Urbane Transformationsmaschine – Tingbjerg Library

24. Januar 2019 Mehr

Tingbjerg Library and Culture House / Kopenhagen / COBE

Stadt, Urbanität bedeuten auch Leben, Kommunikation und Interaktion. Und Identifikationspunkte im städtischen Gefüge lassen sich am leichtesten durch Kultur bilden. So bildet auch die Architektur der neuen Tingbjerg Library mit dem angeschlossenen Kulturhaus einen sozialen und kulturellen Anziehungspunkt für alle Altersgruppen der Kopenhagener Nachbarschaft Tingbjerg. Vom dänischen Architekturbüro COBE entworfen, setzt sie ein deutliches Signal für eine urbane Transformation – weg vom Wohngetto zum pulsierenden Treffpunkt. Sie ist das Resultat einer Zusammenarbeit der Stadt Kopenhagen mit den Wohnbauträgern fsb und SAB sowie dem Architekturbüro.

 

Tingbjerg-Library

In einem von architekturhistorisch wichtiger Substanz geprägten Stadtteil von Kopenhagen haben die COBE Architekten eine neue Bibliothek errichtet. Sie hat Anschluss an die bestehende Schule und ihr Design nimmt auf den Kontext der Umgebung und die Wünsche seiner Bewohner Bezug. Die Architektur soll allerdings soziale und kulturelle Wirkungen bis ins Zentrum der Stadt entfalten.

 

Der Bau wurde am 1. Oktober 2018 eröffnet und stellt eine Neuinterpretation des dänischen Modernismus dar, eine weitere Landmark in der dänischen Architekturlandschaft. Beim Entwurf haben die Architekten viele der Anregungen aus der Nachbarschaft berücksichtigt, um auch für die Bewohner ein Zentrum im Herzen der Gegend zu schaffen. Sie betrachteten den Bau als einen Katalysator gleichermaßen wie als architektonischen Rahmen für soziale und kulturelle Aktivitäten. Ebenso stellt er eine positive, optimistische Entwicklung in dem – bis dato eher marginalisierten – Gebiet mit einer hohen Kriminalitätsrate dar. Aber eben auch einen architektonischen Eckpfeiler des dänischen Modernismus.

In Anbetracht der in Tingbjerg reichen Architekturhistorie lag die Latte für COBE sehr hoch. Das Ziel war, ein neues Zentrum zu schaffen aber gleichzeitig die Umgebung, den Kontext in Materialwahl und Form zu respektieren. Die Fassade der Architektur bringt bereits ihren Inhalt an die Außenseite und stellt die diversesten Aktivitäten der Nutzer für Außenstehende zur Schau. Sie lädt die Menschen ein, hineinzugehen, während sie gleichzeitig Sicherheit vermittelt und sich auch aus dem einzigartigen Charakter der Umgebung entwickelt. Die zur Straße gerichtete Seite scheint – mit ihren unregelmäßig verteilten, offenen und geschlossenen Flächen – wie ein überdimensionales Bücherregal. Die anderen Seiten und auch die Dachansicht erwecken durch die feinen Lamellen, die den gesamten Körper überziehen, Assoziationen zu leicht aufgefächerten Büchern mit ihren immer gleichen Seiten.

 

Tingbjerg-Library

Holz an den Wänden, Holzlamellen als Referenz zur Außenfassade – alles trägt zu einer warmen und wohnlichen Innenraumatmsophäre bei.

 

Der Körper wurde als ein langer, keilförmiger Teil entwickelt und ist an seiner schmälsten Stelle nur 1,5 Meter breit. Er besitzt eine Verbindung zur – im Hintergrund liegenden – Schule, hier neigt sich sein Dach hinunter bis zum Schuleingang. Durch die Glasfassade an seiner „großen“ Seite können die Aktivitäten in seinem Inneren gelesen werden, wie in einem Buch. Oder besser, wie in einem alten, hochkant gestellten Setzkasten. Tatsächlich haben sich die Architekten bei dieser Gestaltung auch von dem Bild eines Setzkastens inspirieren lassen. Das Prinzip, Hunderte der verschiedensten Aktivitäten der Gebäudenutzer in den multifunktionalen Räumen nach außen zu kommunizieren, ist klar lesbar. Klassen, Workshops, Vorlesungen, Musikveranstaltungen – all das animiert die Nachbarschaft zur Teilhabe.

