Weinbau und die Chinesische Mauer
Grape Museum / China / Archea Associati
„Up to the Great Wall, back to the nature“ — unter diesem Slogan stand die internationale Yanqing Weinbauausstellung in Beijing, China. Sie war Teil einer wirtschaftspolitischen Initiative der chinesischen Regierung anlässlich der 11. Internationalen Konferenz über Weintraubenzüchtung und Kultivierung, die von Juli bis August 2014 in China stattfand. Die Veranstaltung sollte den weltweiten Blick auf Aspekte der Traubenzüchtung, Weinbau und damit verbundenen Themen lenken. Besser bekannt ist sie unter der Bezeichnung „Olympic Games of the International Grape Industry“.
Aus diesem Anlass wurde ein fast 200 Hektar großes Ausstellungsgelände nördlich von Beijing in Yanqing speziell für dieses Ereignis angelegt. Mit künstlichen Gärten, Gewächshäusern, einem Museum und einem Besucherzentrum, Aussichtstürmen und Brücken, die seine Sichtbarkeit in der Nähe der großen Chinesischen Mauer betonen.
Der Masterplan für das Gelände stammte aus dem siegreichen Projekt von Archea Associati (italienisches Architekturbüro), hervorgegangen aus einem 2012 von der Regierung des Yanqing-Bezirkes ausgeschriebenen Wettbewerbes. Die chinesische Regierung arbeitete auch mit großer Begeisterung und Einsatz, um das Projekt innerhalb von 13 Monaten rechtzeitig zur Eröffnung fertigzustellen. Der Park stellt heute eine Sehenswürdigkeit für die Bevölkerung Beijings dar. Er soll auch den Bewohnern Chinas die Bedeutung des Weinbaus als Tourismus und Kulturträger näher bringen.
Die Pavillons in der Landschaft wurden — als Metapher der Weintraubenform — kreisförmig angelegt und über das Gelände verteilt. Der Gesamteindruck verbindet auf außergewöhnliche Art die umgebende Natur mit den, den Horizont bildenden Bergen und stellt eine Beziehung zwischen der italienischen und der chinesischen Kultur her. Er mischt Elemente einer sehr alten Kultur mit Zeitgenössischem. Die einzelnen Fassaden der Gebäude bilden — in einem narrativen Konzept — ein Wechselspiel der grauen Farbe der chinesischen Ziegelbauten mit dem Aschgrau der in Basrelief geformten Betonflächen. Die Architekten wollten mit diesem Projekt auch zeigen, dass man in der Landschaft bauen und gleichzeitig die Natur auch ansprechend gestalten und betonen kann.
Die runden Baukörper/Pavillons sind in der weitläufigen Landschaft wie hineingestreut angeordnet. Die einzelnen Bauwerke sind entweder mit den traditionellen chinesischen Ziegeln verkleidet, oder aus Stahlbeton, der in dekorative Basreliefs gegossen wurde. So wird auch eine Verbindung mit der Geschichte und der Kultur der Region sowie den verschiedenen Konstruktionsmethoden erzeugt. Verwitterteter Stahl bietet eine warme Ergänzung zu den grauen Oberflächen — er wird auch für tragende Säulen und dekorative Details im Inneren verwendet. Man findet ihn jedoch auch bei den großen Landschaftselementen, wie zum Beispiel den Brücken im Park, wieder. Das Büro für den Verkauf der Eintrittskarten ist in Form eines Ringes, von dem ein Teil — um den Eingang zu gestalten — entfernt wurde, gehalten. Der Eingang zum Gelände selbst ist komplett aus rostigem Stahl gefertigt und markiert wie ein verdrehter Bogen den Ort in der Landschaft. Breite Wege führen vom Tor zum Besucherzentrum, das in der Nähe eines VIP-Clubs und Verwaltungsbaus liegt — sie bilden einen Gebäudecluster mit ausgeprägt konkaven Dachformen.
