Die Prüfpflicht der Baubehörde
Haftet die Baubehörde, wenn sie eine Baubewilligung auf Basis des Landes-Baugesetzes erteilt, für nachträglich notwendige Umbauarbeiten auf Grund von Arbeitnehmerschutz-Vorschriften? Muss sie ein Projekt auf Konformität mit allen öffentlich-rechtlichen Vorschriften überprüfen oder ist die Prüfpflicht auf die Vorschriften des (jeweiligen) Landes-Baugesetzes beschränkt?
DER SACHVERHALT (vereinfacht)
Nachdem ein Bürgermeister die Baubewilligung zum Betrieb eines Seniorenheimes erteilt hatte erfolgte die Bauausführung entsprechend
den Einreichplänen. Nach Erteilung der Benützungsbewilligung stellte ein Vertreter des Arbeitsinspektorats fest, dass die im Keller befindliche Betriebsküche über keine Sichtverbindung Ins Freie verfügte und die Raumhöhe der Arbeitsstättenverordnung widersprach. Aus diesen Gründen erteilte das Arbeitsinspektorat keine Genehmigung für die Fortführung des Küchenbetriebs.
Verantwortlich dafür wurde der Architekt gemacht, worauf er seine Haftpflichtversicherung in Anspruch nahm.
Die Haftpflichtversicherung klagte die Gemeinde aus Amtshaftung auf € 58.000,- (Kosten des erforderlichen Umbaus der Betriebsküche).
Sie argumentierte, dass sowohl die zu geringe Raumhöhe als auch die mangelnde Sichtverbindung Ins Freie aus dem Einreichplan ersichtlich gewesen sei. Damit wäre es an der Baubehörde gelegen, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften – auch jener der Arbeitsstättenverordnung – zu prüfen und die Baubewilligung nicht zu erteilen. Dass das Baurecht Landesund der Arbeitnehmerschutz Bundessache sei, sei irrelevant, da das Bauverfahren in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde falle und diese dabei sowohl an Gesetze des Bundes als auch des Landes gebunden sei.
Die Gemeinde wendete ein, dass die Baubehörde verpflichtet sei, ein Bauansuchen zu genehmigen, wenn es den Vorschriften des Baugesetzes (im konkreten Fall: Steiermärkisches Baugesetz) entspreche. Mit einer Baubewilligung werde jedoch keine Aussage darüber getroffen, ob das Projekt sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspreche.
Arbeitnehmerschutz falle nicht in den Kompetenzbereich der Baubehörde, daher habe sie auch nicht die Möglichkeit, arbeitnehmerschutzrechtliche Aspekte in ein Baubewilligungsverfahren einzubeziehen.
Das Erstgericht wies die Klage der Versicherung ab und stellte folgendes fest: Der im Einreichplan als Küche bezeichnete Raum weist vier Fenster auf, die in Lichtschächte führen.
Aus dem Plan lässt sich entnehmen, dass von der Küche keine Sichtverbindung ins Freie, sondern nur auf die Lichtschächte besteht. Die Glasfläche umfasst dabei nur etwa 2,03% der Bodenfläche. Die Raumhöhe im Kellergeschoß beträgt laut Plan 2,60 m. Das Arbeitsinspektorat ist rechtzeitig zur Bauverhandlung geladen worden, hat jedoch keinen Vertreter zur Verhandlung geschickt. Auch der Baubewilligungsbescheid ist dem Arbeitsinspektorat zugestellt worden.
Rechtlich sah das Erstgericht kein Fehlverhalten der Gemeindeorgane und begründete dies folgendermaßen: Die Baubehörde muss ein Bauansuchen bewilligen, wenn die nach dem Stmk. BauG für die Genehmigung erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Prüfpflicht der Baubehörde beschränkt sich dabei auf die Prüfung der Übereinstimmung des Bauvorhabens mit den Bestimmungen des Steiermärkisches Baugesetzes. Ob das Vorhaben sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspreche, sei von der Baubehörde nicht zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht war derselben Ansicht und bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes.
AUS DEN ENTSCHEIDUNGSGRÜNDEN DES OGH
Den Zweck eines Bauverfahrens sieht der OGH grundlegend darin, die Allgemeinheit vor Gefahren zu bewahren, die mit der Ausführung von Bauten verbunden sind. Gleichzeitig hält der OGH fest, dass ein Bauwerber grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass eine rechtskräftig erteilte Baugenehmigung nicht wegen Widerspruchs zu anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften beseitigt und ihm dadurch ein Schaden zugefügt wird.
Im konkreten Fall schließt sich der OGH der Meinung von Erst- und Berufungsgericht an und lehnt die Forderung der Versicherung auf Grund folgender Überlegungen ab: Gemäß § 29 Abs.1 Stmk. BauG muss die Baubehörde einem Ansuchen mit schriftlichem Bescheid stattgeben, wenn die nach diesem Gesetz für die Bewilligung geforderten Voraussetzungen erfüllt sind. Das Gesetz beschränke schon seinem Wortlaut gemäß die Baubehörde auf die Prüfung, ob ein Verstoß gegen baurechtliche Bestimmungen vorliegt. Eine Bedachtnahme auf Arbeitnehmerschutzbestimmungen sieht das Steiermärkische Baugesetz indes nicht vor.
Ein Bauwerber darf nach Erhalt einer Baubewilligung demnach ausschließlich darauf vertrauen, dass die Baubehörde sein Vorhaben in baurechtlicher Hinsicht für zulässig erklärt hat.
Dem Umstand, dass die Mitberücksichtigung kompetenzfremder Interessen im Baugenehmigungsverfahren – wenngleich ohne rechtliche
Verpflichtung – geboten erscheint, wurde nach dem OGH dadurch Rechnung getragen, dass ein Vertreter des Arbeitsinspektorats zur Bauverhandlung geladen und der Bewilligungsbescheid diesem zugestellt wurde.
PRAKTISCHE FOLGEN
Aus der besprochenen Entscheidung lässt sich die Haftungsgrenze der Baubehörde für Schadenersatzforderungen im Zusammenhang mit einer erteilten Baubewilligung eindeutig herauslesen. Klar kommt hervor, dass die Baubehörde erster Instanz nur das entsprechende Landes-Baugesetz anzuwenden und dafür zu haften hat.
Bei erteilter Bewilligung genießt der Bauherr zwar einen Vertrauensschutz, jedoch nur in Bezug auf die Vorschriften des – wie im konkreten Fall – Steiermärkischen Baugesetzes. Er hat jedoch nicht die Gewähr, dass sonstige für das Projekt relevante Rechtsnormen überprüft und mit dem Bauverfahren genehmigt werden.
Die Feststellung und entsprechende Umsetzung weiterer Regelungen (wie z.B. Arbeitsstättenverordnung) obliegt dem Bauherrn und damit seinem Planer. Dieser hat alle für ein Projekt einzuhaltenden Normen festzustellen und sie in seiner Planung zu berücksichtigen. Übersieht er dabei eine Vorschrift, kann es zu Schadenersatzansprüchen des Bauherrn kommen, die der Architekt bzw. seine Haftpflichtversicherung nicht auf die Baubehörde überwälzen können.
OGH 1 Ob 64/08f vom 16.09.2009
Dipl.-Ing. Dr.techn. Dr.iur. Nikolaus Thaller
Zivilingenieur für Bauwesen (r)
Kategorie: Bau & Recht