Architektur für morgen

13. Dezember 2017 Mehr

Die Geschichte von Architekt Diébédo Francis Kéré klingt wie ein modernes Märchen. Als Siebenjähriger lebte er in einem westafrikanischen Dorf ohne Strom und fließendes Wasser in einem der ärmsten Länder der Welt: Burkina Faso, das ehemalige Obervolta. Sein Vater, Häuptling von Gando, war Analphabet und deshalb musste sein Sohn in die Schule gehen, um seinem Vater Briefe vorlesen zu können. Später machte Kéré eine Tischlerlehre und erlernte die Grundzüge des dortigen, traditionellen Bauens. 1985 bekam er ein Stipendium, ging nach Deutschland, lernte die Sprache, machte die Matura an der Abendschule und studierte Architektur.

 

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Foto: ©Erik-Jan Ouwerkerk

 

Heute sitzt er zeitweise in seinem Büro in Berlin, hat Mitarbeiter aus den USA, England, Italien, Spanien, der Schweiz und Deutschland, eine Professur, hält Vorträge. Er fliegt viel, vor allem nach Burkina Faso. Sein erstes realisiertes Bauprojekt, seine Diplomarbeit, war eine Grundschule in seinem Heimatdorf. Finanziert durch den eigens dafür gegründeten Verein „Schulbausteine für Gando“, die heutige „Kéré Foundation“. Dafür erhielt er 2004 die wichtigste Auszeichnung für Architektur in der islamischen Welt, den Aga-Khan-Preis. Es folgten Oberschulen in Gando und anderen Orten Burkina Fasos, ein Waisenheim sowie ein Gesundheitszentrum. Für den verstorbenen Theaterregisseur Christoph Schlingensief baut Kéré seit 2010 das „Operndorf Afrika“, in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou soll er das neue Parlamentsgebäude errichten.

Schon diese Aufzählung zeigt und erklärt, was ihn seit jeher in seinem Beruf motiviert. Bei seinen Projekten verbindet Kéré das Wissen um die Bedingungen in seinem Heimatland, etwa die hohen Temperaturen und starken Niederschläge während der Regenzeit, mit den Erkenntnissen des Studiums. So versetzt er das traditionelle Baumaterial Lehm mit Zement, damit es dem Regen standhält. Ausgeklügelte Dachkonstruktionen aus Wellblech und Tonkrügen sorgen in seinen Gebäuden für natürliche Beleuchtung und Belüftung, auf diese Weise bleiben Klassen- und Behandlungsräume kühl. Eine simple Methode, man spart Klimaanlagen und technische Geräte. Das könnte durchaus ein Ansatz für eine Architektur der Zukunft sein.

 

Lycée Schorge Secondary School

Die Lycée Schorge Secondary School liegt in Koudougou, der drittgrößten Stadt von Burkina Faso. Sie setzt nicht nur neue Standards der Erziehung, sondern ist auch ein Vorzeigebeispiel für die Nutzung lokaler Ressourcen in einer innovativen und modernen Art und Weise. Neun Module beherbergen die Klassen und die Verwaltung, eines davon auch eine Zahnklinik für die Studenten. Die Wände der Module sind aus vor Ort gewonnenem Laterit. Das ist ein Material, das nach dem Ausgraben leicht geformt und beschnitten werden kann, nach einiger Zeit der Trocknung an der Luft aber eben hart wie Stein wird. Auch wird es wegen seiner thermischen Speichermasse verwendet. In einer Kombination mit einzigartigen „Windtürmen“ und überstehenden Dächern ist die Temperatursenkung bemerkenswert. Die Dächer bestehen aus massiven, leicht gewellten Gips/Betonkonstruktionen. Die einzelnen Wellen sind leicht gegeneinander versetzt, um die Innenräume „atmen“ zu lassen. Untersichten sind strahlend weiß und verteilen ein diffuses Licht, elektrische Beleuchtung erübrigt sich tagsüber. Als Schutz vor der starken Sonneneinstrahlung sind die Klassenräume mit einer Art Vorhang aus Holzstäben versehen, ein natürliches, lokales, schnell nachwachsendes Material. Die Möbel sind aus regionalem Hartholz und Resten der Konstruktionsmaterialien hergestellt: Prinzip der Abfallvermeidung.

