Wohnen in der Seestadt – Seeparkquartier
Ensemble im Seeparkquartier / Wien / Freimüller-Söllinger Architektur ZT-GmbH
Seestadt im Seeparkquartier
Das Ensemble im Seeparkquartier zeichnet sich in der Entwicklung der Hüllen und Kubaturen durch eine differenzierte Höhenstaffelung und vor- und rückspringende Baukörper, um eine Ablesbarkeit der Gliederung zu erzielen, aus.
Prolog
Es ist ein langer Weg in das Seeparkquartier, ca. 55 Minuten benötigt man zum Beispiel von Meidling in die neue Stadt am anderen Ende von Wien. Während der Reise mit den Öffis durch mehrere Bezirke Wiens fährt man auch im 22.sten an der von Roland Rainer erbauten Siedlung in der Tamariskengasse vorbei. Von der U-Bahn blickt man direkt hinunter auf dieses Wohnparadies. In jenem Konzept eines verdichteten Flachbaus gibt es 232 Wohnungen mit über 20.000 m2
Wohnfläche auf 3,8 ha Baugrund. Die Siedlung ist weiß verputzt mit weißen Holzfenstern und Holztüren. Jede Wohneinheit hat ihren eigenen Wohnhof bzw. Garten mit Ausmaßen von 25 bis 60 m2, der durch unverputzte Betonmauern von den öffentlichen Bereichen abgegrenzt ist, was den nötigen Intimbereich für die einzelnen Mieter schafft. Man fährt weiter und dann kommt die Seestadt:
Die Seestadt Aspern ist ein in Bau befindlicher Stadtteil im 22. Wiener Gemeindebezirk, Donaustadt und eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas der 2010er Jahre. Über einen Zeitraum von rund 20 Jahren soll ein neuer Stadtteil entstehen, 10.500 Wohnungen sollen Platz für über 20.000 Menschen bieten. Beworben wird die Seestadt allerorts mit großen Plakaten und ebenso großen Worten: 150 Unternehmen, große wie kleine Betriebe, Start-ups und Traditionsunternehmen, Einzelhändler, EPUs und Industriekonzerne sollen sich dort ansiedeln oder es bereits getan haben.
Beim Verlassen der Endstation der U2 fährt einem zuerst der eisige Wind in die Glieder, trotz der 20 Grad in der Sonne unter blauem Himmel ist es ausgesprochen ungemütlich. Ich treffe im Schatten des HoHo, des 85 Meter hohen Holzhochhauses (der gar nicht aus Holz ist, sondern einen riesigen Stahlbetonkern hat) Architektin Regina Freimüller-Söllinger. Auf einer der vielen Plakatwände erklärt sie mir die Struktur der Stadt und das Konzept für den weiteren Ausbau: Dieses ist beängstigend in seiner Geplantheit.
Vom beworbenen „lebendigen, urbanen Ort“ ist noch wenig zu spüren. Die einmal städtisch sein sollenden Räume, Straßen, Plätze etc. sind derart überdimensioniert, dass die paar Menschlein verloren wirken. 10 Meter breite Gehsteige schaffen keine Möglichkeit für Begegnung, für Kommunikation. Wohnen findet in den eher gesichtslosen und anonym wirkenden Wohnbauten, von denen es genügend gibt, statt. Die Architektur ist „bemüht“, das merkt man ihr an, aber sie kann den Mangel an städtischen Qualitäten (Kleinteiligkeit, Vielfalt, Rückzugsorte, Schutz) nicht ausgleichen. Es wirkt ein bisschen wie in einem Endzeitfilm, in dem die Menschen bereits Mangelware sind. In dieser „geplanten“ Stadt spürt man, wie die wichtigsten Kriterien für Stadt nicht vorhanden sind, bzw. vernachlässigt werden. Aufgrund der Überdimensionierung des öffentlichen Raumes geht das Gefühl für den hodologischen Raum verloren, der Mensch wird zum Objekt, fast zur Stadtmöblierung. Er erscheint genauso geplant wie die einzelnen Quartiere.
Das Baufeld J12 liegt im zentral gelegenen Areal südlich des Sees, dem „Seeparkquartier“, in dem sich die Funktionen des Lebens und Arbeitens konzentrieren (sollen). Das Baufeld gliedert sich in drei Bauteile, die sich um einen, begrünten Innenhof gruppieren. Sie bestehen aus einem Wohngebäude, einem Wohnheim und einem oberirdischen Parkdeck. Städtebauliches Ziel der Architektin war es, den Spielraum für einen lebendigen Mix aus Büros, Dienstleistungseinrichtungen, Bildung und Forschung sowie Wohnen offen zu halten. Neben der Belebung der Sockelzone durch unterschiedliche Nutzungen ist die strukturelle Vorsorge von großer Relevanz, sie soll zukünftige Nutzungsänderungen in den neu geschaffenen Räumen ermöglichen. Diese Flexibilität verlängert dann auch den Lebenszyklus der Gebäude und damit auch deren ökonomische und ökologische Bilanz.
