Doch einer der Großen

4. März 2020 Mehr

Einer der bekanntesten österreichischen (Wiener) Architekten ist Heinz Neumann. Er kokettiert zwar gerne damit, kein sogenannter Stararchitekt zu sein, macht das aber so offensichtlich, dass man um ihn nicht herumkommt. Er hat mittlerweile zwei Partner (Arch. DI Florian Rode und Arch. DI Oliver Oszwald) und das Architekturbüro firmiert unter HNP architects. Auf der Homepage ganz oben steht der Slogan: „Wenn Sie über Architektur sprechen wollen … rufen Sie uns an.“ Sinngemäß auch auf englisch: „If you want to talk about architecture … contact us.“ Peter Reischer folgte dieser Aufforderung und führte mit Architekt Heinz Neumann in einem wunderschön revitalisierten Backsteinbau in Wien Döbling folgendes Gespräch.

 

Architekt Heinz Neumann Arch. DI Florian Rode und Arch. DI Oliver Oszwald

 

Herr Architekt Neumann, hat die Architektur eine Zukunft?
Eine stehende Redewendung von mir ist: „Architektur ist ein Spiegelbild der Gesellschaft.“ Das ist die Realität und jeder, der daran vorbeibaut, kann zwar sehr berühmt werden, ist aber ein dürrer Ast.

Dann will ich meine Frage präzisieren: Was haben wir jetzt für eine Gesellschaft und was haben wir für eine Architektur?
Wenn ich jetzt sehr kritisch bin, dann sage ich: Wir haben eine Gesellschaft ohne Werte. Wir haben weder ein sinnvolles Geld – das wird ständig abgewertet, noch haben wir Moralbegriffe wie Treue, Tapferkeit, Mut usw., die existieren in der heutigen Zeit nahezu nicht mehr. Wenn Sie die Aufsätze von Solschenizyn lesen – er hat in einem kommunistischen Land gelebt und die westliche Welt beurteilt – da kommt das klar zum Ausdruck. Sieger ist der, der sich die besten Rechtsanwälte leisten kann und das ist ein trauriges Zeichen.

Welche Architektur ergibt sich aus dieser Festsetzung? Eine Gesellschaft ohne Werte, bedingt das auch eine wertelose Architektur?
Wir haben eine sehr gleichförmige Architektur, die sich leider internationalisiert hat, aber das Wunderbare an den alten Bauwerken ist ja das Lokalkolorit. Wenn ich mir die Bauten in der islamischen Welt anschaue, sprechen die eine andere Sprache als die Bauwerke, die bei uns stehen. Französische, deutsche, italienische, englische Architektur war immer ablesbar, das ist heute alles zu einem Einheitsbrei geworden.
Der Architekt Richard Meyer (der sicher ein großartiger Architekt ist) ist international ablesbar, er baut seine weiß gekastelten Häuser in Frankfurt, in Hongkong, in Amerika und überall gleich. Es kann doch nicht sein, dass jeder Bauplatz die gleiche architektonische Antwort verdient.

Meyer würde das wahrscheinlich mit seiner individuellen architektonischen Sprache begründen?
Ja, das ist eine Antwort, aber ob das eine sinnvolle Vorgangsweise ist, das stelle ich infrage. Ich kann nicht im Hochgebirge eine Flachdachkiste aus weißem Blech hinstellen und sagen: Das ist Architektur!

Sie sagen, die Architektur ist nicht mehr ablesbar. Wenn sie nach China schauen, dann weiß man bei den Bauten der sogenannten Stararchitekten nicht mehr, ob es sich um ein Museum, einen Bahnhof, ein Kunst- oder Sport- oder Shoppingzentrum oder um einen Flugplatz handelt. Jetzt frage ich Sie, ob dieser Architekturexport, den der Westen in die Ostländer und die sogenannten Entwicklungsländer betreibt, nicht ein Fortschreiben eines Kolonialisierungsgehabes ist?
Im Zuge der Globalisierung wird man das schwer kritisieren können. Wir sind uns ja in allen unseren gesellschaftlichen Ausprägungen sehr ähnlich geworden. Ob das jetzt die Kleidung oder unser Gehabe oder die Architektur ist.
Ich will da eine kleine Anekdote erzählen. Es gab einmal einen skandalösen Wettbewerb: Der Prado hatte eine Umgestaltung des Museums ausgeschrieben und da haben sich 900 internationale Architekten beworben. Ich bin natürlich auch ins Flugzeug gestiegen und hingeflogen, beim Besuch des Prados traute ich meinen Augen nicht. Rund herum hat es von lauter schwarz gekleideten Männlein und Weiblein mit Umhängetasche und Fotoapparat gewimmelt – eben lauter Architekten.

Die Menschen fahren nicht nach Bilbao um Bilbao zu sehen, sondern weil dort Frank Gehry das Guggenheimmuseum gebaut hat. Trägt also die Architektur zu einem Verlust der Orte bei?
In diesem Fall stimmt das, weil die Stadt durch diese Architektur zerstört worden ist. Das Museum steht wie ein Flugzeugträger in einem kleinen Küstenhafen da.

Sehen Sie bei so einer internationalen Stararchitektur noch einen Konnex zum Menschen?
Nein, der ist nicht vorhanden.

 

 

Wie stehen Sie dem Starkult um die Architekten gegenüber?
Ich will da nicht das eigene Nest beschmutzen, es ist ja schön als Architekt hervorzutreten und etwas Sinnhaftes, Ästhetisches, etwas Finanzierbares – wo der Bauherr nicht in den Konkurs geht – zu entwickeln. Bei Zaha Hadid, die eine Bibliothek gebaut hat, bei der man im Seitenschritt über die Stiege gehen muss, weil sie so schräg ist – da werde ich sehr nachdenklich.

