Taiwan High Speed Rail Station
“Wer Realität will, soll mit der Bahn fahren.”
Wenn man sich international in der Wirklichkeit neuer Bahnhöfe, Brücken und Verkehrsknoten umschaut, findet man Bauten, die weit mehr als ihre Funktion erfüllen und sich durch ihr expressives Äußeres nicht nur in die urbane Landschaft eingliedern, sondern diese auch visuell aufwerten. Sie sind nicht mehr mit den sterilen, rein auf ihre Funktion begrenzten Transitbereichen zu vergleichen.
Zum Beispiel in Taiwan: Der Hochgeschwindigkeitszug High Speed Rail (HSR) des Landes verbindet die größten Städte und ermöglicht das Reisen von Taipeh im Norden bis Kaohsiung im Süden in ca. 90 Minuten (für 345 km). Der Zug, der mit dem deutschen ICE oder dem französischen TGV vergleichbar ist, erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von bis zu 350 km/h. Seit Anfang 2007 ist die Strecke in Betrieb, deren Bau eine Herausforderung war. Zur Sicherung gegen die rund 30.000 jährlich in Taiwan registrierten Erdbeben wurde die Strecke an vielen Stellen bis zu 100 m tief im Boden verankert. Die Gesamtkosten der Strecke belaufen sich auf circa 13,8 Milliarden Euro. Und manche der Bahnstationen bieten ein durchaus sehenswertes Design. Die beiden hier vorgestellten Projekte haben ziemlich unterschiedliche Anmutungen, sind aber beide vom Anspruch der Perfektion geprägt. Es zeigt sich, dass Verkehrsbauten mittlerweile ein wesentlicher Teil der Infrastruktur unserer Zivilisation und der Städte sind: Sie werden immer aufwendiger und kreativer gestaltet und tragen auch manchmal zu einem Erlebnis bei, „wenn einer eine Reise tut“.
Changhua Station
Die Gegend um die Stadt Tianzhong (der Name bedeutet „In den Feldern“) ist von Landwirtschaft, wogenden Reisfeldern und – in den letzten Jahren – von riesigen Blumenplantagen geprägt. Der Bezirk Changhua wurde zum Paradies für Floristen aus der ganzen Welt mit einer stetig wachsenden Szene von Ausstellungen und Messen. Der Entwurf der THSR (Taiwan High Speed Rail) Changhua Station von KRIS YAO | ARTECH nimmt das Florale als Motiv für die Gestaltung auf. Mittlerweile wurde die Architektur zu einem Wahrzeichen in der Region, die damit auch selbstbewusst ihre einzigartigen Merkmale nach außen trägt und zeigt.
Das Design der Station und die damit verbundenen Raum- und Landschaftsgestaltungen schaffen eine verwobene Szene von Blumen, Vegetation und Wegen, von innen und außen, alles in einem menschlichen Maßstab. Den ersten Eindruck des Gebäudes erhält man schon bei der Annäherung. Das Innere der Station verlängert sich durch riesige Glaspaneele in den Außenraum. Die Glasflächen bieten ununterbrochene Blickachsen von außen auf üppig wachsende Palmen und Grünpflanzen im Inneren und von innen bietet sich ein Ausblick bis zur Stadt Tianzhong. So können Reisende und Besucher gleichermaßen den Anblick der Fruchtbarkeit und das Grün des Planeten Erde genießen.
Die lichte, leichte und elegante Ästhetik des Baus, die sich an der Einfachheit der Pflanzen und Blüten orientiert, bietet sowohl statische Sicherheit in der Konstruktion, wie auch eine gewisse Gestik. In der großen Halle ragen, an Blütenkelche erinnernde, geschwungene Säulen zur Decke, über Dach setzen sie sich in pyramidalen Formen – eine Referenz an ungeschälten Reis – fort.
Durch Öffnungen in diesen Pyramiden können Luft und Sonnenlicht in das Innere strömen. Einzig die kleine kreisförmige Uhr vor der Halle wirkt angesichts der Geschwindigkeit und des Zeitflusses, welche in dieser Architektur immanent sind, anachronistisch.
Taiwan High Speed Rail Changhua Station
Tianzhong Township, Taiwan
Bauherr: Taiwan High Speed Rail Corporation
Planung: KRIS YAO | ARTECH
Statik: Federal Engineering Consultants, Ltd.
Nutzfläche: 22,174 m2
Planungsbeginn: 2007
Bauzeit: 2012 – 2015
Fertigstellung: 2015
Baukosten: 45,1 Mio. Euro
Fotos: ©Photographie Yueh-Lun Tsai
Yunlin Station
Eine weitere Landmark an der Strecke ist die ebenfalls 2015 eröffnete THSR Yunlin Station an der nördlichen Spitze der Jianan Ebene. Sie erleichtert den regionalen Verkehr und verstärkt durch Ihre Architektur die lokale Identität. Der Name Yunlin bedeutet „Wolken und Wald“ und um diesem Anspruch zu entsprechen, haben KRIS YAO | ARTECH die Phrase „leicht wie eine Wolke und dicht wie ein Wald“ als Ausgangspunkt ihres Entwurfs gewählt. Das Design baut auf sanft mäandernden Säulenkolonnaden im Außenbereich bis zu kaskadenförmig abgetreppten Deckenflächen und einem kompakten, stromlinienförmigen Stationsraum. Hier ist durch Struktur, Raster und Material die Geschwindigkeit, aber auch die Coolness und Hektik spürbar. Zu einer diesen Stationen innewohnenden Unpersönlichkeit tragen auch die verwendeten Materialien (Glas und Stahl) bei.
Um Umweltziele zu erreichen, hat man bei der Konstruktion auf große Spannweiten und Leichtigkeit gesetzt. Ein modulares Bausystem verringerte die Beeinträchtigung des laufenden Bahnverkehrs beim Bau der Station. Die Träger mit großen Spannweiten an der äußeren Kolonnade schaffen einen säulenfreien Raum als Pufferzone für größere Menschenmengen. Gleichzeitig dienen die Säulen als Sonnenschutz.
Die Low-E Verglasung an den Außenseiten gewährt ausreichend Tageslicht durch die Zwischenräume der Dachflächen für das Innere der Station. Der Raum der Halle wirkt hell, leicht und filigran, alle Fahrkartenschalter, Informationsstände, Shops und Wartebereiche befinden sich im Erdgeschoss. Abreisende Passagiere bewegen sich im Herz des Bauwerkes drei Geschosse nach oben zu den Bahnsteigen und den Zügen.
Taiwan High Speed Rail Yunlin Station
Huwei Township, Taiwan
Bauherr: Taiwan High Speed Rail Corporation
Planung: KRIS YAO | ARTECH
Statik: Federal Engineering Consultants, Ltd.
Nutzfläche: 20,177.5 m2
Planungsbeginn: 2007
Bauzeit: 2007 – 2015
Fertigstellung: 2015
Baukosten: 44,2 Mio. Euro
Fotos:© Photography Shwan Liu
Text: rp