Die Kubaturen
Das maximal erlaubte, baubare Volumen wurde zugunsten einer differenzierten Höhenstaffelung, Ablesbarkeit der einzelnen Gebäude und einer großzügigen grünen unversiegelten Mitte mit Freiraumbezug zur intimen städtischen Straße im Osten nicht zur Gänze ausgeschöpft. Architektin Freimüller stellte sich damit klar gegen den Gedanken der Profitmaximierung.
Die Akzentuierung der Hochpunkte und die Raumecken charakterisieren die öffentlichen Räume. Einerseits bildet das Gebäudevolumen die Raumkanten des Baufeldes ab, damit die Straßenzüge und Freiräume die notwendigen Abschlüsse und Ausweitungen erhalten. Andererseits wird es in einzeln ablesbare, klar getrennte Baukörper gegliedert (vertikal vor-, und rückspringende Gebäudekanten), um eine städtische Kleinteiligkeit und Differenziertheit zu schaffen. Jede Einzelfläche des Gesamtbaukörpers erfüllt eine bestimmte Aufgabe im übergeordneten städtebaulichen Setting. Die Öffnung der Bebauung ist so gesetzt, dass in der östlichen Stichstraße die grüne Hofoase in Erscheinung treten kann.
Die grüne Hofoase des Seeparkquartiers als gemeinschaftlicher Freiraum stellt einen „urbanen Salon“ dar. Er ist frei von ober- und unterirdischen Einbauten und kann damit der Versickerung des Oberflächenwassers dienen.
Grün im Inneren
Die Hofoase des Seeparkquartiers liegt im Innenhof des Bauplatzes und ist als unversiegelter, mit vielen Bäumen natürlich gestalteter Bereich mit hohem Grünanteil konzipiert. Als Kontrast zur unmittelbar angrenzenden urbanen Umgebung wurde der Bauplatz auch landschaftlich gestaltet. So entstehen ein angenehmes Mikroklima und ein gemeinschaftlicher Freiraum im Inneren der Anlage – er kann von allen BewohnerInnen genutzt werden. Die, durch Geschosszahl, Fassade und Höhenstaffelung unterschiedlich ausformulierten, Volumina erzeugen Abwechslung, Spannung und auch Zonierungen im Freiraum. Die Öffnung zur Gasse im Osten verbindet den Hof mit dem öffentlichen Raum. Entlang der Fassade schafft ein Ring aus hohen Gräsern und Stauden, einen Puffer zur Fassade. Angrenzend liegt die Zone „Rasenfläche mit hochstämmigen Gehölzen“. Die Rasenfläche kann als Bewegungs- und Aufenthaltsraum unter den Bäumen genutzt werden. Einzelne Holzliegen runden das Angebot ab. Als Inseln in der Belagsfläche aus der wassergebundenen Wegdecke sind der Kinder- und Jugendspielplatz situiert.
Der Wohnbau
Da man den Gebrauch von Fahrrädern unterstützen wollte, verfügen sowohl das Wohnhaus/Stadthäuser als auch das Wohnheim über entsprechend großzügige Sammelräume für Fahrräder – sie sind bequem über Rampen erreichbar. Der Platz und die Allee sollen durch viele Eingänge zu öffentlichkeitswirksamen, nutzungsoffenen Räumen (Lobby, Waschsalon, Studios, Ateliers, Dienstleistung, Geschäfte, Gastro etc.) belebt werden. Interessant sind die Durchblicke, die sich bei jedem Stiegenhaus vom Außenraum und der Straße in den grünen Innenhof ergeben.
Im Äußeren sind die Baukörper aufeinander abgestimmt, in Grau gehalten und mit der Schmuckfarbe weiß. Die Fassaden gehen – im Gegensatz zu den meisten anderen Wohnbauten – bis zur Erdoberfläche und sind nicht in Glasfronten aufgelöst. Das Ensemble als ein großes Ganzes ist in seinen Innenräumen ganz unterschiedlich ausformuliert, um eigenständige Identitäten zu erzeugen.
