Horizon Field. Architektur, Kunst und Raum
Conversation of Art and Architecture. Er zählt sicherlich zu den Ausnahmeerscheinungen auf dem Gebiet der (raum)bildenden Kunst: Sir Antony Gormley ist ein englischer Künstler und Bildhauer. Seine bekannteste Plastik ist der übergroße ‚Angel of the North‘ bei Gateshead, Tyne and Wear, England.
Am 12. Jänner 2016 hielt Sir Antony Gormley zusammen mit Sven-Olov Wallenstein (Autor von ‚Biopolitics and the emergence of modern architecture‘) die sogenannte ‚Sliver Lecture‘ an der ‚Angewandten‘ in Wien. Nach einem kleinen Diavortrag mit einigen der wichtigsten Arbeiten Gormleys, bei der klar gezeigt wurde, wie sehr Plastik, Architektur und Raum verschmelzen können und welche – nicht geahnten – Beziehungen da stattfinden, fand dann ein interessantes Gespräch zwischen den beiden statt. Wenn man nun weiß, dass der 1950 in London geborene Gormley, drei Jahre in Indien eine spezielle Meditationstechnik erlernte und erst danach sein Kunststudium am Central Saint Martins College of Art and Design und am Goldsmiths, University of London abschloss, werden viele seiner in der Arbeit manifestierten Gedanken und Haltungen leichter verständlich.
Ein großer Teil seiner Arbeiten befasst sich mit dem menschlichen Körper. In Österreich ist sicherlich das Projekt ‚Horizon Field‘ (2012), das er mit dem Kunsthaus-Bregenz realisiert hat, am bekanntesten. Es besteht aus einhundert lebensgroßen Abgüssen eines menschlichen Körpers aus massivem Gusseisen, die – über ein Gebiet von 150 Quadratkilometer verteilt – eine horizontale Linie auf 2.039 Metern über dem Meeresspiegel bilden. Horizon Field stellt grundlegende Fragen: Wer sind wir, was sind wir, wo kommen wir her und wohin führt unser Weg? Bei diesem, wie auch bei seinen Arbeiten im urbanen Kontext wie in Hongkong (‘Event Horizon‘) 2015/16 geht er weit über die Suche nach formalästhetischen Ausdrücken hinaus. Er reduziert den Menschen im Raum auf eine Spur (traces in space). Im Vortrag nannte Gormley es den ‚Zeropoint‘ und liefert seine Figuren damit der modernen Wahrnehmung von Kunst im Raum und in der Architektur aus. In Hongkong sind 31 Skulpturen über die Stadt verteilt, vier sind am Boden und 27 auf diversen Gebäuden, darunter auch eine auf dem 185 Meter hohen Standard Chartered Bank Building, einem Skyscraper in Hongkongs zentralem Finanzbezirk. Wie bei der Akupunktur sind diese kleinen Nadeln in den kollektiven Körper der Stadt gesteckt und bilden ein Netzwerk. Genauso, wie wir im Universum einige Dinge nie erblicken werden, weil ihr Licht uns nicht erreichen wird, gibt es hier und dort einige punktuelle (menschliche) Figuren, die vom jeweiligen Standpunkt aus unsichtbar sind und bleiben.
Aber die Spuren (auf der Suche nach den Anderen) und Verbindungen zwischen den einzelnen Punkten bilden auch einen Raum. Gormley arbeitet da in Anlehnung an den ‚hodologischen Raum‘ (nach Otto Friedrich Bollnow). Das Verhältnis zwischen Einzelfigur und Serie, zwischen Architektur und Naturraum und zwischen den Faktoren Bewegung und Zeit – bestimmen seine Arbeiten. Damit geht auch immer der kühne Versuch einher, Kunst und Natur in einen Zustand der Empathie zu überführen.
Die ‚traces in space‘ hält er für wesentlich, nicht nur für eine Interpretation, sondern für evident, forensisch bewiesen, für einen Moment der gelebten Zeit des menschlichen Individuums. Auf die Frage, ob das nicht den endgültigen Abschied unseres westlichen Denkens über die Welt, eines Denkens, das sich ja nur auf Effizienz und Maximierung beschränkt, antwortete er: „Ich denke, die Effizienz des Pragmatismus, der sich nur auf sich selbst bezieht, ist wahrscheinlich nur attraktiv für den Kapitalismus. Das ist ein ethisches Problem.“
Antony Gormleys Werke und Projekte
Gormley gibt mit seinen landschaftsbezogenen Arbeiten auch den radikalen Ansätzen der Landart der 60er und 70er Jahre eine neue Dimension, eine Weiterentwicklung und befreit sie von der Sockelkunst der musealen Darstellung, die ja nur in, von ästhetischen Gesetzen determinierten Räumen der Museen und Galerien stattfindet: Er stellt sie in den öffentlichen Raum der Stadt oder in die Natur, er macht sie zugänglich für alle: „Kunst alleine ist nichts, Kunst muss geteilt werden!“
Ganz unkritisch sind seine Arbeiten natürlich nicht, allerdings ist die Ebene der Kritik nicht leicht zugänglich. Sie ist von den offensichtlichen Dingen, von der einfachen Weltsicht distanziert aber dafür umso treffender. Ein Hinweis auf die immer schneller zur Neige gehenden Ressourcen der Erde ist da nicht zu übersehen. Auch dass manche Figuren in Natur oder urbanem Raum kleine ‚frankensteinsche Dübel‘ oder Eingussöffnungen aufweisen, lässt auf eine kritische Wahrnehmung der menschlichen Konditionierung mit Blick auf seine angestrebte Optimierung schließen.
Viele seiner Projekte sind auch im eher architektonischen Innenraum angesiedelt und versuchen eine neue Wahrnehmung des Raumes beim Rezipienten zu erreichen. Dieser Aspekt wurde im Gespräch durch den Philosophen Wallenstein mit den Thesen von August Schmarsow (1853 bis 1936, deutscher Kunsthistoriker) ergänzt. Dieser sah einen viel weiter gefassten Begriff des Raumes und der Körperhaftigkeit. An die Stelle des persönlichen Selbstgefühls und Raumgefühls tritt bei ihm „das Gefühl der Verwandtschaft mit dem All […] und öffnet das endlose Reich der schweifenden Bewegung, […] bis an die Grenzen des Horizontes, wie nur der Blick unsrer Augen uns tragen will.“
Sir Antony Gormley im Gespräch mit architektur-online!
Herr Gormley, wenn Sie von der Ausdehnung (extension) des menschlichen Körpers im Raum, in der Architektur sprechen – denken Sie da auch an Kirchenräume?
Absolut, ja! Man kann nicht an gotische Architektur denken, ohne sie als Einladung zum Verstehen ihres Potenzials zu betrachten.
Warum muss in den meisten Fällen die Kunst und die Skulptur auf die Architektur reagieren und nicht umgekehrt?
Architektur ist immer in Verbindung mit Macht. Es passiert dann eben, dass die Architektur ein Unterhändler, Handlanger der Macht wird. Die Durchführung, die Pragmatik versus das Bauen einer Ikone sind die zwei Spannungsfelder der Architektur. Das Resultat ist, dass das ganze räumliche Potenzial der Architektur verloren geht.
Worin sehen Sie als Künstler das Problem unserer Zeit?
Der größte Fehler war die industrielle Revolution. Das Unglück der menschlichen Population ist die Überproduktion, die Erfindung der Getreidespeicher und der Armeen. Der Verlust des nachhaltigen Lebens.
Text: Peter Reischer
Fotos: ©Sir Antony Gormley