Der Albtraum – Beton über der Atomruine

1. Oktober 2019 Mehr

Der Albtraum – Beton über der Atomruine

Atomruine – Als 1986 der Super GAU, der größte anzunehmende Unfall in der ukrainischen Kleinstadt Tschernobyl passierte, wurden weite Teile der heutigen Staaten Ukraine, Weißrussland und Russland, aber auch von Ost- und Westeuropa sowie Skandinavien kontaminiert. Die damals in kürzester Zeit errichtete Schutzhülle aus Beton über der Atomruine von Block 4 war nach 10 Jahren bereits brüchig, einsturzgefährdet und sollte mit einer weiteren Hülle umgeben werden. Über 25 Jahre arbeitete man an der Entwicklung dieser Lösung.

 

Atomruine Schutzhülle Tschernobyl

 

Sie besteht nun aus einer 86.000 Quadratmeter großen, bogenförmigen Schutzhülle aus Edelstahl Rostfrei, die jetzt endlich, über 30 Jahre nach der Katastrophe, fertiggestellt ist. Die Konstruktion der New Safe Confinement (NSC) genannten Ummantelung erinnert an einen Flugzeughangar und spannt sich bogenförmig über den zerstörten Reaktorblock und Betonsarkophag. Entsprechend gigantisch sind ihre Abmessungen: 257 Meter breit, 150 Meter lang und bis zu 105 Meter hoch. Sie setzt sich aus zwei Teilbögen zusammen. Ein Fachwerk aus Stahlrohren, die von zwei längs verlaufenden Betonträgern gestützt werden, formt den Rahmen dieses Bogens. Seine mehrschichtige Verkleidung aus Edelstahlblechen, Kunststoffmembranen und Isolierschichten soll verhindern, dass Regen oder Schnee in den neuen Sarkophag eindringen und zuverlässigen Schutz gegen radioaktive Emissionen bieten. So muss sie trotz ihrer gigantischen Größe erdbebenfest sein und Windsogkräften der Tornadoklasse 3 – also Windgeschwindigkeiten bis zu 340 Stundenkilometern – standhalten.

Die Außenhülle besteht aus rund 700 Tonnen nichtrostendem Edelstahlblech der Güte 1.4404, das mit 0,5 Millimeter Blechdicke als Stehfalzsystem verarbeitet wurde. 500 Tonnen 0,5 Millimeter dicker Edelstahl in der Legierung 1.4301 bilden die Innenschale als Paneelsystem. Aus Strahlenschutzgründen wurden alle Profile und Paneele auf mobilen Produktionseinheiten in Containern vor Ort in Tschernobyl hergestellt und verarbeitet. So wurden allein 4.800 Bahnen Blech aus Edelstahl zu 30 Zentimeter breiten und bis zu 100 Meter langen Streifen geschnitten und durch Spezialmaschinen mit dem Stahlrohrrahmen mechanisch verbunden. Über drei Millionen Spezialschrauben aus demselben Material kamen dabei zum Einsatz. Neben ihrer werkstoffbedingten Beständigkeit sprach die Effizienz der Montage für die vier Zentimeter langen Bohrschrauben aus Chrom-Nickel-Stahl mit Bohrspitze aus gehärtetem Stahl und einem Dichtring aus Gummi. In nur einem Arbeitsschritt bohrten sie die benötigten Löcher, schnitten die Gewinde und verschraubten die Bauteile zugleich dicht miteinander.

 

Atomruine Schutzhülle Tschernobyl

 

Die Hülle wiegt 29.000 Tonnen – dreimal so viel wie der Eiffelturm. Anders als diese berühmte, über 100 Jahre alte Stahlkonstruktion in Paris kann der neue Sarkophag für den Unglücks-Reaktor aus Strahlenschutzgründen jedoch nicht alle sieben Jahre mit Korrosionsschutz gestrichen werden. Deshalb erhielt er ein aufwendiges Belüftungssystem, das computergesteuert die Korrosion verhindern soll. Zwischen der Innen- und Außenschale befindet sich ein 13 Meter tiefer Raum, in dem die Luftfeuchtigkeit konstant unter 40 Prozent gehalten werden soll. Dafür zirkulieren in ihm mit leichtem Überdruck 45.000 Kubikmeter Luft pro Stunde. Eine konstante Temperaturdifferenz – die Luft im Zwischenraum wird stets auf drei Grad Celsius höher erwärmt als die Luft in der gesamten Schutzhülle – beugt der Kondensation vor.

 

Atomruine Schutzhülle Tschernobyl

 

Fotos: ©WZV / Kalzip GmbH

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Kategorie: Magazin