 

Fotos: ©Keré Architecture

 

Gando Primary School

Der Entwurf dieser Architektur resultiert aus den verschiedensten Parametern: Kosten, Klima, Ressourcen und Konstruktionsmethoden. Das Resultat beruht sowohl auf der Annahme wie auch der Verweigerung dieser Bedingungen. Man benutzte die traditionelle Technik der Tonziegel und ihrer Herstellung vor Ort. Das Material ist billig, leicht zu gewinnen und die Ziegel bieten einen guten Schutz gegen die Hitze. Um ihre Widerstandsfähigkeit gegen die schweren Regenfälle zu gewährleisten, errichtete man ein weit auskragendes Blechdach. Viele Häuser in Burkina Faso haben Blechdächer, diese absorbieren die Sonnenstrahlung und verursachen eine ungeheure Hitze im Inneren. Bei der Volksschule ist das Dach von den Innenräumen abgehoben und eine perforierte Tondecke für eine ausgiebige Durchlüftung wurde darunter eingezogen. So entsteht ein ständiger Luftzug/Kühl­effekt von den Fenstern nach oben durch die Decke unter das Blechdach und weiter ins Freie. Gleichzeitig ist der ökologische Fußabdruck der Schule durch die Vermeidung von Klimaanlagen gewaltig reduziert. An dem Projekt hat das ganze Dorf mitgearbeitet, es wurde 2001 vollendet und 2004 mit dem Aga Khan Preis for Architektur ausgezeichnet.

 

Fotos: ©Siméon Douchoud

 

Léo Surgical Clinic and Health Center

Hier ging es nicht nur darum, medizinische Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, sondern um die Schaffung einer inspirierenden Architektur durch die beteiligten Menschen. Das Zentrum besteht aus einem System spielerisch platzierter, färbiger Module. Diese zehn Module sind alle in den gleichen Dimensionen und Materialitäten gehalten, um Kosten zu sparen und den Prozess zu vereinfachen. Angeordnet sind sie um einen zentralen, teilweise durch ihre Dachvorsprünge überdachten Bereich. Das schafft eine Atmosphäre der Freundlichkeit und auch Patienten, die normalerweise keine medizinische Versorgung annehmen würden, fühlen sich hier wohl. Auch hier besteht das Baumaterial größtenteils aus verdichteten Erdziegeln mit einem geringen ökologischen Footprint. Ihre thermische Masse absorbiert die Kälte der Nacht und hält die Räume tagsüber angenehm kühl. Auskragende Dächer schützen die Wände in der Regenzeit und vor der Sonne. Eine passive Kühlung wird durch eine Decke mit Öffnungen erreicht, Luft strömt durch die beschatteten Fenster herein und nach oben ab.

Da hier nur in drei Monaten Niederschlag fällt, sind Wassermanagement und -sammlung extrem wichtig für die Gesundheit und das Wohlergehen der Gemeinschaft (und auch der Umwelt). Es gibt deshalb ein Regenwasser- und Grauwassersammelsystem mit Filtrierung – dieses Wasser wird zur Bewässerung der Pflanzen und Bäume benutzt. Dem aufbereiteten Grauwasser wird Sauerstoff zugesetzt, man benutzt dazu lokal gewonnene Solarenergie.

 

Fotos: ©Kére Architecture

 

