Bewegung und Energie – Stationen

15. November 2018 Mehr

Pioneer Village und Finch West Stations / Toronto / IBI Group

Wie ein erstarrter Ausbruch einer unterirdischen Energie steht die skulpturale Architektur auf ihren roten Beinen in der verschneiten Landschaft Kanadas. Viel Glas, Cortenstahl und eine gewagte Dachform und -auskragung markieren hier den Eingang zur „Unterwelt“: Denn es handelt sich um Pioneer Village, eine der sechs U-Bahn-Stationen des erweiterten Netzes von Toronto-York-Spadina-Subway-Extension (TYSSE). Die Pioneer Village und die Finch West Station wurden von der IBI Group kürzlich vollendet – entworfen hat sie der heuer verstorbene, englische Designer, Maler und Architekt Will Alsop.

 

Pioneer-Village-Station_Toronto-08

Zwei geometrische Stationen, eine extravagant und die andere nüchtern, wurden nach einem Entwurf des verstorbenen Architekten Will Alsop letztes Jahr in Toronto, Kanada von der IBI Group fertiggestellt. Beide sind Schritte auf dem Weg, beim öffentlichen Transport vom Touch des schmuddeligen, mit Werbeplakaten und depressiv anmutenden Verkaufsfenstern versehenen Ort, wegzukommen.

 

Als ein Joint Venture der beiden Planungsbüros LEA und WSP sollen die beiden Stationen ein wichtiges Verbindungsstück zwischen der Universität York und der Stadt Vaughan in den unterschiedlichen, nördlichen Regionen Torontos bilden. Die IBI Group hat die beiden Stationen als Landmark und Mobilitätszentrum der Gegend gestaltet, 20.000 Passagiere der Toronto Transit Commission (TTC), zwei regionale Busbahnhöfe und ca. 1.800 Parkplätze für Pendler werden so bedient. Das 2,13 Milliarden Euro teure und 8,6 Kilometer lange Projekt – als Erweiterung der Linie 1 – soll 23 Millionen Passagiere pro Jahr befördern und einen Boom an neuen Ansiedlungen bei den Stationen und entlang der Linie auslösen. Es war die erste bauliche Maßnahme der TTC seit Jahrzehnten.

Das Design der Pioneer Station ist von einer fließenden, fortlaufenden Verbindung von der Oberfläche bis zur Ebene der Bahnsteige gekennzeichnet, spielerische und frei fließende Bewegungen und Formen prägen sie. Ein warmes Licht, welches von einer dynamischen künstlerischen Beleuchtung ausgeht, macht die Reise in den Untergrund zu einem angenehmen Erlebnis. Wo man normalerweise (in Wien zum Beispiel) in zugigen Kachelverliesen oder windkanalähnlichen Röhren beim Herumhasten zur nächsten U-Bahn auf herabgerissene Werbeplakate und unheilvolles Neongeflacker stößt, empfängt einen hier die saubere, fast klinische Atmosphäre mit Designwartebänken. Bronzierte Armlehnen trennen die einzelnen Sitzflächen, damit ja kein Gedrängel und Geschubse entstehen kann. Schnörkellose Schriften verkünden unauffällig den Namen der Station und die graue Farbe der Wandbeschichtung simuliert Weite. Auch oberirdisch fungiert der Bahnhof als Aufwertung, als ein erfreuliches Erlebnis in der Landschaft der Vororte von Toronto. Selbst die sicherlich der Norm und den Bauordnungen, sowie dem Brandschutz geschuldeten Barrieren und Wegführungen bekommen einen freundlichen Touch durch eine mutige Farbgebung. Mit der Lichtinstallation (eine sehr mutige Entscheidung der Toronto Transit Commission als Auftraggeber) gewinnt die Eingangshalle mit ihrem kreisförmigen, von Glas umrahmten Abgang zu den Bahnsteigen, einen fast musealen Charakter.

 

Pioneer-Village-Stationen_Toronto-01

Skulpturhaft und wie ein Lebewesen ragt die Station aus der Landschaft Kanadas.

 

Pioneer Village, Toronto, Kanada

Bauherr: Toronto Transit Commission
Planung: IBI Group
Design: aLL Design
Statik: WSP.

Grundstücksfläche 16.300 m2
Bebaute Fläche: 16.300 m2
Planungsbeginn: 2009
Bauzeit: 2011-2017
Fertigstellung: 2017
Baukosten: 110 Mio. Euro

 

Die IBI Group ist ein international agierendes Büro mit weltweit 2.700 Angestellten. Sie befassen sich hauptsächlich mit dem Design und Bau von Verkehrsanlagen, Transportmitteln und Urban Design. Es hat neben den kanadischen Linien auch das erste unterirdische System in Israel errichtet, die „Tel Aviv Red Line“. Das Credo der Planer sind Städte mit einem intelligenten Design, nachhaltigen Architekturen, einer effizienten Infrastruktur und einer humanen Anmutung.

 

Nicht ganz so extravagant, sondern mehr als echter Bahnhof ist die zweite Station, Finch West gestaltet. Ein auf bunten Glasscheiben aufgeständerter, rechteckiger Körper mit einem großen roten Schlund gähnt den Ankommenden entgegen. Die Glasscheiben verursachen wechselnde Lichtstimmungen in der Eingangshalle und ihre streifenförmige Anordnung findet die Entsprechung im Oberbau und auch im Fußbodenmuster. Ein bisschen 60er-Jahre-Design und teils schlecht interpretierte Kunst-am-Bau-Bemühung, aber im Untergrund findet sich dafür dieselbe, nüchterne und aufgeräumte Stimmung wie in der Pioneer Station wieder. Finch West ist als moderne, großzügige Station mit einem Busterminal samt direktem Straßenzugang geplant. Hier mischen sich Kunst, Technik und Architektur. Die künstlerische Gestaltung (farbige Glasscheiben?) stammt von lokalen Künstlern. Im Inneren bildet sich eine zweigeschossige Halle über den Bahnsteigen, sie wird durch zwei „fliegende“ Träger vom Umsteigebereich auf der zweiten Geschoss­ebene abgetrennt. Auffallend bei beiden Stationen ist die Verwendung neuer, innovativer Materialien, die zusammen mit den grafischen Mustern und der Gestaltung ein Massentransportmittel in die Nähe von Kunst im öffentlichen Raum bringen.

 

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Wesentlich nüchterner, aber doch von Weite und Großzügigkeit geprägt ist die zweite Station der U-Bahn-Linie.

 

Finch West Stations, Toronto, Kanada

Bauherr: Toronto Transit Commission
Planung: IBI Group
Design: aLL Design
Statik: LEA Consulting.

Grundstücksfläche 12.332 m2
Bebaute Fläche: 2.120 m2
Planungsbeginn: 2008
Bauzeit: 2011-2017
Fertigstellung: 2017
Baukosten: 97 Mio. Euro

Fotos:©Wade Zimmerman

Text:©Peter Reischer

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Kategorie: Projekte