Das dahinter liegende Museum ist in einem Bau in der Form einer Acht untergebracht. Eine lange Stiege an jedem Ende ermöglicht den Besuchern den Aufstieg zu einer Aussichtsplattform am Dach. Baumähnliche Säulen im Inneren unterstützen die Decke, die wiederum von kreisförmigen Öffnungen durchbrochen ist — eine Analogie zu den Weintrauben. In diesen Öffnungen sind die Beleuchtungen untergebracht, während Fenster den Ausblick ins Freie durch ein dichtes Gitter, der an der Außenfassade des Bauwerkes angebrachten Stahlringe (Traubenform) ermöglichen. Das Innere des Besucherzentrums ist mit einer linearen Ziegelstruktur mit leichten tonalen Variationen ausgeführt. Sphärische Hängeleuchten sind über den Gehbereichen in verschiedenen Höhen von der Decke abgehängt.
Interview — Laura Andreini, Architektin und Mitbegründerin des Büros Archea Associati, das unter anderem den Bau für die Grape EXPO in Yanqing, China entworfen hat, war anlässlich der Jury des Brick Award 2016 von Wienerberger in Wien und Peter Reischer nutzte die Gelegenheit, um mit ihr ein Gespräch zu führen.
Laura, welche Frage hat man Ihnen — als Architektin — noch nie gestellt?
Wie sehr lieben Sie Ihre Arbeit!
Und wie sehr lieben Sie Ihre Arbeit?
Sehr, weil ich glaube, dass Architektur keine Arbeit ist, sondern ein Leben. Wenn man sich entscheidet, Architektur zu studieren, ist das eine Entscheidung für ein Leben, für eine Vision. Das Gehirn, das Denken arbeitet ab dann anders als bei den meisten Menschen. Wenn man aufsteht, isst, in der Stadt herumgeht denkt man immer an den Raum, Dimensionen, Harmonie. Man hat immer eine Verantwortung für die Menschen — die Mission ist eben, für die Menschen zu arbeiten. Das ist aber heute nicht leicht: Als Architekt ist man oft mit diesen fremdartigen, ikonenhaften Bildern der Architektur konfrontiert, die scheinen immer, als ob sie NICHT für Menschen, für das Leben gemacht wären.
Wenn Sie nun ein Projekt in China, wie die „Grape EXPO“ in Yanqing bauen, haben Sie da nicht manchmal Probleme mit dieser doch so komplett (nach europäischen Gesichtspunkten) fremden, andersartigen Kultur und den Auffassungen?
Ja, das ist sehr verschieden zur Arbeit in Italien. Wir haben neben unseren drei Büros in Italien auch ein Büro in China, denn es ist sehr wichtig, sich mit lokalen Kulturen und Gegebenheiten auseinanderzusetzen. Die Unterschiede sind eine Herausforderung, unser eigenes Wissen zu erweitern. Aber es ist sehr schwierig!
Ist nicht immer die Gefahr, dass, wenn wir Europäer in China arbeiten, wir dazu neigen, unsere Architektur und unsere Auffassung dorthin zu exportieren?
Ja, aber die Sensibilität der jungen chinesischen Architekten ist sehr hoch. Viele haben in Europa und den USA studiert. Die haben einen viel offeneren Geist als die Menschen vor zehn Jahren. Es gibt eine Menge guter kleiner Büros in China, die neue Technologien beherrschen, die Landschaft als Wert erkennen und auch schützen. In Italien haben wir eine große Krise, hier will niemand etwas tun. In China gibt es eine andere, positive Energie. Dort wollen die Menschen etwas, es ist unglaublich, mit welchem Willen und Energie sie ein Projekt angehen, zum Beispiel haben sie die ganze Grape EXPO in nur 13 Monaten gebaut. Das ist die Kraft Chinas – ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber es ist unbeschreiblich. Als Architekt hat man eine große Verantwortung und in China kann man tun, was man will. Deshalb kann dort auch sehr, sehr schlechte Architektur entstehen. Das ist ein Problem.
Sollen wir andere Kulturen lehren oder von ihnen lernen?