Können wir nochmals zum Ausgangspunkt, zur Zukunft der Architektur zurückkehren?
Die Zukunft können wir nicht voraussagen, nicht die Architekten machen die Architektur – der Architekt erfindet ja kein Großraumbüro. Das ist ein Gedanke, der aus dem Wunsch, möglichst wenig Bürofläche den Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen, entstanden ist.

Das ist der Maximierungszwang, unter dem unsere Gesellschaft leidet.
Das ist es! Nicht der Architekt entwickelt neue Fassadensysteme, die Industrie und die Wirtschaft sind das. Wir benutzen diese Produkte nur, die Ressourcen werden immer geringer, wir verbrauchen so viel Sand für Betonerzeugung, dass weltweit bereits eine Sandknappheit entstanden ist – da liegen die Fragen der Zukunft. Die Architektur ist wie eine Pflanze, sie wächst mit einer Selbstverständlichkeit mit der Industrie und der Wirtschaft, Auswüchse verdorren eben. Eine Maxime von mir ist eine „Architektur der Selbstverständlichkeit“.

Was definieren Sie als Kriterien für diese „Selbstverständlichkeit“?
Keine unnötigen bautechnischen Kunststücke, keine mutwillige Farbgebung, keine sinnlosen Details … kein Krampf. Die Finanzierbarkeit, die Bauzeit und die Akzeptanz durch die Menschen. Diese „Wundergebäude“ (der Stars) werden oft von den Menschen gar nicht akzeptiert.

Würden Sie als Kriterien auch die Nachhaltigkeit nennen?
Ein wunderbares Beispiel ist die Nachhaltigkeit, das hat man vor 20 Jahren nicht berücksichtigt. Damals hat man über die Wiederverwendbarkeit eines Bauwerkes oder der Materialien nicht nachgedacht. Heute muss ich nachdenken, ob es in 10 Jahren noch Sand zum Betonieren geben wird – das sind die Dinge, die Architektur heute und morgen ausmachen.

 

Der Office Park 4 am Flughafen Wien ist in puncto Nachhaltigkeit ein Vorzeigeprojekt von HNP architects. Beim gesamten Bauvorhaben ist die TU Wien von Anfang an eingebunden um einen schonenden Umgang mit Ressourcen zu sichern.
Der Office Park 4 am Flughafen Wien ist in puncto Nachhaltigkeit ein Vorzeigeprojekt von HNP architects. Beim gesamten Bauvorhaben ist die TU Wien von Anfang an eingebunden um einen schonenden Umgang mit Ressourcen zu sichern.

 

Gibt es aus Ihrem Portfolio ein Beispiel, bei dem Sie eine größtmögliche, erreichbare Nachhaltigkeit konstatieren würden?
Ja, das ist im Moment im Bau und es ist der Office Park 4 am Flughafen Wien. Für den Betrieb lässt sich jetzt schon eine Reduktion des CO2-Ausstoßes auf 70 Prozent prognostizieren. Bei dem ganzen Bauvorhaben ist die TU Wien eingebunden, um vorbildhaft einen schonenden Umgang mit der Energie und den Ressourcen sicherzustellen. Das wird ein Vorzeigeprojekt!

Wie sieht es mit der sozialen Komponente der Selbstverständlichkeit der Architektur aus?
Wenn die Architektur selbstverständlich ist, ist sie menschlich und hat Maßstäbe, die der Mensch akzeptiert. Ein Bau, wie das T Center in St. Marx (von meinem Freund Domenig) ist maßstabslos, diese gigantischen Hallen kann ich bei einer Kirche, aber nicht bei einem Bürogebäude machen.

Das ist aber auch das, was Sie zuerst gesagt haben, ein Spiegelbild unserer Gesellschaft: Maßlosigkeit. Ist das nicht eine sehr bedauerliche Entwicklung?
Ja, das ist es!

Wie können wir angesichts der Tatsache, dass der sogenannte Welterschöpfungstag (Earth Overshoot Day) heuer schon am 29. Juli war, wir also noch ein halbes Jahr vor uns aber keine erneuerbaren Ressourcen mehr zur Verfügung haben – überhaupt noch Architektur machen, noch Bauen?
Ich glaube, dass wir den Menschen in seinem Gehaben kaum verändern können. Der Mensch ist ein Irrläufer der Evolution. Er hat mit jeder Maßnahme, die er gesetzt hat, eigentlich mehr zerstört, als er repariert hat. Deshalb wird unser Aufenthalt auf dieser Kugel ziemlich endlich sein. Wir gehen sehenden Auges diesen Weg.
Die Politiker sollten hier regulierend eingreifen und nicht im Brustton der Überzeugung die abermalige Steigerung des Bruttosozialproduktes verkünden. Wir als Wähler sind auch schuld, weil wir voll narkotisierte Bewusstseinsbankrotteure wählen, die dann nichts anderes im Kopf haben, als die permanente, sich perpetuierende Machtausübung. Statt zu tun, was dem Volk zugute käme.

Was meinen Sie im Hinblick auf die Bildungspolitik, die ja diese Entwicklung mitverursacht. Sollte die Architektur nicht als Fach in den Schulprogrammen verankert werden?
Ja, unbedingt!

Wo würden Sie sich als Architekt, stilmäßig einordnen?
Darüber habe ich nicht nachgedacht.

 

 

Fotos & Renderings: HNP architects
Interview: Peter Reischer

 

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Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen