Die flexible Wohnkapsel – Architektur der Zukunft?
Die flexible Wohnkapsel – die Architektur der Zukunft?
Der sparsame Umgang mit dem Raum ist ein neuer, wichtiger Trend in der Architektur. Viele Planer sehen es als ihre Aufgabe an, nachhaltige und vor allem platzsparende Lösungen für das Koexistieren des Menschen mit seiner Umwelt zu finden. Auch steht die Architektur heute vor der Herausforderung, Bauten zu entwerfen, die sich wechselnden Temperaturen und Witterungsbedingungen anpassen. Nicht nur hierzulande sorgt der Klimawandel für unvorhersehbare Wetterphänomene. Folgende Beispiele zeigen, wie sich kompakte Wohnformen auf knappem Raum realisieren lassen und dabei trotzdem Lebensqualität bieten.
Das Haus aus dem Drucker
Mit einem tragbaren Roboter schafften es die Planer von Arup und CLS Architetti, ein Haus im 3D-Druckverfahren in weniger als einer Woche herzustellen. Präsentiert wurde das 3D Housing 05 auf der Milan Design Week 2019.
Es steht auf dem Piazza Cesare Beccaria in Mailand mit einer Wohnfläche von 100 m2 und setzt sich aus 35 Modulen zusammen. Geschwungene Wände umschließen ein Wohnzimmer, eine Küche, ein Schlaf- und ein Badezimmer. Der Bau selbst besteht aus einer Mischung aus Beton mit speziellen Zusätzen. Ein Stapel aus sauber verarbeiteten Schichten bildet das Mauerwerk. Die Wände wurden vom Roboter wie Zahnpasta aus der Maschine gedrückt. Das Ergebnis kann sich aber sehen lassen – die daraus entstandene Struktur ist formgebend und verleiht dem Haus Individualität. Nur 48 Stunden dauerte der Aufbau des Gebäudes, wobei die Konstruktion eines Mauersegments nur eine Stunde in Anspruch nahm. Nicht im Druckverfahren hergestellt wurden Bestandteile wie Fenster und Türen.
Der Innenraum ist eine Mischung aus Moderne und Minimalismus. Vergoldete und glänzende Oberflächen samt glatten Steinmöbeln bilden einen ansehnlichen Kontrast zu den mattweißen, rauen Wänden. Diese umschließen die Räume kreisförmig und bilden dadurch eine heimelige, schützende Hülle. Derzeit ist das Mailänder Haus aus dem 3D-Druck noch ein Prototyp. Die Architekten wollen die Technik derart weiterentwickeln, dass das Konzept bald in Serie geht. Mit ihrem Konstrukt zeigen die Planer eine Alternative zum traditionellen Bau auf. Auch die Herstellung von Möbeln ist mit dieser Methode möglich.
Foto:©Luca Rotondo
Ein Pavillon für jede Klimazone
Den Prototyp für ein modulares Haus, das sich für eine Vielzahl an Standorten und Klimazonen eignet, entwarf die slowenische Firma OFIS Arhitekti. Der Bau besteht aus mehreren Modulen, die sich variabel zusammensetzen lassen. Sie können beispielsweise vertikal übereinander oder horizontal angeordnet werden – damit passt sich der Wohnbau dem Terrain und den Witterungsbedingungen an. Das Gebäude kann unter anderem als permanenter oder auch als temporärer Wohn- und Aufenthaltsraum genutzt werden. Die Basis-Einheit ist 2,5 Meter breit, 4,5 Meter lang und 2,7 Meter hoch. Sie bietet ausreichend Platz für ein Bett, eine Küche und ein Bad. Beim Prototyp verfügt die Einheit über einen hölzernen Rahmen, wobei das Material je nach Einsatzgebiet austauschbar ist. Auch das Innere der Module besteht fast vollständig aus Holz. Die Einrichtung ist funktional und bietet ausreichend Möglichkeiten zur Personalisierung. Doch auch in Bezug auf die Bausubstanz sind Erweiterungen und Anpassungen möglich.
Die Module fallen auf. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt der satte Schwarzton mit der konischen Struktur. Diese Mischung macht es zu einer Landmarke – ganz gleich, ob es sich im urbanen oder ländlichen Raum befindet. Quadratische Fenster an beiden Seiten gewähren Blicke auf die Umgebung. Die Basis ist mit dem flächenmäßig größten Fenster versehen, welches die Vorderseite fast zur Gänze ausfüllt. Ansonsten sind sie bewusst klein gehalten, um eine Überhitzung der Module zu verhindern. In seiner horizontalen Ausrichtung ist das modulare Haus platzsparend. Der sparsame Umgang mit dem Raum trifft den Zahn der Zeit. Die Module, die allesamt aus erneuerbaren Rohstoffen bestehen, fügen sich nahtlos in ihre Umgebung ein und bieten trotzdem Lebensqualität. In Ljubljana ist „The Cabin“ derzeit als temporäre Bibliothek im Einsatz.