Im Herz der großen Keilform bildet sich ein offenes Foyer, es erweitert seine Dreidimensionalität in das Gebäude hinein als verbindender Raumteil. Die wechselnden Ebenen mit Nischen, Verbindungsstiegen und Durchblicken sind als eine Reminiszenz an ein kleines Bergdorf, das sich an einem Hügel ausdehnt, zu verstehen. Dieser Entwurfsgedanke ermöglicht in seiner räumlichen Ausführung den Nutzern, entweder nur zu beobachten oder sich an Aktivitäten zu beteiligen. Man kann so aber auch einen ruhigen Platz in irgendeiner Nische finden, um sich in Ruhe in ein gutes Buch zu vertiefen.

 

Tingbjerg-Library

Die Offenheit der Architektur drückt sich auch in der Öffnung des Erdgeschosses zum öffentlichen Raum aus. Die Sichtverbindung schafft Attraktion.

 

Alles in dieser Architektur ist von Robustheit, Flexibilität und Nutzerbezogenheit definiert. Das drückt sich auch in der Wahl der Materialien aus, die Architekten haben nur solche gewählt, die auch in der Nachbarschaft zu finden sind. Die Fassadenverkleidungen mit den gelben Ziegelbaguetten und auch die Dachflächen mit ihren Neigungen sind eine Hommage an die Umgebung. Im Inneren der keilförmigen Bibliothek findet man, als Analogie zur Außenhaut Holzlamellen aus Sperrholz. Hier sind alle Außenflächen samt Dachuntersicht mit Lamellen als lückenlose (bis auf Fensteröffnungen) Hülle ausgeführt. Brüstungen, Stiegengeländer etc. sind komplett mit Sperrholzplatten bedeckt und so entsteht auch eine warme Raumatmosphäre. Dieser Dialog der Holzlatten im Inneren und der Ziegelstreifen an der Außenseite ist sehr wichtig für die Möglichkeit der Identitätsfindung im Quartier. Man ist innen und außen gleichzeitig.

Die Tingbjerg Library soll eine soziale und kulturelle Maschine werden, die aus den Wünschen der Bewohner entstanden ist und eine Anziehungskraft bis ins Zentrum von Kopenhagen entwickeln soll.

 

 

Tingbjerg Library and Culture House

Kopenhagen, Dänermark

 

Bauherr : The City of Copenhagen und fsb und SAB

Planung: COBE

Statik: Søren Jensen

Grundstücksfläche: 1.500 m2

Planungsbeginn: 2013

Bauzeit: 2015 – 2018

Fertigstellung: 2018

 

Tingbjerg-Library-

 

Tingbjerg wurde in den Jahren 1950 bis 1972 von Architekt Steen Eiler Rasmussen und dem Landschaftsarchitekten Carl Theodor Sørensen erbaut – zwei sehr prominenten Vertretern des dänischen Modernismus. Das Konzept für die Gemeinschaft war, eine visionäre, moderne Nachbarschaft im Nordwesten Kopenhagens zu errichten. Mit eigener Schule, Kirche, Fußgängerzone, Einkaufszentrum und Wohnbebauung. Alles sollte aus warmen gelben Ziegeln errichtet werden und von ausreichend Grün zur Erholung umgeben sein. Als ein Gegenpol zur – damals – verstopften Stadt mit oft unzureichenden sanitären Bedingungen. Seither hat die Reputation von Tingbjerg stark abgenommen und sie steht auf der sogenannten „Gettoliste“ der dänischen Regierung, obwohl es als Grundpfeiler moderner, dänischer Architektur und Stadtplanung gilt.

 

Text: ©Peter Reischer

Fotos:©Rasmus Hjortshøj – COAST.

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Kategorie: Projekte