Sowohl als auch!
Sehen Sie die Globalisierung als eine Gefahr für die Architektur? Ich bemerke immer öfter, dass man nicht mehr erkennen kann, ob es sich um einen Airport, ein Stadion, ein Museum oder einen Shoppingtempel handelt?
Sie schauen alle gleich aus, das bemerke ich auch. Globalisierung ist teilweise gut für uns, zum Beispiel der allgemeine Informationszugang. Aber China hat seine Geschichte, Italien auch. Vielleicht ist es wichtig, seine eigene Geschichte weiter zu verfolgen, denn jeder Ort hat seine eigene Identität.
Ist die Globalisierung nun eine Gefahr?
Die Antwort ist weder ja noch nein. Globalisierung an und für sich ist nicht gefährlich. Aber dasselbe Gebäude in Amerika und China — das ist nicht gut, Architektur ist keine Kaffeetasse. Es ist ja möglich Wissen und Kultur zu teilen, aber jedes Land, jeder Ort und jede Architektur haben ihre eigene Identität.
Warum gibt es fast keine Auftraggeber mehr, die nicht nur Profit aus einer Architektur schlagen, sondern einen nicht-physischen Gewinn oder Inhalt in der Architektur wollen?
Als wir das Projekt der „Antinory Weinkellerei“ machten, ist uns das gelungen. Es ist ein Ort der Ruhe geworden, jeder der dort hin kommt spürt das, senkt automatisch die Stimme und beruhigt sich. Es ist zwar eine Industrie, aber sie respektiert die Landschaft und die Natur. Sie ist ein spiritueller Platz geworden. Und genau das ist ein Ziel der Architektur, ein Gefühl für die Menschen, die dort leben und arbeiten sollen, zu entwickeln. Als wir die Weinkellerei bauten, wollten die Ingenieure eine Klimaanlage um gute, kühle Luft zu haben. Die Anlage gibt es auch, aber sie ist nie eingeschaltet, weil wir die Architektur so gestaltet haben, dass sie nicht notwendig ist. Es ist ein nachhaltiges Gebäude und das kann man auch ohne Maschinen erzielen.
Wenn ich Ihre Projekte und Arbeiten anschaue, dann bemerke ich, dass Sie oft versuchen die Fassaden der einzelnen Körper zu entmaterialisieren.
Ja, das ist richtig!
Sie verwenden sozusagen eine zweite Ebene wie einen Vorhang aus vielen Einzelteilen vor der Materie. Was ist der Grund dafür?
Wir lieben und studieren die verschiedenen Baustoffe, wir arbeiten sehr gerne mit Ziegeln und Keramik. Als wir die „Nembro Bibliothek“ machten, haben wir ein Spiel von Fassade und Kunst probiert, eine Wiederholung eines Symbols des Buches – ein Ziegel in ständiger, leicht geänderter, serieller Anordnung.Bei der „Van Melle“ Zuckerlfabrik haben wir auch dieses System, aber mit runden Glasscheiben angewandt. Wir verwenden oft sehr viel Zeit für die Fassade eines Objektes. Wenn ein Projekt von Grund auf falsch ist, bleibt manchmal eben nur der Weg einer optischen Korrektur über die Fassade.
Yanqing World Grape Expo
Yanqing, China
Bauherr: GOVERNMENT OF THE MUNICIPALITY OF YANQING, BEIJING, PRC
Planung: ARCHEA ASSOCIATI
Mitarbeiter: Laura Andreini, Marco Casamonti, Silvia Fabi, Giovanni Polazzi
Statik: CSCEC LDI
Grundstücksfläche: 200 Hektar
Bebaute Fläche: 13.050 m2
Planungsbeginn: 11/2012
Bauzeit: 300 Tage
Fertigstellung: Juli 2014
Baukosten: 42.6 Mio. inkl. Landschaft und städtebauliche Interventionen
Text: Peter Reischer / Fotos: Christiano Bianchi, Pietro Savorelli
Kategorie: Projekte