Fotos:©Janez Marincic
Im Einklang mit der Natur
Ein Rückzugsort inmitten der Natur ist die kompakte Wohnkapsel Lumipod der Entwickler Lumicene. Die Bewohner haben in ihr die Gelegenheit, Komfort auf kompaktem Raum zu genießen. Eine große Glasfront mit fünf Metern Durchmesser bildet das Herzstück der Hütte. Der Bereich lässt sich öffnen und sorgt für das Verschwimmen von Innen- und Außenbereich – die Natur wird damit zum Wohnzimmer. Ist Privatsphäre gewünscht, können die Bewohner die Fenster auch ganz verschließen und sich von der Außenwelt abschirmen.
Foto:©oxygen
Der Grundriss der Hütte ist ein simpler Kreis mit einem Durchmesser von nur 5,45 Meter. Auf einer Fläche von 17 m² mit einer Höhe von 3,25 Meter wird den Bewohnern alles zur Verfügung gestellt, was sie für einen kurzen, komfortablen Aufenthalt brauchen. In der Kapsel befinden sich Schlafzimmer, Toilette und Dusche. Da die Unterseite des Gebäudes den Untergrund nur punktuell (vier Sockel) belastet, wird dieser nicht beeinträchtigt und die Wiese bleibt fast frei von Druckstellen.
Außenwände aus dezent gefärbtem Holz verleihen der Hütte ein natürliches Aussehen. Beim Innenraum beschränkten sich die Designer ebenfalls auf das Wesentliche. Jeder Bereich hat eine Funktion, wobei Komfort trotzdem nicht zu kurz kommt. Minimalistisch ist auch die Beleuchtung. Glühbirnen und Leuchtdioden erhellen Wohnzimmer und Sanitärbereich. Das Design fällt abgesehen davon, hell und schlicht aus. Gerade Linien und rechte Winkel stehen im Gegensatz zum kreisrunden Fundament. Die Konstruktion lässt sich innerhalb von zwei Tagen zusammenbauen und wird innerhalb von sechs Monaten an den gewünschten Ort geliefert. Die Designer streben derzeit eine auf Energieautarkie ausgelegte Weiterentwicklung der Kapsel an.
Foto:©oxygen
Nur ein Raum – Rechteckige Wohnkapsel
Abseits der Öffentlichkeit liefert der Pavillon von TheLoveTriangle einen Raum für experimentelle Kunst und Ausstellungen. Die Planer machten aus der abgeschiedenen Lage des Objekts eine Tugend. So ist seine Zurückgezogenheit im libanesischen Baabdat für den Bau identitätsstiftend. Fast unscheinbar, aber keinesfalls unbedeutend integriert er sich in die natürliche Umgebung. Das Design ist einfach und das Ergebnis ein Rechteck mit 96 m² Fläche. Das Rechteck schafft eine neutrale Grundlage für vielseitige Nutzungen.
Foto:©Rana Rmeily
Pinienbäume umgeben den Bau und werden für ihn durch die großen Fenster zu einer wichtigen Kulisse. Die Umgebung präsentiert sich als neutraler Hintergrund und wirkt – genauso wie der Pavillon – wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Dabei reguliert die Natur mit dem dichten Baumwuchs das Klima im Gebäude. Sie schirmt den nach Nord-Süd ausgerichteten Pavillon im Sommer vor intensiver Sonneneinstrahlung ab. Im Winter trifft ihn die Sonne ungehindert und erwärmt die Südseite. Zurückhaltung ist auch im Innenraum Programm. Sowohl der Boden als auch die Raumdecke wird von hellem Beton gebildet. Dreidimensionale Strukturen an der Oberseite der Raumdecke sorgen mit einem Wechselspiel aus Licht und Schatten für Abwechslung.
Der Pavillon kommt ohne elektrischen Anschluss und ohne Heizung und Warmwasser aus. Das Ziel der Planer war es, ein Gebilde zu schaffen, dessen Bedürfnisse die Natur erfüllt. Trotzdem wurden Grundlagen für elektrische Installationen geschaffen. Ein Stromaggregat müssen die Aussteller oder Künstler selbst organisieren. Es ist für eine Vielzahl an Nutzungen geeignet und liefert Raum für Experimente der Kunst und Nachhaltigkeit.
