Gekonnter Brutalismus

26. Juni 2015 Mehr

 

Jugendherberge in iD Town / China / O-office Architects

Eine alte Färberei wird zum modernen Jugendhotel

Viele unsere alltäglichen Kleidungsstücke werden in China gefertigt, die meisten T-Shirts kommen aus der Gegend um Shenzhen. Diese Stadt liegt im Süden der Provinz Guangdong der Volksrepublik China, sie grenzt nördlich an die Sonderverwaltungszone Hongkong. Die Planstadt Shenzhen gilt aufgrund ihres Status als Sonderwirtschaftszone als eine der bedeutendsten Städte für ausländische Investitionen und ist eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt. Im Jahr 1979 lebten im heutigen Stadtgebiet gerade einmal 30.000 Menschen. Heute ist Shenzhen eine moderne Metropole mit mehr als 13 Millionen Einwohnern, die fast genauso schnell wächst wie Shanghai. Sie ist die Stadt mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen in China (ohne Hongkong und Macau). Tragsäule der lokalen Wirtschaft ist die Elektronik- und Telekommunikationsindustrie, aber auch künstlerische, kunsthandwerkliche Betriebe und Produktionen finden sich in dieser Gegend.

 

 

Zwischen vielen Hügeln in Küstennähe gelegen, war das Gebäude der ehemaligen Honghua Färberei eines der ersten Wohnquartiere für den damals einsetzenden Schwung der neuen Arbeitskräfte, die, nach der Öffnung der chinesischen Politik in Richtung Industrialisierung, hierher gebracht wurden. Die Anlage befindet sich in einem acht Hektar großen Waldstück in der Nähe des Südchinesischen Meeres. Die Renovierung der Gebäude – die am ehesten dem Brutalismus zuzuordnen sind – erfolgte durch eine Initiative des ‚iD TOWN International Arts District‘ (siehe Kasten). Das chinesische Architekturbüro O-office erhielt den Auftrag, einen Teil zu einer modernen Jugendherberge umzubauen. Die Revitalisierung verlief in zwei planerischen und ausführungstechnischen Schritten: Zuerst wurden die Hauptkorridore mit den infrastrukturellen Notwendigkeiten für die zu errichtenden Wohneinheiten versehen. Dann brachte man an der Fassade eine Reihe von vorgefertigten, stählernen Rahmen an, um dem existierenden Stahlbetonbau einen modernen Touch zu verpassen.

Das grundsätzliche Aussehen und die Tragstrukturen des Bauwerkes blieben unverändert. Auch die rauen, gealterten Oberflächen des Betons wurden (zumindest an der Außenseite) erhalten. Indem die Architekten Elemente aus dunklem Stahl und bunt gefärbte Glasscheiben verwendeten, erzielten Sie mit minimalsten Interventionen eine wesentliche Imageänderung und öffentlichkeitswirksame Verbesserung. In den Obergeschossen sind die Rahmen der vor den jeweiligen Zimmern angebrachten Metallboxen durchgehend rechteckig. Sie sind mit einem perforierten Sonnen- und Lichtschutz versehen und in ihrer seriellen Wirkung repräsentieren sie sehr schön den Charakter der Herberge. Im Erdgeschoss wurden die vorgesetzten Stahlrahmen tiefer und in unregelmäßiger Form ausgebildet. Sie erhielten Farbglasscheiben und geben so interessante Einblicke in die diversen Innen- und Gemeinschaftsräume. Die transluzenten Farbflächen stehen in einem vibrierenden Kontrast zu den grauen und durch zahlreiche Rostspuren der Bewehrungseisen übersäten Betonflächen. Diese Elemente sorgen auch für eine gewisse dynamische Verbindung des Gebäudes mit der Umgebung und Natur.

 

 

Die Flächen des Erdgeschosses sind für eine soziale und multifunktionale Nutzung vorgesehen. Rezeption, Café, eine offene Küche und Gemeinschaftsräume befinden sich hier. Durch eine sehr sensible Veränderung der Originalstruktur mittels – teilweise – transparenter Trennungen ist diese Handvoll von Funktionen dynamisch miteinander verbunden. Große Glasscheiben teilen den Raum und ermöglichen verschiedene Nutzungen ohne den großzügigen Grundriss der ehemaligen Färberei zu zerstören. Die Flächen der Betonböden in den öffentlichen Bereichen wurden einfach nur aufpoliert und bekamen so einen neuen Glanz.

Die Wohneinheiten, die sich vom zweiten bis zum vierten Obergeschoss erstrecken, sind ebenfalls nur durch minimale Änderungen der Originalsubstanz zu voll funktionsfähigen Gästezimmern verwandelt und so wieder zum Leben erweckt worden. Hier sind die Böden mit neuen modernen und großformatigen Fliesen belegt, Wände einfach neu, in verschiedenen Farbtönen gestrichen und moderne Möbel wurden verwendet. Die Eingänge zu den jeweiligen Zimmern referieren mit der Außenfassade: Dieselben dunkeln Stahlrahmen und ein Muster aus farbigen Glasscheiben bewirken eine freundliche, jugendgerechte Atmosphäre. Somit hat der alte, ruinöse Stahlbetonbau der Färberei einen neuen Look und Funktionalität und dadurch auch eine neue Perspektive erhalten.

 

 

Youthhostel of iD Town

Shenzhen, China

Bauherr: MJH Group Co. Ltd
Planung: O-office Architects
Statik: Qiyao LUO
Grundstücksfläche: 2.032 m2
Bebaute Fläche: 875 m2
Nutzfläche: 2.032 m2
Planungsbeginn: 08/2013
Bauzeit: 05/2013 – 11/2014
Fertigstellung: 12/2014
Baukosten: 5,14 Mio. Euro

 

iD TOWN International Artists Workshop

‚iD TOWN International Arts District‘ ist eine Organisation im Bereich des architektonischen Erbes der in der ehemaligen Industriezone Shenzhen gelegenen und 1989 errichteten, Honghua Druckerei und Textilfärberei. Im Osten von Shenzhen gelegen, ca. 50 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, ist das Gelände von einem Hügelland umgeben und nur einen Kilometer vom ‚Guanhu Village Beach‘ entfernt. Der iD Town International Artists Workshop lädt internationale Künstler und Designer ein, stellt ihnen Unterkunft und Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung. Indem Menschen aus verschiedenen Nationalitäten zusammengebracht werden, erhofft man sich eine Stärkung der Region und einen ‚cross-cultural‘ Austausch im Feld der zeitgenössischen Kunst.

 

Text: Peter Reischer / Fotos: Chaos Ztang

 

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Kategorie: Projekte