Serpentine Pavillon 2017

Architekt Diébédo Francis Kéré baut aber nicht nur in Afrika, auch in Europa ist er aktiv. In London hat er 2017 den prestigeträchtigen Auftrag zur Gestaltung des Serpentine Pavillon erhalten. Getreu seinen Prinzipien kreierte er im Kensington Garden einen Mikrokosmos als gemeinschaftliche Struktur. Es ist eine Referenz an seine Heimat, verbunden mit experimentellen Konstruktionsmethoden. Genau hier kommt das „Überraschende, Anregende und Berührende“, von dem er gerne spricht, zum Ausdruck.
Wie in Burkina Faso der Baum, ist in London eine runde, weit auskragende Konstruktion aus Stahl mit einer transluzenten Haut ein Symbol für das Zusammenkommen der Menschen. Sonnenlicht dringt hinein und gleichzeitig ist es ein Regenschutz. Die Wände bestehen aus vorfabrizierten Holzblöcken, die in Dreiecksmodulen zusammengefügt sind, dazwischen sind Schlitze und Öffnungen. Sie reichen nicht bis zum Dach, um die Luft zirkulieren zu lassen. Vier Zutrittsmöglichkeiten erschließen den Pavillon. Im Zentrum des Kreises ist eine große Öffnung im Dach, hier ist ein direkter Kontakt zum Umraum, zur Natur möglich. Bei Regen strömt das Wasser über das Dach herein. Der symbolische Akt dieses Wassersammelns deutet auf die Notwendigkeit dieser Ressource für das Überleben unserer Welt hin.

 

Fotos: ©Kére Architecture

 

Interview Diébédo Francis Kéré

Herr Architekt Kéré, Sie vertreten ja eine andere Art des Bauens, Ihnen geht es nicht um Images und Bilder für Hochglanzmagazine. Worum geht es Ihnen?

Mir geht es darum, eine Struktur zu schaffen, die in erster Linie dem Nutzer dient. Es muss einfach „funktionieren“. Natürlich unter Verwendung lokaler, natürlicher Materialien. Es geht mir darum, dem Menschen mit meiner Architektur zu dienen.

Kann man „gute“ Architektur definieren? Wie würden Sie das beschreiben?

Ich glaube, wenn ein paar Elemente zusammenkommen und gut funktionieren, dann kann man von guter Architektur reden. Was nutzt es, ein wunderschönes Gebäude nach einem westlichen Vorbild irgendwo in Afrika hinzustellen, wenn es klimatisch nicht funktioniert. Auch wenn es gut aussieht. Architektur muss an das lokale Klima angepasst sein, den Menschen berühren.

Wann wird eine „gute“ Architektur zu einer „schönen“ Architektur?

Das merke ich in meinen Bauten: Wenn einfache Schüler davor stehen und von Schönheit reden, dann habe ich das Gefühl, dass sie emotional davon bewegt sind. Dann kann man von Schönheit reden!

Kann man diese Sensibilität trainieren, kann man das im Unterricht den Schülern vermitteln?

Das ist schwierig. Man kann Verständnis für Architektur, für Form, für Raum versuchen zu unterrichten. Man kann ihnen beibringen, Material im Raum so zu verwenden, dass der Nutzer reinkommt und „wow“ sagt. Er fühlt sich in dem Raum wohl, er fühlt sich geborgen. Das kann man versuchen zu besprechen, aber es ist ein Prozess, bis Menschen das dann in sich tragen.

Ist das sensible „Aufnehmen“ von Architektur eine Frage der Bildung oder der Information?

Von Bildung sicher nicht. Man muss keine Bildung haben, um von einer Architektur berührt zu sein. Das Gebäude muss die Kraft mit sich bringen, alle Gesellschaftsschichten einigermaßen anzusprechen. Das ist dann gute Architektur.

Was ist Bauen für Sie?

Bauen kann jeder! Aber wenn man baut und den Bau zu Architektur machen will, ist das ein Prozess. Bauen kann man auch denken, das ist dann die Schaffung von Architektur.

Welches ist Ihr Vermittlungsauftrag in der Architektur?

Ich will dass die Studenten, heute im 21. Jahrhundert, unsere sozialen Realitäten und Probleme kritisch reflektieren. Der Architekturstudent muss wissen, dass er ein Instrument in die Hand bekommt und es einsetzen kann. Meine Aufgabe ist, die aktuellen gesellschaftlichen Themen und deren Transformation in die Architektur zu vermitteln.

Wie sehen Sie den Fundamentalismus gewisser Architekten, deren eigenen Stil betreffend? Patrik Schumacher will zum Beispiel den Parametrismus als Weltarchitektur etablieren.

Ich bin sehr pragmatisch. Ich bewundere Puristen, aber ich versuche zum Beispiel, ökologische Ziele in Burkina Faso zu erreichen, ohne wirklich nach dem Lehrbuch zu arbeiten, ohne radikal zu werden. Denn das wäre wieder ein Diktat.