Durch ein leichtes Verschieben der einzelnen Baukörper zueinander und eine Höhenstaffelung entstehen sechs aneinandergereihte Einzelhäuser. Insgesamt sind es 71 Einheiten unterschiedlicher Größen von 40 m²
bis 80 m² mit optimiertem Flächenverbrauch. Ihr Inneres besticht durch die Kleinteiligkeit in den einzelnen Stiegenhausgemeinschaften. Es bietet sich Identität und Zugehörigkeit, sowie eine hohe Wohnqualität für die NutzerInnen. Jede Wohnung hat einen privaten Freiraum, zur Fußgängerzone hin sind Loggien, zum grünen Hof hin Balkone, zu den Dächern Terrassen angeordnet. Eine ökologische und nachhaltige Bauweise stand im Vordergrund. Deshalb hat der Stahlbetonskelettbau im gesamten Baukomplex (außer der Garage) eine Erdgeschosshöhe von 4 Metern und im ersten Obergeschoss eine Raumhöhe von 2,80 Metern für die Möglichkeit der Nutzungsänderung in Büroräume. Die 4 Meter im Erdgeschoss bieten eine Vielfalt an Nutzungen wie Wohnen, Dienstleistungen, Büros, Geschäfte und Studios. Bei der Fassade wird durch Öffnungen – verglast oder offen für die Loggien – eine Lebendigkeit mittels unterschiedlich großer Verglasungselemente erreicht.
Das Wohnheim für Studierende umfasst 290 Heimplätze und nimmt die prominente Ecklage am Bauplatz ein. Wohnungen sind hier in Duplex- und Einzeleinheiten mit Größen von 38 m² und 25 m² aufgeteilt. Als Fassade gibt es hier eine Lochfassade mit raumhohen Fenstertürelementen samt Außenläden.
Eine Garage oder mehr?
Die Marktgarage beim Seeparkquartier, ein Parkhaus für 321 Stellplätze, wird über eine Seitenstraße der Sonnenallee erschlossen und liegt an der Ecke Sonnenallee und westliche Straße, an der auch die Einfahrt angeordnet ist. Die zweigeschossigen Bögen mit einer Tiefe von 6 m entlang den Straßen mit ihren eigenen Zugängen stellen tolle Räumlichkeiten für multifunktionale Nutzungen dar, welche auch zu Galeriegeschossen ausgebaut werden können. Im Sinne der Nachhaltigkeit und Veränderbarkeit der Anforderungen soll die derzeitige Garage leicht in ein hybrides Gebäude umgewandelt werden können und folgenden Nutzungsmix erlauben: Büros, Markt, Studios, Geschäfte, Parken, Kraftwerk, Mobilitätshub.
An den Straßenfronten im Erdgeschoss ist eine Raumhöhe von 6 m gegeben, um eben Galeriegeschosse in den Bögen zu ermöglichen. Die Obergeschosse haben eine Raumhöhe von 2,8 m, um eine Umnutzung in Büros zu gewährleisten.
Die Marktgarage des Seeparkquartier besitzt einen kommunizierenden Rand und mit einer Raumhöhe von sechs Meter nist sie für den Selbstausbau einer zweiten Ebene vorgesehen.
Epilog
Nach der Besichtigung des Baufeldes J12 des Seeparkquartiers mit seinen wirklich überzeugenden Lösungen – vor allem der Hof drückt in seiner Maßstäblichkeit eine positive Atmosphäre aus und die Durchblicke durch die Stiegenhäuser fördern sicherlich die Kommunikation und die Gemeinschaft – fanden wir ein geöffnetes Lokal, flüchteten in die Wärme und führten (auszugsweise) folgendes Gespräch:
Frau Architektin Freimüller-Söllinger, denken Frauen als Architekten anders als Männer, speziell beim Wohnen?
Nein, das glaube ich nicht. Es hat jeder Architekt eine eigene Agenda, wie er Wohnraum anlegt. Ich habe bei diesem Projekt zum Beispiel gelernt, bei neuen Projekten nur mehr Loggienbalkone zu machen, keine reinen Balkone mehr. Ich will den Gegensatz von Privatheit zur Öffentlichkeit stärker ausformulieren. Hier ging es auch um den Footprint, da hätten die Loggien das Volumen vergrößert.
Aber die Frau sollte doch eigentlich eher für das Wohnen, für die Gemütlichkeit und das Herdfeuer (Hestia, griech. Mythologie) zuständig sein?
Da bin ich viel zu viel Städtebauer!
Wie stehen Sie zum Begriff der „Smartwohnung“?
