Alles auf die Bühne bitte!

9. April 2015 Mehr

 

Was hat eine Kaisersemmel mit Superar zu tun, was ist überhaupt Superar? Nun, beides hat zuerst einmal mit der berühmten Ankerbrotfabrik in der Absberggasse in Wien zu tun. Die Ersteren wurden mehr als ein Jahrhundert lang dort hergestellt, und der zweite Begriff bezeichnet eine europäische Initiative für mehr Musik und Tanz im täglichen Leben von Kindern und jungen Menschen. Träger der Initiative sind das Wiener Konzerthaus, die Wiener Sängerknaben und die Caritas der Erzdiözese Wien. Superar bietet hochwertigen Unterricht, der Begeisterung weckt und zu Leistung anspornt. Superar engagiert sich für Chancengleichheit, ein respektvolles Zusammenleben und gesellschaftliche Integration und seit Oktober 2014 ist der Verein mit seinem räumlichen Zentrum in der ehemaligen Ankerbrotfabrik beheimatet.

16 Monate lang dauerte der Umbau des Objektes 19 in der Brotfabrik durch die Architekten Freimüller Söllinger Architektur ZT GmbH mit Planet Architects. Der architektonische Entwurf für die Umbau- und Revitalisierungsarbeiten wurde von ihnen – nach dem 2012 gewonnenen Gestaltungswettbewerb – realisiert. Dabei wurde dem industriellen Charme des Bestandsgebäudes (manchmal vermeint man noch die Mehlsäcke zu erahnen und den Geruch der erwähnten Kaisersemmel zu verspüren) viel Respekt entgegengebracht und neue Elemente behutsam und zurückhaltend eingefügt. Die ehemalige Fabrik ist in ihrer Schönheit belassen und mit Neuem gestärkt.

 

 

Eine neue Innentreppe mit einem großen Deckenloch verbindet das Wohn- und Eingangsfoyer mit den darüberliegenden Proberäumen von Superar. Die weitere vertikale Erschließung erfolgt über zwei der alten Stiegenhäuser, links und rechts des Objektes. Natürlich kann man durch die Stiegenhäuser auch ins Erdgeschoss gelangen, somit dient der Deckendurchbruch eigentlich nur der verstärkten Kommunikation und Vermischung zwischen öffentlichen und halböffentlichen Bereichen. Eine weitere Erschließungsmöglichkeit stellt ein vor das Objekt 19 gestelltes Treppengerüst mit Plattformen dar. Dieses bietet zusätzliche Raumerweiterungs- und Kommunikationsflächen für den spontanen Austausch auf allen Ebenen. Die Stahltreppe mit den vorgelagerten Balkonen lädt zum Verweilen, Kommunizieren und Präsentieren ein. Sie wird von der Bevölkerung, den Akteuren und Besuchern bespielt und genutzt.

Der Haupteingang in die Räume erfolgt über den Hofbereich der Ankerbrotfabrik. Da das gesamte Objekt als bespielte und zu bespielende „Bühne“ zu verstehen ist, steigert ein zweiter Eingang (sozusagen der Bühneneingang), als informeller Zugang über die dahinterliegende Puchsbaumgasse das Zugehörigkeitsgefühl der Akteure und Besucher mit der umgebenden Stadt. Der im Erdgeschoss befindliche Schanigarten und die raumhohen Verglasungen bringen Licht und Leben in die angrenzende Puchsbaumgasse. Sie dienen als Vermittler zwischen dem Stadtquartier und der „Bühne“.

Ein flexibles, offenes Gebäude wurde geschaffen und durch den Einzug der verschiedenen Akteure zum Pulsieren gebracht. Im großen Saal des dritten Geschosses – dem Herz des Projektes – präsentieren Kinder und Jugendliche hier Gelerntes. Die flexibel gestaltete Bühneneinrichtung erlaubt multifunktionale Nutzungen für Tanz, Gesang, Orchester und Konzert sowie Galadinners. Vor allem die Akustik in diesem, immer noch vom spröden industriellen Charme dominierten, Raum ist ein Erlebnis.

 

Akustik

Ähnlich dem Schuhschachtelprinzip, das bei fast allen Konzertsälen (auch im Wiener Musikverein) angewendet wird, handelt es sich um einen längs gerichteten Raum. Die Bühne ist explizit auf die Rückwand des Raumes ausgerichtet. Hinter der Bühne befindet sich eine frei stehende (Schallentkopplung) gefaltete Trockenbauwand, an der Saalrückseite eine gelochte, schallabsorbierende Vorsatzschale und an den Decken absorbierende Dämmplatten (Heradesign). Auch die Sesselschalen wurden vollständig bepolstert, damit auch bei Proben eine ähnliche akustische Situation wie bei Konzerten herrscht.
Das Schallenergieverhalten ist ähnlich einer Zylinderwelle, d. h. die Schallenergie wird durch den Raum bzw. entlang der längs gerichteten Wände geleitet und am rückwärtigen Portal absorbiert. Das wiederum bewirkt, dass sich der Zuhörer (im Publikumsbereich) zum größten Teil im Direktschallfeld befindet und der Diffusfeldanteil sehr gering ist. Dieser Umstand gewährleistet eine sehr gute Hörsamkeit des Raumes bzw. die spezielle Akustik.

 

 

Der Raum wurde akustisch sowohl für nicht verstärkte als auch für elektroakustisch verstärkte Wiedergaben optimiert. Es gibt eine Körperschallentkopplung im Bodenbereich für die Subwoofer zur Vermeidung von störenden Subsonic-Frequenzen durch eine Trennfuge im Estrich zwischen dem Bereich, in dem die Subwoofer positioniert sind und dem übrigen Saal. Auf den Estrich legte man dann noch Schaltafeln – ähnlich dem Prinzip eines Tanzbodens. Die Nachhallzeiten sowie das Reflexionsverhalten des Raumes wurden gezielt für die Primärnutzung – musikalische Darbietung von Kindern – ausgelegt.

Und natürlich musste das ganze Projekt bei der MA36 Veranstaltungswesen eingereicht und dort um Veranstaltungsstätteneignungsprüfung angesucht werden. Sowohl die Rollstuhlfahrer geeignete Bestuhlung, Fluchtwegkonzeption, Nutzungsbeschreibung, Öffnungszeiten, Notstromversorgung des Aufzugs für Notfahrten, Sicherheitsbeleuchtung und der Nachweis durch eine lärmschutztechnische Untersuchung, dass die Anrainer der nächstgelegenen Wohnanlage und auch im Nachbarobjekt nicht gestört werden.

 

Details

Jedoch auch auf allen anderen Ebenen kann der aufmerksame Besucher immer wieder interessante Details entdecken. Behutsam wurden die bestehenden Oberflächen geschützt, gereinigt und konserviert. Alles neu hinzugefügte folgt einem strengen Material- und eigens erstellten Farbcode (siehe Grafik). Sämtliche Wandeinbauten sind so gesetzt, dass die wunderschöne alte statische Konstruktion spürbar und klar erkennbar blieb. Die Installationen wurden sorgfältig „Aufputz“ geführt, sie folgen der Ordnung des Bestandes. Viele der ehemals verfliesten Flächen sind von fehlenden Stücken gekennzeichnet. Hier ergeben sich Möglichkeiten, im Lauf der Zeit persönliche Spuren und Veränderungen vorzunehmen. Nach dem Prinzip: Das alte Haus lebt! (rp)

 

Text: Peter Reischer / Fotos: fsA (A. Ehrenreich), Superar, Andreas Laser

 

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Kategorie: Projekte