Sie kommen aus einer Kultur, in der der Gemeinschaftssinn sehr prägend ist. Inwieweit wirkt sich das auf Ihre architektonischen Arbeiten aus?

In meiner Kultur ist Bauen eine Gemeinschaftsaufgabe. Ich trachte immer, durch meine Projekte dieser Aufgabe gerecht zu werden. Wenn wir von Wir reden, heißt das Partizipation und teilen.

Wie würden Sie Ihre Arbeiten international einordnen, könnte man Sie als Botschafter einer neuen Architekturdenkweise bezeichnen?

Ich habe tatsächlich festgestellt, dass mir immer die Gemeinschaft am Herzen lag. Ich habe mit dem Bau einer Schule begonnen, da musste ich mit mehreren Menschen in Kontakt treten und ihnen erklären, warum man eine Schule braucht. Auch die örtlichen Materialien, die von den Bewohnern als „arme-Leute-Baustoffe“ abgelehnt wurden, musste ich erklären. Dann wurde diese Schule und wie wir sie gebaut haben, Thema an internationalen Universitäten. Meine Arbeiten werden von den Studenten als Referenzen benutzt. Vielleicht bin ich da – zusammen mit anderen Architekten, die ebenso handeln – ein Pionier in diesem Bereich. Ich versuche immer, das Bauen nicht vom Denken abzutrennen, einen Plan solange zu erklären, bis alle ihn verstanden haben.

Wie muss die Architektur von morgen aussehen?

Sie muss total anders aussehen. Sie muss radikal den Menschen mitnehmen und ihn in den Mittelpunkt stellen, nicht nur als passiven Nutzer, sondern als aktiven Mitdenker der Architektur. Sonst steuern wir in eine Krise. Wohnraum und Schulen für all die Migranten und Flüchtlinge dürfen nicht am Schreibtisch – fern von den Betroffenen – entstehen, sondern mit den Menschen.

Hat Ihr Ansatz, lokale Baustoffe und Arbeitskraft zu verwenden, eine Chance in den westlichen Ländern? Oder wird sich eine Art Parallelarchitektur entwickeln, hier und dort?

Der Westen und die „Entwicklungsländer“ befruchten sich gegenseitig. Im Westen gibt es bereits die „Bauherrenmodelle“, das ist eine Entwicklung in eine andere Richtung als bisher, weg vom Developer-Denken. Andererseits werden in den „Entwicklungsländern“ auch Projekte im Stile des Westens realisiert. In Burkina Faso, wo wir uns ganz am Anfang der wirtschaftlichen Entwicklung befinden, partizipieren die Menschen sehr gerne. Wenn sie bei der Schaffung von Architektur wirklich mitwirken, dann schätzen sie das Geschaffene wesentlich mehr.

Verwenden Sie in Burkina Faso ausschließlich lokale Techniken oder auch Methoden aus anderen Ländern, Erdteilen?

Wenn ich auf meinen Reisen etwas sehe, das einen Mehrwert, eine Verbesserung bringen kann, das lokales Wissen und Know-how stärkt – dann setze ich es ein.

Gibt es zu den von Ihnen gewonnen Erkenntnissen der Bauprozesse eine Art Monitoring, Aufzeichnungen, um diese noch besser weitervermitteln zu können?

Das ist mein großes Manko, ich habe zu wenig Zeit, um zu reflektieren. Aber das kommt noch. Momentan erkläre ich per Telefon meinem Team in Burkina Faso, was sie tun sollen, und das klappt sehr gut. Meine Leute in Berlin lachen immer und meinen, wenn sie das zeichnen müssten und dann hinschicken, das würde viel zu lange dauern.
Wenn wir in Burkina Faso ein Projekt in einem Dorf beginnen, sind wir 20 Personen. Wenn wir weggehen, sind wir 60. Wir lernen während des Projektes die Leute an und sie gehen dann mit uns mit zur nächsten Baustelle. So wird Wissen verteilt. Dieses Prinzip versuche ich gerade in Mozambique und Kenia einzuführen.

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Kategorie: Projekte