Foto:©Rana Rmeily
Flexibler Minimalismus in roher Hülle
Eine Mischung aus modernem Komfort und traditionellen Materialien ist die vorgefertigte Wohnkapsel h-eva im Südwesten Frankreichs. Die Architekten von Studio A6A bedienten sich beim Bau nur einheimischer Holzarten. Um die Hölzer vor Insekten und Witterungseinflüssen zu schützen, wurden sie im Vorfeld mit Feuer versiegelt. Eine robuste und dunkle, beinahe rohe Außenhaut ist das Ergebnis.
Foto:©Agnés Clotis
Auf 20 m² brachten die Planer die gesamte Ausstattung unter. Sie setzt sich aus einem Ess- und Wohnzimmer, einer Küche, einem Badezimmer und zwei Betten zusammen. Der Raum wurde so gestaltet, dass er das tägliche Leben mit dem Außenbereich verknüpft. Der Pavillon berührt die Erde nur leicht und belastet den Boden möglichst wenig. Nach seiner Entfernung lässt sich das Land schnell wieder seiner ursprünglichen Nutzung zuführen.
Mit einem Kran lässt er sich schnell und leicht aufbauen. Der rechteckige Grundriss nimmt wenig Platz ein und lässt sich selbst auf knapp bemessenen Grundstücken aufstellen. Zwei Personen haben in der Hütte Platz – er lässt sich damit sowohl als minimalistischer Wohnraum als auch als Ferienhaus einsetzen. Wände, Decken, Fußböden und Möbel bestehen allesamt aus hellem Holz – sie tauchen die Räume in ein angenehmes Licht. Man verzichtete bewusst auf aufwendige Verzierungen und beschränkte sich beim Entwurf auf das Wesentliche – ohne Farben und übertriebene Formensprache. Für die Beleuchtung sorgen neben geschickt angebrachten Lampen im Ess- und Wohnbereich, die großen, leinwandähnlichen Fenster. Je nach Ausrichtung der mobilen Hütte dienen sie entweder als Kulisse oder als natürliche Lichtquelle. Durch die breite Fensterfront, die sich vollständig öffnen lässt, verwischen sich Innen- und Außenbereich.
Foto:©Agnés Clotis
Energieautarkes Ei
Smartes Design auf kompaktem Raum – mit diesen Eigenschaften könnte die innovative Wohnkapsel eines slowakischen Designbüros zum Vorreiter unter mobilen Wohnlösungen werden. Denn das Objekt funktioniert unabhängig von existierender Infrastruktur – damit ermöglicht es auch an abgelegenen Orten einen angenehmen Aufenthalt.
Einen Lebensraum für zwei Erwachsene bietet die eiförmige Kapsel von nice&wise design. Das kompakte Objekt namens „Ecocapsule“ ist dabei nicht nur energieeffizient, sondern bietet auch Lebensqualität. Es enthält zwei Betten, ein Bad mit Warmwasser, eine kleine Kücheneinheit, eine trockene Toilette und großzügigen Stauraum. Dabei verbraucht die Einheit nur wenig Energie – den benötigten Strom bezieht sie aus Solar-Paneelen mit 880 Watt auf dem Dach und einem Windrad mit bis zu 750 Watt. Über die Oberfläche wird Regenwasser gesammelt und in einem Wassertank gespeichert. Dort steht es bei Bedarf gefiltert zur Verfügung.
Foto:©Nice Architects
Durch ihr kompaktes Design eignet sich die Kapsel für den mobilen Einsatz. So kann sie mitunter als Unterkunft für Sportler sowie für Forscher dienen. Sie lässt sich in unterschiedlichen Klimazonen aufstellen, schützt die Bewohner vor Witterungseinflüssen und kann leicht transportiert werden. Vier kurze Beine verleihen ihr Standfestigkeit und verringern den Eco-Footprint.
Die weißen Flächen bieten eine neutrale Kulisse für die Bewohner. Dem Inneren der Kapsel verleihen sie eine freundliche, helle Atmosphäre. Die Leuchtmittel sind versteckt und offenbaren sich erst nach Einschalten des Lichts. Dank der rechteckigen Fenster, die sich an beiden Seiten des Objekts befinden, wird der Innenraum untertags durch Tageslicht erhellt. Die mobile Lösung bietet Bewohnern den Luxus eines Hotelzimmers, wobei sie trotzdem Unabhängigkeit von existierender Infrastruktur gewährt. Da das Objekt im Hinblick auf Praktikabilität und Energieeffizienz entworfen wurde, ist es zu 100 Prozent energieautark.
Foto:©Nice Architects
Text:©Dolores Stuttner
Kategorie: Magazin, Sonderthema