Scheich Zayed Brücke – Zara Hadid
In der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate arbeitet seit einigen Jahren eine Handvoll internationaler Stararchitekten im Auftrag des Königshauses daran, das Stadtbild von Grund auf zu verändern. Darunter auch die Grande Dame der zeitgenössischen Architektur: Zaha Hadid. Nach mehr als 14 Jahren Bauzeit ist kürzlich die von ihr gestaltete Scheich-Zayed-Brücke eröffnet worden, das erste einer ganzen Reihe von Prestigeprojekten, die der aufstrebenden Jungstadt am Arabischen Golf eine Zukunft nach dem Öl sichern sollen.
Der Weg nach Abu Dhabi – auf der einen Seite flankiert von einer futuristischen Brücke, auf der anderen von einer strahlend weißen Marmormoschee im üppig orientalischen Stil – beide benannt nach dem legendären Gründervater der Nation, Scheich Zayed bin Sultan Al Nahyan. So präsentiert sich die Stadt den Besuchern auf den ersten Blick als ein Spannungsfeld zwischen Tradition und Fortschritt. Hinter dieser Brücke, das erkennt man gleich, steckt mehr als bloße Infrastrukturerweiterung. Sechs geschwungene Träger schlingen sich in kraftvollen Bögen in und um zwei jeweils vierspurige Fahrbahnen.
So entsteht ein kontinuierlicher Spannungsbogen, der der Konstruktion eine straffe, schwerelose Anmut verleiht. Die energischen Linien wirken zugleich vertraut und doch vage außerirdisch; hier trifft innovative Bautechnik auf die Zeitlosigkeit natürlicher Formen. So futuristisch und verwegen sie wirken mögen, die wellenförmigen, am höchsten Punkt an die 70 Meter hohen Stahlträger der Scheich-Zayed-Brücke sind einem der wohl gängigsten Sinnbilder der Golfregion nachempfunden: den sanft geschwungenen Sanddünen der umliegenden Wüste.
„Bei jedem unserer Projekte untersuchen wir zuerst die Landschaft, die Topografie und die Zirkulation des Baugeländes. Dann zeichnen wir gewisse Verbindungslinien mit dem örtlichen Umfeld und Bewegungslinien, die aus diesen Untersuchungen hervorgehen. Diese Linien liegen unserem Design zugrunde“, erklärt Zaha Hadid den Gestaltungsprozess ihres Teams. Die wogenförmige Silhouette deutet Bewegung an, sodass der Eindruck
entsteht, die Brücke ziehe das Festland hinaus Richtung Insel. Ab Sonnenuntergang lässt das dramatische Beleuchtungsdesign von Arup Lighting und Hollands Licht die Brücke noch eine Stufe unwirklicher erscheinen.
Während das „Rückgrat“ der Brücke in 13 wechselnde Farbszenarien getaucht wird, erscheinen auf der Unterseite der Fahrbahnen monochrome Lichtzellen. An hohen islamischen Feiertagen wird die Beleuchtung der Scheich-Zayed-Brücke mit dem Lichtspiel der prunkvollen, gleichnamigen Moschee synchronisiert.
Nicht nur Hadids Hang zur Theatralik, auch ihrer Vorliebe für strukturell komplexe Projekte wurde hier viel Spielraum gelassen. Die durchaus typische Folge: verpasste Fristen und schier endlose Verzögerungen.
