
Bei Gestaltern steht der Lehm in Form von gestampften Schichten seit geraumer Zeit hoch im Kurs. Gestampfter Lehm ist aber nicht nur aus optischer Sicht ein echter Hingucker, es sind allen voran die positiven Eigenschaften im Bezug auf das Raumklima, die überzeugen. Im Außenbereich besticht Lehm durch seine Licht- und Farbechtheit, die sich mit dem Alterungsprozess sogar in ihrer Leuchtkraft noch verstärkt. Ein Vermoosen oder Pilzbefall sind dann ausgeschlossen, wenn die Stampflehmwände konstruktiv witterungsgeschützt sind. Die Lehmbauteile können bei Verwendung des Aushubmaterials „direkt aus der Erde” geformt werden. Erfordert eine knappe Bauzeit den Einsatz von Fertigteilelementen, wird Stampflehm modulweise und vorgetrocknet in Form von individuellen Teilelementen – auch als dünnere Stampflehmschale – auf die Baustelle geliefert und direkt verbaut.
Ein weiteres interessantes Anwendungsgebiet sind Stampflehmböden. Mit ihrer heterogenen Oberflächenerscheinung und den vielen feinen Mikrorissen wirken die Böden trotz ihrer extremen Härte und Strapazierfähigkeit eher weich und lebendig. Wird der fertige Boden mit einem Diamantflächenschleifer leicht abgeschliffen, entsteht ein terrazzoähnlicher Effekt. Eine Imprägnierung mit Kasein und Wachs macht den Boden zu einem pflegeleichten Belag für den Wohnraum. Die Herstellung allerdings erfordert langjährige Erfahrung, eine Reihe an Arbeitsschritten und mehrere Wochen Zeit.
Abgesehen von der baulichen Seite, bietet der Lehm auch eine Vielzahl an Möglichkeiten, Wohnräume behaglich und mit einem gesundheitlich unbedenklichen Material zu gestalten. So lassen sich bestehende Räume durch das nachträgliche Auftragen von Lehmputzen einfach und kostengünstig aufwerten: Eine verbesserte Luftfeuchteregulierung, angenehmere Akustik und weniger Staub sind nur einige der positiven Effekte. Besondere Behaglichkeit bieten auch Öfen aus Lehm. Ob als Fertigelement oder individuell gestaltet – Lehmöfen speichern die Wärme hervorragend und sorgen so bei geringer Heizlast für angenehm temperierte Wohnräume.
Zu guter Letzt lassen sich aus Lehm auch Fliesen oder Wohngegenstände wie Waschbecken fertigen. Verschiedene Brenntechniken ergeben nicht nur optisch variierende Ergebnisse, sondern machen jedes Stück zum individuellen Objekt mit ganz eigenem Charakter. Gerade in dieser Lebendigkeit liegt die große Stärke des Baustoffes Lehm, der im wahrsten Sinne des Wortes mit den Händen greifbar ist. Erde zu Erde, wenn man so will.
Text:©Linda Pezzei
Fotos:©Emanuel Dorsaz, Laura Egger
Kategorie: Magazin