Nicht positiv! Der Begriff Smartwohnung wird meist auf die Verkleinerung der Wohnungsgrößen bei gleichbleibender Zimmeranzahl reduziert. Abstellräume werden zu Abstellnischen. Diese Wohnungen erlauben es, die Miete geringer zu halten, weil die Nutzfläche kleiner ist. Sie bietet eine kleinere Wohnqualität und sorgt auch für Überbelegungen. Das wiederum schafft Aggressionspotenzial. Es ist auch die teuerste Wohnform, denn das Geld kosten die Küche, WC und das Bad und das braucht auch die kleinste Wohnung. Das Vorzimmer wird dann – wegen des Normenwahnsinns und der Barrierefreiheit – fast größer als die Zimmer.
Also sehen Sie einen Reformbedarf bei den Gesetzen und Verordnungen für den Wohnbau?
Ja natürlich, und zwar dringend. Auch dieser Sondermüllwahnsinn an den Fassaden, der gehört als Erstes reduziert.
Die erhöhten Raumhöhen für das Erdgeschoss (4 Meter) und die Geschosshöhen (2,8 Meter) sollten zum Standard werden ,um Nutzungsvielfalt zu erlauben. Hier müsste man die Bauordnung anpassen.
Wie haben Sie es geschafft, bei ihrem Projekt die nicht maximale Ausnützung des Bauvolumens zu realisieren?
Zähe Verhandlungen und geschickte Grundrisslösungen, um weniger Kubatur zu benötigen.
Was bedeutet Work/Life Maisonette*?
Arbeiten und Wohnen gemeinsam. Das Homeoffice ist bereits Realität und diese Lösung schafft Möglichkeiten. Es kann nicht nur ein Zimmer zum Arbeiten in der Wohnung sein, man sollte auch das Gefühl haben, arbeiten zu gehen, obwohl man in der Wohnung ist. Deshalb die zweite Ebene im Maisonettestil mit einem zusätzlichen Eingang.
Haben Sie auch „shared spaces“ verwendet?
Das ist beim frei finanzierten Wohnbau, bei diesem Bauherrn nicht möglich gewesen.
Das Wohn-/Studentenheim hat natürlich auf allen Ebenen gemeinsam nutzbare Freiräume verteilt.
Wie sieht die Energieeffizienz der Architektur aus?
Die aspern 3420 hat ganz strenge Vorgaben für die Bauökologie (Kennwerte, Materialien etc…), das wird aber nur, weil sie das beim Verkauf der Grundstücke vorgeschrieben haben, realisiert, denke ich. Freiwillig machen das die Bauherrn nicht. Eine bessere Bauökologie ist teuer und wird aufgrund des Kostendruckes oft nicht freiwillig ausgeführt.
Wie sehen Sie die Zukunft des Wohnbaus in Wien?
Wir lernen bei jedem Projekt dazu. Ich will eigentlich nur noch den Skelettbau für Wohnbauten haben, weil er eine Flexibilität im Ausbau ermöglicht. Wünschenswert ist auch wieder mehr Spielraum bei den Wohnungsgrößen und Raumhöhen, um Nutzungsvielfalt zu ermöglichen.
Lieben Sie als Architektin das Seeparkquartier?
Das Seeparkquartier hat mehr Potenzial als das schon gebaute Quartier, weil hier der Städtebau lebendiger ist und mehr Spielraum zulässt. Die Aufenthaltsqualität wird hier höher sein, städtischer, auch weil das Quartier mehr Nutzungsvielfalt haben wird.
Diese Räume hier suggerieren Stadt zu sein, sind es aber nicht. Für die Entwicklung der nördlichen Seestadt haben wir einen Vorschlag unterbreitet, diese Freihaltezone an den Straßen gefühlt kleiner zu machen und zu Aneignungsflächen für die Bewohner zu widmen. Dann wird eine Lebendigkeit entstehen.
… und als Mensch?
Ich komme nur zu den Baubesprechungen, also nur für die Arbeit hierher!
Ensemble im Seeparkquartier
Wien, Österreich
Bauherr: Wohnbauvereinigung GFW Gemeinnützige GmbH, Erste ÖSW Wohnbauträger GmbH, Aspern J12 Entwicklungs- und Verwertungs GmbH
Planung: Freimüller-Söllinger Architektur ZT GmbH
Mitarbeiter: Mag. Arch. Umbrasaite, DI G. Fassl, DI A. Ehrenreich, DI M. Eder
Statik: KS Ingenieure ZT GmbH
Projektentw., GP, ÖBA: WGA ZT GmbH
Freiraum: Carla Lo Landschaftsarchitektur
Grundstücksfläche: 6.988 m2
Nutzfläche: 20.400 m2
Planungsbeginn: 06/2015
Bauzeit: 2 Jahre
Fertigstellung: 04/2018
Baukosten: 25,56 Mio. Euro netto
Fotos:© A. Ehrenreich
Text:©Peter Reischer
Kategorie: Projekte