Ursprünglich hätte der Bau schon 2006 fertig sein sollen, doch das eigenwillige Dünendesign stellte sich als so anspruchsvoll heraus, dass es die Statiker mehrere Jahre kostete, die Umsetzung auszutüfteln. Einen Fertigstellungstermin nach dem anderen ließ man stillschweigend verstreichen, und eine Zeit lang kursierte sogar das Gerücht, das Projekt sei aufgrund von Baufehlern eingestellt worden. In den letzten Jahren mussten bereits Teile der älteren Bausubstanz erneuert werden. „Es war unheimlich spannend, an einem solchen Projekt zu arbeiten, aber wir haben auch darunter gelitten“, begeistert sich Ingenieur Sinan Makki, ein Landsmann Hadids, der bereits seit 1999 an der Brücke arbeitet. „Man kann diese Brücke mit keiner anderen Brücke der Welt vergleichen, Vieles mussten wir sozusagen erst erfinden, und einige Planänderungen kosteten uns viel Zeit.“
Auch das harsche Klima machte dem Trupp zu schaffen: Im Sommer sind die Arbeitsbedingungen extrem, mit Temperaturen bis zu 50 Grad im Schatten, hoher Luftfeuchtigkeit und glühheißen Oberflächen. Im Sommer musste Beton mit reichlich Abbindeverzögerern gemischt werden, da er aufgrund der Hitze sonst zu schnell erhärtet wäre. Trotzdem scheint Makki zufrieden: „Diese Brücke ist kompliziert, sie ist schwierig, aber sie ist wunderschön.“
Hadid spricht gerne und oft von dem „symbiotischen“ Verhältnis zwischen Architekten und kreativen Ingenieuren: „Unser Bestreben flüssige, dynamische und daher komplexe Strukturen zu kreieren, wird von technologischen Innovationen unterstützt, und dieses Wissen im Brückenbau anwenden zu können ist ein sehr produktiver Prozess. Um das flüssige Dünenkonzept umzusetzen, war es extrem wichtig, dass die Bögen und Pfeiler eine durchgehende, flüssige Struktur bilden, die voll integriert und ununterbrochen st. Gelenkverbindungen sind bei Brücken besonders wichtig, also wie die Brücke an ihren Stützen befestigt ist und wie thermale oder andere Bewegungen stattfinden können, ohne Strukturschäden zu verursachen. Die Ingenieure vom verantwortlichen Statikbüro High-Point Rendel haben auch das Gelenkarrangement sehr erfolgreich gelöst.“
Bei der Gestaltung der Scheich-Zayed-Brücke ließ Hadid auch Erinnerungen an ihre Kindheit im Irak einfließen: „Wie an so vielen Orten in Entwicklungsländern zu dieser Zeit, gab es einen ungebrochenen Glauben an den Fortschritt, und es herrschte großer Optimismus. Wenn man auf diese Zeit zurückblickt, war es ein Moment der Staatsbildung, und es wurde viel auf Architektur gesetzt. Es war ein ähnlicher Moment, wie er im letzten Jahrzehnt in der ganzen arabischen Welt stattgefunden hat. Es hat eine Umschichtung gegeben, die man als erneuerten Stolz in die arabische Identität beschreiben könnte, und es ist wichtig, dass Abu Dhabi diese Botschaft des Optimismus für die arabische Welt transportiert.“ Es ist eine Botschaft, von der Abu Dhabi selbst während der Krise nicht abließ. Schätzungen zufolge wird sich die Stadtbevölkerung in den kommenden 20 Jahren verdreifachen, was die Regierung dazu bewogen hat, einen Masterplan namens Abu Dhabi 2030 herauszugeben. Denn Abu Dhabi soll nicht nur schnell, sondern auch gezielt wachsen: In den nächsten Jahren soll die Stadt vom chaotischen Ballungszentrum zur gepflegten, umweltfreundlichen Kulturhauptstadt des Mittleren Ostens aufsteigen. Architektur soll in dieser Entwicklung eine zentrale Rolle spielen, und Abu Dhabi hat gleich ein ganzes Geschwader von Koryphäen am Start: Neben Hadid sind zurzeit auch Jean Nouvel, Frank Gehry, Norman Foster und Tadao Ando hier am Werk.
So gesehen erfüllt die Scheich-Zayed-Brücke eine gefinkelte Doppelrolle in Sachen Stadtplanung: Dringend notwendige Infrastrukturerweiterung und Zahnrad im Getriebe des aufkeimenden Kulturtourismus. Denn eines Tages, in etwa 90 Jahren, wird die hiesige Wirtschaft ohne Erdöl auskommen müssen. Doch anders als Dubai, wo man im Tourismus auf pompöse Shopping- und Unterhaltungstempel setzt, will Abu Dhabi in Zukunft kulturaffine Besucher aus aller Welt anlocken. Die Stadt setzt ihr Ölgeld vergleichsweise durchdacht ein und scheint von den Fehlern des extravaganten Nachbarn gelernt zu haben. Nichtsdestotrotz wirken Abu Dhabis Pläne hoch gestochen: Auf Saadiyat Island (übersetzt: Insel des Glücks) wird ein eigens angelegtes Kulturviertel aus dem Wüstensand gestampft, bis 2014 wird hier unter anderem ein Außenposten des Louvre, ein Guggenheim-Museum, ein Konzerthaus, ein Aquarium und ein Nationalmuseum gebaut.
Geschmackvoller als Dubai? Mit Sicherheit. Realistischer? Man darf gespannt sein.
Kategorie: Projekte